Generalstreik in Frankreich – aktuell 350 km Stau im Großraum Paris, öffentliche Verkehrsmittel größtenteils lahmgelegt, Eiffelturm geschlossen. Die Presse schreibt von den „umfangreichsten Protesten seit 2010.“ In Paris sei die Polizei mit 6.000 Polizisten im Einsatz. Zählungen des Innenministeriums zufolge seien 800.000 Demonstranten in über 100 Städten auf den Beinen gewesen. Es gab Ausschreitungen und Festnahmen. In Paris gingen am Donnerstag auch Autos in Flammen auf, Vermummte schlugen Scheiben ein. Randalierer versammelten sich am Nachmittag vor allem auf dem Place de la République im Zentrum von Paris.
Der Anlass: Die Regierung Macron will die Rente reformieren (Einführung eines Punktesystems und Abschaffung der 42 unübersichtlichen Sonderrentensysteme) und hat dafür extra das Amt eines „Hochkommissars für die Pensionen“, geschaffen, in das der frühere Minister Jean-Paul Delevoye berufen wurde. Er trifft aber auf heftigen Widerstand der Gewerkschaften und der „Straße“. Obwohl man sich grundsätzlich einig sei, dass man das Rentensystem für nachfolgende Generationen reformieren müsse, herrscht große Uneinigkeit über die Methoden. HDelevoye hat angekündigt, seine Vorschläge zum künftigen Rentenplan am Montag oder Dienstag nächster Woche bekannt geben.
„Zuvor sei die Rente auf der Grundlage der besten 25 Lohnjahre oder der letzten sechs Monate berechnet worden. Mit dem neuen Punktesystem beziehe man nun die gesamte Karriere einschließlich der schlechtesten Jahre mit ein. Wie solle es da Gewinner geben ?“ habe Amado, junges Mitglied der Kommunisten, beim Flugblattverteilen gesagt.
Aber die Unzufriedenheit gehe weit über die Rente hinaus, wie der Nachrichtenkanal schreibt. Für die meist links eingestellten Franzosen sei diese Reform „das Ergebnis einer zunehmend neoliberalen Politik zugunsten der Reichen, verkörpert von Emmanuel Macron.“ Nach den „Gelbwesten“-Protesten sei „diese Rentenreform die nächste große Herausforderung für den Präsidenten und ein durchaus heikles Vorhaben.“
Extremisten kochen ihr Süppchen auf dem Generalstreik
Ab jetzt gelte „Auge um Auge“ – mit ACAB („all cops are bastards“) unterzeichnete Drohbriefe seien bei Familien von CRS-Angehörigen (kasernierte Polizeikräfte) u.a. in Grenoble eingegangen, berichtet France TV Info. Und weiter: „Für jeden Bürger, der dieses Wochenende verletzt werde, werde einem Familienmitglied der Sicherheitskräfte dasselbe Unrecht angetan“. Die Behörden zeigen sich sehr besorgt und riefen ihre Beamten dazu auf, die Drohbriefe zur Sicherung von DNA-Beweisen vorerst nicht zu öffnen und Anzeige zu erstatten.
In Paris, Lyon und Bordeaux sind über 3.500 E-Roller von Aktivisten der „Extinction Rebellion“ als „Streikbrecher“ sabotiert worden (Meldung von Le Parisien).
Eisenbahner ließen sich beim Nouvel Observateur hören: „Wir sind da, auch wenn Macron es nicht will, wir sind hier! Zur Ehre der Arbeiter und für eine bessere Welt, auch wenn Macron uns nicht will, sind wir hier „. Die am Bahnhofschalter tätige Camille (1.600 Euro netto im Monat) habe nicht den Eindruck, dass ihre Eisenbahnerinnen-Pension sie, wie es der Präsident ausdrücke, zu einer „Privilegierten“ mache.
Der Wirtschaftszeitung Les Echos machen die Proteste Sorgen um die Konjunktur: Der Handel habe bereits im Laufe des Jahres 30 % des Umsatzes eingebüßt und vertrage einfach keine neuen Demonstrationen, da man sich gerade erst von den Gelbwestenprotesten erholt habe – schon gar nicht zum Jahresende hin.
Nach Ansicht von L’Opinion bereitet Präsident Macron, der sich nach Aussagen aus seinem Umfeld angesichts der Proteste „ruhig und entschlossen zeige“, nach mehr als 18 Monaten Beratung bereits „die Landung“ vor, „um das Tempo zu beschleunigen und Schiedsverfahren einzuleiten, die soziale Konflikte so schnell wie möglich beenden sollten.“ Die Regierung sei bemüht, sensible Fragen zu klären, damit sich im Laufe der Zeit keine sozialen Konflikte entwickelten, heißt es in L’Opinion.
Der Premierminister hat lange Übergangsfristen versprochen, um niemanden zu überfordern. Die Frage ist jedoch, welcher Jahrgang als erster von den neuen Regeln betroffen sein wird. Ursprünglich sollten es die im Jahr 1963 Geborenen sein. Ministerpräsident Philippe hat jedoch zugestanden, dass es sicherlich mehr Zeit, „5 oder 10 Jahre“ geben werde und so zwischen den 1963 Geborenen und späteren Einsteigern in den Arbeitsmarkt mehr Raum bleiben könne. „Der letzte Weg, mögliche Härten zu lindern, besteht immer darin, Verlierer der Rentenreform zu entschädigen. Das wird aber kostspielig“, schreibt die Kommentatorin von L’Opinion. „Normalerweise bringen Rentenreformen die Menschen auf die Straße, weil Einschnitte angekündigt würden. Es ist einzigartig, dass Menschen nun gegen eine Reform auf die Straßen gehen, die nur für den Fiskus teuer wird.“