Es war schon in etwa klar gewesen, was die Ablösung des Franzosen Fabrice Leggeri an der Spitze von Frontex bedeutet. Leggeri war durch eifriges Zutun linker Aktivisten und Politiker in verschiedene Skandälchen verwickelt worden, aus denen ihm zuletzt ein Strick gedreht wurde. Sein Nachfolger wurde der Niederländer Hans Leijtens, ein erfahrener Polizeioffizier seines Landes, der schon zuvor vielfältige Aufgaben erfüllt hatte. Laut Welt am Sonntag war das kein Zufall, Frontex sei einst unter niederländischer Ratspräsidentschaft neu ausgerichtet worden. Nun soll Leijtens angeblich das nach der Migrationskrise von 2015 begonnene Werk zu Ende führen.
Auch das Ziel von 10.000 angestellten Frontex-Einsatzkräften war schon zu diesem Zeitpunkt vom griechischen Innenkommissar Dimitris Avramopoulos aufgestellt worden. Es ist noch nicht erreicht. Bis 2027 sollen aus heute offenbar knapp 3.000 Beamten die berühmten 10.000 werden. Das wurde zumindest noch unlängst so verkündet, als die EU einmal mehr Probleme hatte, ihre Außengrenzen zu sichern.
Aber das ambitionierte Ausbauziel für die EU-Grenzschutz-Agentur hat keinen Sinn, wenn gar kein Grenzschutz beabsichtigt ist. Und eben das hat der noch relativ neu berufene Frontex-Chef Leijtens nun irgendwie gesagt. Man lernt überhaupt viel über diesen EU-Komplex, der es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, die EU-Grenzen aufzulösen oder besser in der Auflösung zu belassen, in der sie sich schon weithin befinden.
„Wofür brauchen Sie das? Die Migranten sind willkommen“
Bis 2019 wollte auch die Kommission das „Standing Corps“ von Frontex angeblich „zügig entwickeln“, wollte für bessere Ausrüstung der EU-Grenzschutzmitarbeiter sorgen. Aber im Oktober 2019 stellte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson dem Leijtens-Vorgänger Leggeri angeblich die Frage: „Wofür brauchen Sie das? Die Migranten sind willkommen. Wofür braucht es also Waffen und Uniformen?“ Johansson bestellte im Jahr 2019 also eine Grenzschutzagentur als Empfangskomitee für illegale Grenzübertreter. Man kann nicht sagen, dass die folgenden Jahre und Ereignisse (Evros-Krise 2020, Polen-Krise 2021, neue Lampedusa-Krise 2023) ihr Recht gegeben hätten. Aber als Ausdruck des Geistes, der die EU aus dem Hintergrund regiert, sind ihre naiv daherkommenden Fragen interessant.
Auch die Verhandlungen der EU-Oberen um ein gemeinsames Asylsystem (GEAS), die Ende letzten Jahres zu einem zweifelhaften Abschluss kamen, hatten zum Teil genau das im Sinn: Wie lassen sich die Außengrenzen der EU besser gegen unberechtigte Zuwanderer und widerrechtliche Einreisen schützen? Das wurde allerdings nicht so deutlich gesagt, und klare Maßnahmen fehlten ebenso – und werden auf geraume Zeit hin fehlen, egal, ob es um die nächsten beiden Jahre geht oder um die Zeit ab 2026, wenn dieser elend lang gesuchte Asyl-Kompromiss schließlich greifen wird. Kurz sei daran erinnert: Man plant, einen kleineren Teil der Migranten – jene mit sehr geringen Anerkennungschancen – bereits an den Außengrenzen auszusortieren und per Schnellverfahren zurück in ihre Länder oder irgendwohin zu schicken. Ob das gelingen wird und ob es folglich überhaupt zu einer Entlastung kommen wird, steht noch in den Sternen.
Aufgrund dieser Unsicherheiten könnte die Notwendigkeit von wirklichem Grenzschutz in der prekären Gegenwart umso deutlicher werden, könnte man nun denken. Doch dazu gibt nun wiederum Hans Leijtens keinen Anlass. Im Interview mit der WamS sagte er die folgenden Worte: „Um es deutlich zu sagen: Nichts kann Menschen davon abhalten, eine Grenze zu überqueren, keine Mauer, kein Zaun, kein Meer, kein Fluss.“ Die Vorstellung, man könne „einen Deckel oben auf die Flasche setzen, und dann wird die Migration gestoppt“, sei ein „Irrglaube“, so Leijtens weiter. Auch will Leijtens die Migranten nicht verurteilen. Er will angeblich weg vom „Narrativ ‚Leute stoppen‘ und ‚Grenzen schließen‘“ und stattdessen eine „Balance schaffen zwischen effektivem Grenzmanagement und Einhaltung der Grundrechte“. Genau deshalb wurde er auf seinen Stuhl gesetzt, und Leijtens beißt nicht die Hand, die ihn füttert.
Die Rede von „Grundrechten“ der widerrechtlich einreisenden Migranten wird dabei immer anstößiger, je mehr durch die Einreisen die Grundrechte der einheimischen Europäer geschmälert werden. Dieses Missverhältnis gibt es nicht erst seit gestern, es wird aber immer eklatanter. Die Augen müssen daher immer fester davor verschlossen werden.
Ein wenig ist Leijtens hier ja auch ein doch irgendwie verantwortlicher Behördeninhaber, der die Politik und das Publikum über die Unfähigkeit seiner Behörde informiert. Damit ja eigentlich auch über ihre Überflüssigkeit. Frontex rückt damit ein wenig mehr auf die Streichliste des EU-Haushalts, mit Sicherheit aus der Sicht einiger in der Politik. An der polnischen Grenze zu Weißrussland spielt Frontex trotz des Regierungswechsels in Warschau noch immer keine Rolle. Einige Mitgliedsländer waren vorsichtig in Bezug auf die Dienste einer Agentur, die man auch als Grenzschutz-Beaufsichtigungsbehörde verstehen kann, auch wenn sie in der Ägäis meist fruchtbringend mit der griechischen Küstenwache zusammenarbeitete. Doch das brachte eben Leggeri um sein Amt. Bei EU-Wahlen könnte es angeblich sein, dass Leggeri für eine „rechtsgerichtete Partei“ (WamS) antritt.
Ungarischer Botschafter: Das ist Selbstaufgabe und Kapitulation
Und in der Tat riefen Leijtens’ lockere Reden einiges an Kritik hervor, die zeigen mag, wie tief er in politisch vermintes Gelände vorgedrungen ist – ein militärischer Aufklärer quasi, im Auftrag seiner Installateure auf der politischen Linken. Leijtens testet für sie gerade das Terrain.
Oder ist es doch der milde Aufschrei konservativer Politiker, der auf den Tricksen-und-Täuschen-Index gehört? Eine der lautesten Stimmen gehört hier dem österreichischen Innenminister Gerhard Karner, der wiederum in der WamS festhielt: „Selbstverständlich zeigt ein konsequenter Grenzschutz Wirkung.“ Um noch schöner fortzufahren: „Sowohl beim Grenzschutz als auch bei den Abschiebungen kommt Frontex eine wichtige Rolle zu.“ Karner verteidigt die EU-Agentur hier quasi gegen ihren Chef. Karner wünscht sich angeblich einen „rechtlich und technisch robusteren“ EU-Außengrenzschutz. Karner vermittelt gewissermaßen zwischen den Migrationshardlinern in Budapest und Kopenhagen und dem Rest der EU. Sein Land ist freilich auch eines der wichtigsten Transitländer der Migranten auf dem Weg nach Deutschland und leidet gelegentlich unter dieser Eigenschaft.
Auch der griechische Minister für Migration und Asyl Dimitris Kairidis (gesprochen Keridis) sagte gemäß der Nachrichtenagentur dts, Europa brauche „ein robustes Frontex mit einem starken Mandat“. Laut dem relativ frisch installierten Minister müssen die EU-Länder „die Grenze bewachen, Menschenleben schützen und legale Alternativen zum illegalen Schmuggel von Migranten bieten“. Hier ist auch der Neuling im Kabinett von Kyriakos Mitsotakis nicht ganz klar und führt den Ordnung-und-Humanität-Singsang auch in die griechische Migrationspolitik ein – als ob legale Migrationswege eine einzige illegale Einreise verhindern würden. Aber immerhin spricht Kairidis vom Bewachen von Grenzen.
Der ungarische Botschafter in Deutschland, Peter Györkös, sprach Klartext zu Leijtens’ Totalausfall: „Die Behauptung, der Schutz der Außengrenzen sei eine Illusion, ist nichts anderes als Selbstaufgabe und Kapitulation.“ Györkös sieht mehrere Gefahren, wenn die EU den Außengrenzschutz noch stärker hintertreibt, als sie es ohnehin schon tut: Wer Migration nur managen, aber nicht stoppen wolle, sende eine „Einladung für die sich nach einem besseren Leben Sehnenden, eine Ermutigung für die Menschenschmuggler und bietet eine weitere Gelegenheit für unsere politischen Gegner zu hybrider Kriegsführung“.
Und sogar der Merkel-Fan und parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), sieht das Sprengpotential der Leijtens-Worte: Die Aussagen des Frontex-Chefs seien „irritierend“, und er findet auch die Politisierung seines Amtes durch Leijtens problematisch: Behördenchefs sollen sich laut Frei gemäß einer „guten Tradition … politisch allenfalls zurückhaltend äußern“.
EU-Obere einig: Migration muss gehandhabt werden
Interessanter als diese Oppositionsrede für die Tribüne sind die selbstverhüllenden Kommentare der Mächtigen. So kritisierte der EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas die Äußerungen eigentlich keineswegs, wenn er sagte: „Es kann keine EU-Migrations- und Asylpolitik geben ohne ein relevantes, robustes und koordiniertes System zum Management unserer Außengrenzen.“ Von „Management“, also in etwa „Handhabung“, hatte ja auch Leijtens gesprochen. Dieser Begriff kann offenkundig alles und nichts heißen, von Abschotten bis Durchwinken. Er ist politisch und inhaltlich leer. Mit ihm gibt sich eine politische Führung, wie hier die EU-Kommission, selbst einen Freibrief für jede Art von Aktion, die sie in der näheren oder ferneren Zukunft wählen wird.
So spricht ja auch Leijtens davon, dass der Terrorismus angesichts der „besorgniserregend“ hohen Zahlen eine „reale Gefahr“ sei und schließt diese Besorgnisbekundung mit dem Satz ab: „Je mehr wir über die Leute wissen, die in die EU kommen, desto besser.“ Dieser Gedankengang endet also bei einem perfekten Screening der Ankommenden, nicht bei ihrer Zurückweisung. Auch die Diskussion über Push- und Pull-Effekte findet Leijtens nicht sinnvoll: „Migration ist nun mal eine Realität“, dekretiert er. Daneben kann er sich allenfalls vorstellen, den Schleppern das Leben in den Nachbarländern der EU schwerzumachen. Entsprechende Verhandlungen will er aber auf keinen Fall mit „Schurkenstaaten“ führen, wozu offenbar Libyen gehört. Doch genau das tat die EU seit 2017 mit einigem Erfolg – lange bevor Tunesien den Staffelstab bei der Ermöglichung von Bootsüberfahrten nach Italien übernahm.
Ähnlich der Kommentar der listigen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die von sich behauptete: „Mir geht es darum, Migration zu steuern und die irreguläre Migration zu begrenzen.“ Angeblich soll die EU-Asylreform vor allem dafür sorgen, dass „Menschen nicht mehr einfach unregistriert weiterreisen“ können. Auch wichtig zum Verständnis der Verhältnisse: „Für rechtsstaatliche Standards und sichere EU-Außengrenzen ist der Einsatz von Frontex mit Personal und Technik essenziell.“ Das Gummiband-Wort im letzten Satz ist „sicher“, denn auch es kann heißen, dass nette Männer in blauen Anzügen die Migranten an der Grenze in Ylva Johanssons Sinn willkommen heißen und sie dem integrierten EU-Schutzsystem für Zugereiste zuführen.
Schließlich muss noch der linksradikale Rand des politischen Spektrums beleuchtet werden. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, fand, dass die Leijtens-Äußerungen „erfrischende realpolitische Perspektiven in die Debatte zum Umgang mit Flucht“ einbringen. Realpolitik? Richtig, das war ja, wenn die Bürger die Traumschlösser von Grünen-Politikern nicht nur durchfinanzieren, sondern auch die nachteiligen Folgen der politischen Entscheidungen ertragen lernen. Aber Mihalic war noch nicht fertig mit ihrem Bericht aus Phantasia-Land: „Die meisten Menschen, die bei uns ankommen, fliehen vor Krieg oder Verfolgung. Grenzen werden sie nicht aufhalten, und ihnen Schutz zu gewähren, ist ein Gebot unserer Humanität in Europa.“
Die SPD will nur noch legalisieren, was illegal ist
Auch dem Vorsitzenden im Innenausschuss des Bundestages, Lars Castellucci (SPD), hat der Frontex-Chef quasi aus der Seele gesprochen: „Grenzen konnten noch nie verhindern, dass Menschen aus einem Land flüchten oder in ein anderes Land flüchten. Gott sei Dank, wenn man sieht, wie viele Menschen in der NS-Zeit von Verfolgung bedroht waren und wie viele Menschen heute weltweit verfolgt werden.“ Castellucci beruft sich also allen Ernstes auf die NS-Vergangenheit, um zu rechtfertigen, dass die Länder Europas und speziell Deutschland heute Millionen von Muslimen aufnehmen, die im Zweifel Antisemiten und teilweise offene Verfassungsfeinde sein werden.
An solchen Äußerungen wird klar, wie wenig die SPD und andere offenbar immer noch aus den Geschehnissen seit dem 7. Oktober gelernt haben. Es muss nicht eigens betont werden, dass die gesehenen Straßenumzüge in Berlin und anderswo weniger über die Zukunft Israels als über jene Deutschlands und Westeuropas aussagen. Für Castellucci ist aber klar: „Ordnung und Humanität wahrt man nicht durch höhere Mauern, sondern durch legale Möglichkeiten zur Einwanderung.“ Er hat sich die steigende Ausländerkriminalität in Deutschland offenbar noch nicht zu Gemüte geführt, hat die inhumane Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage noch nicht bemerkt. Die SPD will die Waffen strecken, und Deutschland der Masse der illegal eindringenden Migranten überlassen. Die SPD will nur noch legalisieren, was illegal ist.
Fazit: Die politische Linke, die Hans Leijtens in einem Coup nach der Absetzung Fabrice Leggeris als Frontex-Chef installiert hat, wird sich im Zweifel immer für das abstrakte „internationale Recht“ und vorgeblich existierende „Grundrechte“ der Migranten und gegen die Erhaltung von Recht, Ordnung, Sicherheit und Humanität im Inneren des eigenen Staaten entscheiden. Die „Mitte“ des politischen Spektrums – ein Platz, den ja namentlich die CDU immer gerne für sich beansprucht – folgt der Linken dabei mit leichtem Murren. CDU und CSU hätten gerne, dass der beschriebene Prozess etwas langsamer vonstatten ginge, damit die eigene Wählerschaft nicht allzu sehr davon schockiert werde. Absehbar ist, dass beide Lager (Links und „Mitte“) mit ihrem politischen Denken scheitern werden, weil in beiden Fällen die Rechnung ohne die gemacht wurde, die noch der „Wirt“ der Politik sind – die wahlberechtigten Bürger.