Wechselnde Mehrheiten – das ist nicht nur für die Regierungsfraktionen das neue Spiel in der französischen Nationalversammlung. Auch die Opposition spielt mit und hat nun einen Gesetzentwurf der Macronisten in Teilen ausgebremst.
Tatsächlich kam der größere Teil eines neuen Gesetzes der „Wachsamkeit und Gesundheitssicherheit“ durch, nur für einen Artikel fand sich bezeichnenderweise keine Mehrheit. Er sah die Verpflichtung, einen „Gesundheitspass“ („passe sanitaire“) vorzulegen, auch für Kinder ab zwölf Jahren vor. Kurz nach Mitternacht wurde der betreffende zweite Artikel des Entwurfs von den vereinten Stimmen der linken NUPES-Gruppe, des Rassemblement National (RN) und der konservativen Républicains (LR) niedergestimmt.
Die Regierung von Elisabeth Borne legte einen Gesetzentwurf vor, der die Wiedereinführung des „passe sanitaire“ schon ab dem 1. August ermöglichen soll. Darin sind auch Grenzkontrollen vorgesehen, bei denen ein „Gesundheitspass“ obligatorisch werden kann. Das würde bedeuten, dass für die Einreise nach Frankreich erneut eine Behandlung mit Gentherapeutika („Covid-Impfung“) oder ein negativer Test notwendig wäre.
Von der möglichen Wiedereinführung des „Impfpasses“ („passe vaccinal“), also ein ähnliches Modell, nur ohne Möglichkeit der „Freitestung“, hatte vor zwei Wochen der Bürgermeister von Nice, Christian Estrosi, berichtet. Diese Variante kam dann doch nicht. Allerdings wurden die übrigen Artikel des aktuellen Gesetzentwurfs, die eine Rückkehr des „passe sanitaire“ für Erwachsene ab August ermöglichen, angenommen.
Elisabeth Borne: Jegliche Kontrolle an den Grenzen verhindert
Große Aufregung im Regierungslager – oder doch mehr gespielte Empörung als echte Erregung? „Die Lage ist ernst“, schrieb Premierministerin Borne in einem Tweet. Die verbündeten Oppositionsfraktionen hätten „jegliche Kontrolle an den Grenzen“ verhindert, und das „im Angesicht des Virus“. Nachdem sie ihre eigene „Ungläubigkeit über diese Abstimmung“ überwunden habe, werde sie „dafür kämpfen, dass der Geist der Verantwortung im Senat siegt“. Einige antworteten, dass man sich an den Grenzen zunächst einmal den Schutz vor illegaler Migration wünsche, nicht vor dem „größeren Schnupfen“, der Covid inzwischen geworden ist.
Im Regierungslager ist man besonders entsetzt darüber, dass die linke NUPES-Fraktion keine Hemmungen zeigte, mit Républicains und Rassemblement National zu stimmen. Die macronistische Minderheit ist damit potenziell eingekesselt.
Der RN-Abgeordnete und stellvertretende Parlamentspräsident Sébastien Chenu stellte fest: „Das Parlament hat seinen Job gemacht, und die Regierung scheint darüber erstaunt zu sein.“ Jeder Abgeordnete müsse für seine Überzeugungen abstimmen, ohne darüber nachzudenken, was sein „Nachbar“ tut. Dass eine Regierung nicht alle ihre Gesetzesentwürfe durchkriegt, das sei eben Demokratie. Dem stimmte auch der NUPES-Abgeordnete Adrien Quatennens zu.
Es war also keine Absprache zwischen den drei Fraktionsgruppen, nur die natürliche Konvergenz der Ansichten. Als Chaos und naturwidriger Zustand erscheint solches nur aus Sicht der Regierenden. Sogar der Fraktionsvorsitzende der Républicains, Olivier Marleix wies darauf hin, dass die Franzosen „die Nase voll haben“ von den diversen „Pässen“ der Regierung. Einige Konservative stimmten aber auch für den zweiten Artikel, der die Gesundheitspasspflicht auf Minderjährige ausdehnt. Die Républicains haben derzeit noch die Mehrheit im Senat, auf den Premierministerin Borne nun setzen will, um die mangelnde Stromlinienförmigkeit der neuen französischen Nationalversammlung auszugleichen.