Tichys Einblick
Kommt nun der Kassensturz?

Frankreich: Linksgrüne Volksfront gewinnt – Eurozone verliert?

Macron stürzte sich wie ein „Kamikazeflieger“ in den Abgrund – und blieb an einem unübersichtlichen Gestrüpp hängen - an der linksgrünen „Volksfront“, von der aber fast die Hälfte nicht zur republikanischen Verfügung steht. Ein linkes Regierungsprogramm könnte sich als verheerend für das Land und die EU-Nachbarn erweisen.

picture alliance/dpa/MAXPPP | Sebastien Jarry

Letztlich hat Emmanuel Macron nur seine eigene Koalition geschrumpft, aus Angst vor dem Tod einen Teil-Suizid begangen. So fasst es auch der Konservative Éric Ciotti zusammen, der den Präsidenten einen „Kamikazeflieger“ nannte. Von 245 Sitzen fiel sein Parteienbündnis „Ensemble“ auf 168 Sitze zurück, verlor 77 oder knapp ein Drittel seiner Sitze. Gestärkt ging die Union der Linken hervor, die sich nun „Neue Volksfront“ (NFP) nennt. Sie erhielt letztlich 182 Sitze, also 51 mehr als bei den letzten Wahlen, als sie schon einmal vereint angetreten war, um dann wieder zu zerfallen.

Gemeinsam haben die beiden Großfraktionen nun eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Und mit diesen neuen Mehrheiten wird Frankreich und die Welt, oder spezieller die Europäische Union, nun leben müssen. Der Machtanspruch der Linken ist natürlicherweise gewachsen nach einem solchen Erfolg, auch wenn die Aufnahme der ultralinken Partei „Aufsässiges Frankreich“ (LFI) in eine auch nur lose Koalition keineswegs feststeht. LFI verfügt aber zudem über mehr als ein Drittel der linken NFP-Sitze (etwa 84). was die absolute Mehrheit gemeinsam mit den Macronisten schon wieder zum Wackeln bringt.

Nichts ist also sicher in Frankreich nach der Wahl, aber eine Koalitionsbildung der Macronie mit verschiedenen linken Parteien ist wahrscheinlich. Auch das Regierungsprogramm, das vielleicht wiederum mit Dekreten und ohne Mehrheit im Parlament durchgesetzt werden wird, wird sich also nach links verschieben.

Ein linkes Regierungsprogramm hätte Folgen für die Eurozone

Bei den Neuwahlen galt für die Macronisten das „Rette sich, wer kann“. Macron hat die eigenen Abgeordneten einem Stresstest ausgesetzt, den nur zwei Drittel bestanden. Nun gilt das „Rette sich, wer kann“ auch für die finanziellen Institutionen rund um Frankreich herum. Was passiert mit dem Euro, wenn Frankreich infolge einer linken Mehrheit seine Staatsausgaben weiter aufbläht. Schon jetzt liegen die Schulden bei über drei Billionen Euro, das sind mehr als 110 Prozent des BIP und verletzen damit die Stabilitätskriterien von EU und Eurozone. Bis 2030 könnten diese Schulden laut Schätzungen auf rund vier Billionen steigen. Erwartet wird irgendetwas zwischen einer linearen Entwicklung und einem exponentiellen Anstieg – das bedeutet, dass die Schulden sogar stärker steigen werden als in der Vergangenheit.

Die Anwendung eines linken Regierungsprogramms mit zahlreichen Sozialausgaben könnte diesen Fall eintreten lassen. Dann stiege auf jeden Fall das Haushaltsdefizit dieses Jahres von vorhergesehenen 5,5 Prozent auf höhere Stände an, obwohl die EU-Kriterien wiederum nur drei Prozent im Jahr vorsehen. Macron hat Frankreich also praktisch schon zum größeren Schuldensünder gemacht und wird das wohl auch durch einen Titanenkampf mit der Linken nicht mehr abwenden können.

Die Schlussfolgerung für Investoren? Die Eurozone wird unattraktiver, weil immer weniger finanzkräftige Staaten eine immer höhere Schuldenlast tragen müssen. Auch die deutschen Ratings werden – so wie die französischen in diesem Jahr – letztlich davon betroffen sein. Auch hier werden die Haushaltsdefizite und Schulden dann teurer werden, die Steuern steigen und die Leistungen des Staates im Gegenzug abnehmen. Ein Abwärtssog ist die generelle Folge einer enthemmten Ausgabenpolitik, wie sie nun in Frankreich droht.

Das Programm der linksgrünen „Neuen Volksfront“ bedeutet beispielsweise:

• Abschaffung des neuen Immigrationsgesetzes und Aushandlung eines neuen Asylsystems in der EU. Das integrierte System nach Faesers Beschluss ist den französischen Linken also nicht weich genug, sie wollen mehr von dem Stoff. Für die EU-Abgeordnete Manon Aubry (LFI) gibt es hier keine Grenze, nur die „unsere Humanität“, die gebietet, bestellt, befiehlt.

• Zudem will die Linksfront Sozialleistungen und andere Ausgaben erhöhen. Bis zu 200 Milliarden Euro soll das kosten. Im Gegenzug wird man die Steuern erhöhen und „progressiver“ machen. Das soll sogar für die Erbschaftssteuer gelten, wo gar ein Höchst-Erbe festgesetzt werden soll. Das dürfte jede unternehmerische Tätigkeit aus Frankreich vertreiben.

• Am zweiten Tag seiner Regierung – so will es der Linke Jean-Luc Mélenchon – „gehen alle, die 62 Jahre alt sind, in Rente, weil wir alle Dekrete über die Rente mit 64 rückgängig machen“. Zudem wird in den ersten zwei Wochen der Mindestlohn auf 1.600 Euro erhöht. Und so sozial das klingen mag, wird es doch hohe Kosten für Industrie und Staat nach sich ziehen.

• Hinzu kommt ein umfassendes Energie- und Klimagesetz, das sich der französischen CO2-Neutralität bis 2050 widmen wird. Offiziell steht das NFP-Programm unter dem Stichwort des „Bruches“. Man will endlich eine „gerechte Finanzpolitik“ einführen und „ungerechte und umweltschädliche Steuerausnahmen“ streichen.

• Ein Moratorium beim Autobahnbau und für große Regenwasserbecken, wie sie die französische Landwirtschaft nutzt, kommt hinzu. Diese Becken werden von Umwelt-NGOs wie Greenpeace kritisiert – nicht zuletzt, weil sie ein „verheerendes agro-industrielles Modell“ aufrecht erhielten.

Unregierbares Frankreich – chaotische EU?

Der Figaro hat dieser Tage die Worte zitiert, die Jacques Chirac gebrauchte, nachdem er 1997 die Nationalversammlung aufgelöst hatte. Sie wären tatsächlich bruchlos auf das Heute und den aktuellen Präsidenten zu übertragen:

„Das alles hätte auf der Straße geendet. (…) Wir waren nicht mehr in der Lage zu regieren. Alles wäre in die Luft geflogen. Die Franzosen (…) glaubten kein Wort von dem, was wir ihnen erzählten. Wenn ich die Dinge hätte schleifen lassen, ohne die Nationalversammlung aufzulösen, möchte ich mir nicht vorstellen, was passiert wäre. (…) Frankreich ist ein unregierbares Land. Es wollte uns und unsere Reformen nicht mehr. Ich habe die Konsequenzen daraus gezogen.“

Diese Worte wurden freilich gesagt in einer Zeit, in der immer schon eine andere Partei oder Parteiengruppe an der Seitenlinie stand, um die Staatsgeschäfte zu übernehmen, und vor allem in einer Zeit, da es nicht fraglich war, dass wenn die eine Parteiengruppe sich nicht mehr an der Macht halten konnte, dies dann der anderen Gruppe von Parteien auf jeden Fall möglich wäre. Das aber ist heute weder in Frankreich noch in Deutschland und vielen anderen Ländern der Fall, seit die Parteienlandschaften sich – aus immer verschiedenen und doch ähnlichen Gründen – vielerorts so sehr zersplittert hat.

Chiracs Worte könnten also das Denken Macrons von heute wiedergeben, der sozusagen noch in dieser guten alten Zeit feststeckte, aber die Folgen von Macrons Handeln werden ganz andere sein als die von Chiracs damaliger Entscheidung. Damals folgte eine lange Kohabitation mit den Sozialisten unter dem Premier Jospin. Heute weiß man nicht wirklich, was folgen wird. Denkbar sind Neuwahlen, sobald das die Verfassung erlaubt, also in etwa einem Jahr.

Alles das gehört zu den Ungewissheiten dieser Zeit, aber vor allem auch wiederum zu den unnötigen Ungewissheiten, die Macron und die Linke Frankreich durch ihre Wahlmanipulation am offenen Herzen der Demokratie eingebrockt haben. Eine Mehrheit wäre nach der ersten Runde durchaus möglich und denkbar gewesen, aber einige Parteien haben sich dazu verabredet, dieselbe zu hintertreiben. Nun müssen sie mit den Ergebnissen leben. Das Land liegt in politischen Scherben auf dem Boden verteilt, und in denen könnten sich noch ganz andere die Füße aufschneiden.

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