Frankreich steht kurz vor einem sportlichen Groß-Ereignis, das gemäß dem Willen Macrons (und anderer) der Sonderklasse angehören soll. Die Olympischen Spiele 2024 von Paris, die in Wirklichkeit im ganzen Mutterland wie auch in den Überseegebieten stattfinden. Aber vielleicht wird es eher ein Großereignis der Sondermüllklasse werden (pardon, la Grande Nation!), wenn eine extrem linke Gewerkschafterin ihre Drohung wahrmacht und Streiks und Großdemonstrationen gegen Macron entfacht, die noch in diesem Monat kommen können, mit offenem Ausgang.
Das wird der nächste Kampf für Präsident Emmanuel Macron, dessen Feldherrensitz im Élysée zwar noch nicht wackelt, aber doch sehr einsam in der Landschaft steht. Im Krieg mit dem Rassemblement national (RN) mag Macron eine Schlacht gewonnen haben, wenn auch unter heftigen parlamentarischen Verlusten. Der Kampf mit der Linksfront ist dagegen durchaus offen und nimmt immer festere Formen an.
Zu den Kräften, die einen linken Premierminister erzwingen wollen, gehört auch Sophie Binet, Generalsekretärin der früher kommunistischen, immer noch solide linksradikalen Gewerkschaft CGT. Dabei weiß sie nicht einmal, wie der heißen könnte. Denn die Linken zeigen sich auch innerlich zerstritten. Der Name des linken Anwärters ist angeblich nur noch eine Frage von Stunden – das allerdings schon seit Donnerstag früh, als die EU-Abgeordnete Manon Aubry (LFI) der Presse diese heiße Nachricht verriet. Auch am Samstag ist hier noch kein weißer Rauch aufgestiegen.
Vielmehr herrscht Uneinigkeit, und vielleicht bleibt es dabei. Kommunisten, LFI und Grüne einerseits und die gemäßigten Sozialisten zum anderen konnten sich bisher nicht auf einen Kandidaten einigen. Die Sozialisten bevorzugen laut Le Monde ihren Chef Olivier Faure. Die anderen, eher linksradikalen Partner eine Regionalpräsidentin von La Réunion, Huguette Bello (73 Jahre), Unterstützerin Jean-Luc Mélenchons.
Drohende Verkehrsblockade zu den Olympischen Spielen
Erst vor wenigen Wochen hatte Binet auch Streiks während der Olympischen Spiele in Erwägung gezogen, damals wegen Macrons Reform der Arbeitslosenversicherung. Nun ruft Binet ihre Gewerkschaftsmitglieder – namentlich auch die machtvollen Eisenbahner – dazu auf, am 18. Juli auf die Straße zu gehen, um sich anderen Gruppen anzuschließen und „die Nationalversammlung unter Aufsicht zu stellen“. Das Pariser Verkehrschaos wäre garantiert, für mehr als einen Tag?
Geplant ist nun ein Aufmarsch direkt an der Nationalversammlung. „Ohne Übertreibung oder Gewalt“, aber doch „massiv“ sollen die Gewerkschafter dafür einstehen, dass das Ergebnis der Urnen „respektiert“ und zu einem „Erfolg geführt“ wird, so die wechselnden Formulierungen der Führung. Binet warnt außerdem davor, dass Macron „das Land ins Chaos werfen“ könnte – wenn er nicht einem linken Premierminister zustimmt. Noch mag sie nichts Definitives über die Zeit der Olympischen Spiele sagen. Doch sollte Macron „weiterhin Benzinkanister auf die Feuer“ ausgießen, die er selbst entzündet habe, dann kann Binet offensichtlich nichts mehr ausschließen.
Der 18. Juli ist der Tag, an dem die neue Nationalversammlung offiziell ihre Arbeit aufnimmt, einen Präsidenten wählen wird, während sich zugleich die Fraktionen konstituieren. Sollte Macron bis dahin keine Entscheidung zugunsten eines linken Premierministers getroffen haben, könnten die öffentlichen Verkehrsmittel blockiert werden. Und eine solche Blockade, die Binet wie gesagt schon aus minderem Grund nicht ausschloss, könnte desaströse Folgen für Paris, Frankreich, Macron und andere Verantwortungsträger haben.
Das Parlament soll unter Aufsicht gestellt werden
Schon am 24. Juli werden die Fußballer und Rugbyspieler ihre Spiele haben, und zwar nicht zwei der drei, sondern 20 an der Zahl, verteilt über Frankreich. Einen Tag später folgen die Bogenschützen, bevor am 26. Juli die große Eröffnungszeremonie entlang der Seine stattfinden soll. Erwartet werden freilich nicht hunderte oder tausende, sondern hunderttausende Besucher, neben den mehr als 10.000 Athleten. Einen nationalen Eklat wird niemand riskieren wollen, also besteht die Gefahr, dass Macron sich den Wünschen der linken Massen beugen wird.
Indessen machen auch weitere links gesteuerten Gewerkschaften auf sich aufmerksam. Der sozialistische Gewerkschaftsbund CFDT fordert eine Rolle für die „gesellschaftliche Demokratie“ neben der parlamentarischen Demokratie. Klar ist an dem Satz nur, dass die verfassungsmäßige Rolle des Parlaments als Volksvertretung eingeschränkt werden soll.
Zugunsten wovon? In Deutschland sind hier immer wieder obskure „Räte“ im Gespräch. Im Hexagon Frankreich geht es um die fortbestehende Macht der Gewerkschaften. Das von ihnen versammelte „Volk“ auf der Straße soll ein direktes Stimmrecht für das Premierministeramt bekommen.
Spielt auch die Antifa mit?
Im Hintergrund gibt es weitere linke Truppen, die bei diesem Spiel mitspielen werden – etwa die Antifa, die zufälligerweise auch schon mit einem LFI-Ticket im Parlament sitzt – und ihre „Legitimation“ direkt aus dem Straßenkampf ziehen. Der in Avignon gewählte Raphaël Arnault hielt laut Berichten eine Kugel im Kopf der Frauenrechtsaktivistin Alice Cordier für gerechtfertigt. Die Grüne Sandrine Rousseau äußert derweil die Meinung, dass die Einstufung als Terrorgefährder (Arnault besitzt sogar drei Einträge als fiché S) nicht ausreiche, um eine Person vom Parlament auszuschließen.
Umfragen sprechen derweil eine andere Sprache als die linken Gewerkschafter: 60 Prozent der Franzosen sehen die Parlamentsauflösung durch Emmanuel Macron mittlerweile als Fehler an. 73 Prozent sind gegen eine reine Linksregierung.
Linker Marsch auf Matignon
Schon zu Beginn der Woche forderte der ehemalige Abgeordnete Adrien Quatennens von der radikal-linken Partei „Aufsässiges Frankreich“ (LFI) einen „großen Volksmarsch“ in Richtung auf das Hôtel de Matignon, Amtssitz der französischen Premierminister. Quatennens galt früher als enger Vertrauter des Parteigründers und großen Zampanos der Linken Jean-Luc Mélenchon, wurde aber kurz vor den Parlamentswahlen wegen häuslicher Gewalt geschasst und in die APO getrieben. Dort scheint er es sich nun gemütlich zu machen. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind Quatennens dabei selbstredend egal. Sein Aufruf provozierte einen breiten Aufschrei und blieb in der Realität folgenlos. Das muss nicht allen Rufern in der Wüste so ergehen.
Viele dachten unwillkürlich an den faschistischen Marsch auf Rom (1922) oder jenen auf das Kapitol in Washington (2021). Memes wurden produziert, auf denen auch ein Mélenchon-Double die roten Haare Quatennens’ trug. Quatennens ist sicher mehr als ein enttäuschter APO-Aufrührer und keineswegs die einzige Figur auf der Linken, die den Kampf um die neue Regierung auf der Straße entscheiden will.