Tichys Einblick
Stolzmonat à la française

Intersexuelles Boxen und ganz viel Stolz: Wie Macron seine Politik mit allen Mitteln fortsetzen will

Frankreich gönnt sich eine Auszeit von der Politik und treibt sie doch mit den Spielen weiter: Auf die queere Eröffnungsshow folgen die Wettbewerbe im intersexuellen Boxen. Macron stellt alles unter die Überschrift „Stolz“ und schmiedet im Hintergrund an einer Koalition des „Beides zugleich“.

picture alliance / abaca | Niviere David/ABACAPRESS.COM

Sofort nachdem er die Olympischen Spiele feierlich mit wenigen Worten, dafür einigen Live-Tweets eröffnet hatte, reiste Macron ab auf die Festung Brégançon, das offizielle Sommerhaus der französischen Präsidenten an der Mittelmeerküste. Und eines muss man dem französischen Präsidenten überlassen: Er versteht das Märchen vom Hasen und Igel gut, ohne es wohl je gelesen zu haben. Aber sein „Ick bün all hier!“ (Ich bin schon da!) erschallt derzeit durch die ganze Republik und darüber hinaus. Und es ist in diesem Fall nicht seine Frau Brigitte (wie die Frau Igel im plattdeutschen Märchen), die einen Teil der Auftritte für ihn übernimmt, sondern die Plattform X.

Die internationale Presse ist angenehm überrascht von der Gastfreundschaft der Pariser, die sich anscheinend im Glanze von Olympia wohler fühlen und freundlicher sind als sonst – jedenfalls zu Angelsachsen. Dagegen soll das olympische Dorf eine Katastrophe sein, was Essen und Klimatisierung, auch was die Bequemlichkeit der umweltfreundlichen Papp-Betten angeht. Und die Seine ist trotz einem Reinigungsaufwand von 1,4 Milliarden Euro nicht für Schwimmwettbewerbe zu nutzen, wie der kanadische Triathlet Tyler Mislawchuk am eigenen Leib erfuhr: Er musste sich nach einem Wettbewerb mehrfach übergeben, einmal direkt auf das olympische Tapet. Inzwischen sind zwei weitere Triathleten erkrankt, an E. coli und einer Magendarmkrankheit.

Auch sonst hat Macron so seine liebe Not – oder eher die Franzosen haben ihre mit Macron: Der nationale Rechnungshof hat festgestellt, dass sich die Ausgaben des Präsidenten für Staatsbesuche und Empfänge in zwei Jahren mehr als verdoppelt haben. Ein Staatsbankett konnte dabei mit bis zu 475.000 Euro zu Buche schlagen – der Fall des Besuchs von Charles III. Es gibt dazu ein Bild, auf dem Macron und Charles sich mit Sektflöten zuprosten, daneben gab es Hummer, aber offenbar sehr hochpreisigen. Der Besuch von Narendra Modi kostete den französischen Staat ebenfalls 412.000 Euro. Diese Nachrichten gehen aber eher unter in diesem Olympia-Sommer.

Derweil befindet sich Macron in dem angedeuteten Schwebezustand. Einerseits ist er sofort nach der Eröffnung nach Südfrankreich abgereist. Ob er sich dort mit Politik und der Regierungsbildung beschäftigt, ist nicht klar. Wohl aber läuft sein X-Feed vor Jubelmeldungen aus Paris und den anderen Sportstätten über, vor allem ein Wort kehrt immer wieder „Stolz“.

Macron hatte die Spiele von Paris fast offiziell unter dieses Motto und diesen Begriff gestellt: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Stolz.“ Das spielt ganz sicher mit der ambivalenten Bedeutung des letzten Wortes irgendwo zwischen Nationalstolz und „Pride in Diversity“. Frankreich soll heute vor allem eine Idee sein, ein Land auf vier Kontinenten und neues Amerika im Herzen Europas. Das ist alles merkwürdig genug. Der Höhepunkt von Macrons X-Feed war dieser. Daneben erkennt er überall Mythisches aus der französischen Geschichte, etwa: „Brüderlichkeit“, wo ein Staffelmitglied auf das andere schaut. Oder „Einer für alle, alle für einen!“

— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) August 2, 2024

Archaisches Algerien trifft postmodernes Wokistan

Wirklichen Aufruhr bedeuteten aber die mehrfachen Mann-gegen-Frau-Boxkämpfe dieser Spiele, die nach allen Zeichen etwas Geplantes haben. Zuerst die queere Diversity-Parade der Eröffnungszeremonie, nun die demonstrative Gleichstellung von offensichtlichen Nicht-Frauen mit Frauen, das heißt: die Benachteiligung der körperlich schwächeren Frauen. Der Kampf darum tobt nun weltweit auf X, wo Trans-Kritiker auf die Trans-Lobby treffen.

Interessant ist, wie sich die archaische Unfähigkeit der islamischen Kultur Algeriens, mit einem vielleicht nicht ganz männlichen Mann umzugehen, sich mit der postmodernen Bereitschaft des Westens trifft, jede beliebige Geschlechtsidentität zuzulassen und diese dann in einem Pressestatement lang und breit immer wieder als „woman“ zu benennen. In der Tat: In IOC-Präsident Thomas Bachs Aussprache klang das Wort fast wie einer der Sprachscherze einer J. K. Rowling, die einmal so tat, als könne sie sich nicht mehr an das englische Wort für Frau erinnern. Hieß es: „Wumben? Wimpund? Woomud?“

Für Thomas Bach ist also jemand, der sich wie eine Frau anzieht, so behandelt wird, manchmal als solche an Wettbewerben teilnahm, automatisch schon eine Frau. Doch Imane Khelif wurde von der Weltmeisterschaft 2023 ohne Angabe von Gründen ausgeschlossen. Und Emmanuel Macron sitzt auch bei diesem Thema mitten drin, mitten in den Nesseln. Denn auch der Präsident hatte den Boxer schon 2022 getroffen, der nun bei den Spielen von Paris eine Frau in weniger als einer Minute niedergeboxt hat. Macron schien 2022 heftig mit ihm zu flirten, lud Khelif zu den Spielen in Paris ein und wünschte ihm Glück. Alles für die französisch-algerische Freundschaft! Doch die 33. Olympischen Spiele verspielen damit den Rest ihrer Aura von Fairness und Neutralität. Sie werden zu Spielen der Schande.

Macron will alles, aber nicht von allen

Eigentlich müsste Macron ja bis Mitte August einen Premierminister ernennen. Und das soll einer nach seiner Wahl werden, der nicht nach dem Geschmack der größten Fraktion im Parlament sein müsse, so findet Macron, Frankreichs präsidialster Präsident seit langem. Es kommt ihm aber bereits zugute, dass nicht einmal Einigkeit darüber besteht, wer die stärkste Fraktion stellt: Es könnte die zerstrittene und der Spaltung nahe linke „Volksfront“ sein – oder das Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen, das die bei weitem am stärksten im Parlament vertretene Partei ist.

Und obwohl es von vielen Ämtern – vor allem im Präsidium des Parlaments – ausgeschlossen wurde, ist das RN dann doch auf gewisse Art bei dieser Regierungsbildung dabei, wenn auch nur als Zaungast und Wegweiser. Denn seine gestärkte Präsenz in der Nationalversammlung legt nahe, dass es in dieser Lage unratsam wäre, eine radikale Wende nach links zu vollziehen, nachdem die „Nationalen“ in drei Wahlgängen die relative Mehrheit aller Stimmen gewonnen haben.

In etwa das sagte Macron in einem nur leicht wirren Fernsehinterview im Juli. Er fand es auch gar nicht gut, dass die Linken (NFP) die Rechten (RN) aus dem Parlamentspräsidium ausgeschlossen hatten. Das war anscheinend etwas zu viel „pseudo-republikanische Front“ für seinen Geschmack. Daneben wies Macron – wie ein guter Patron – darauf hin, was seines Erachtens auch weiterhin gut für das Land wäre: seine eigene Politik mit all ihren Problemen. Das Parlament hat dieser Meinung Macrons offenbar zu folgen, so sieht es der Präsident, der sich damit schon fast auf das Feld einer konstitutionellen Wahlmonarchie wagt.

Allerdings hat dieser Jupiter-Sonnenkönig Macron nun auch die relative Mehrheit der Stimmen im Parlament verloren, die seinen Regierungen zuvor eine gewisse Legitimität verlieh. Die relative Mehrheit gehört nun entweder dem RN oder der linken „Volksfront“, je nach Wertung.

Le Pen als Wegweiser für eine Koalition?

Macrons Appell an die Linken (und die Republikaner) in seinem Fernsehinterview war daher schon leicht paradox eingefärbt. Er forderte dort allen Ernstes, dass die linken Sozialisten, Kommunisten usw. und die rechten Republikaner ihre Stimmzuschanzungsmaßnahme aus der zweiten Wahlrunde ehren und nun auch sämtlich mit der Macronie zusammenarbeiten sollen. Nur will ja auch Macron nicht mit den radikalen Linken vom „Aufsässigen Frankreich“ (LFI) zusammenarbeiten, obwohl auch seine Renaissance-Partei manch einen Kandidaten zurückzog, damit LFI-Kandidaten gewannen.

Macron gibt auch aktuell Kostproben seiner monarchischen Amtsauslegung. Obwohl er selbst eine „politische Waffenruhe“ für die Dauer der Sommerspiele erklärt hatte – zu Deutsch: keine Schüsse auf den Präsidenten und obersten Zeremonienmeister! –, verkündete er in dieser Woche die Anerkennung des marokkanischen Anspruchs auf die Westsahara. Diese Entscheidung war gewissermaßen zu erwarten, aber Algerien hörte das trotzdem nicht gerne. Die Überlassung der Westsahara an Marokko stand auf dem Zettel der EU, die dadurch die Beziehungen zum Königtum am Kap verbessern will. Insofern war es keine willkürliche Entscheidung Macrons, vielleicht nicht einmal eine souveräne.

Nun haben die Linken am Ende doch einen gemeinsamen Kandidaten für das Premierministeramt vorgestellt. Es ist die 37-jährige Verwaltungsbeamtin Lucie Castets, die bisher noch nie ein politisches Amt innehatte oder auch nur irgendwo zur Wahl stand. Sie ist, so erfuhr man am Freitag aus einer neuen Umfrage, schon jetzt äußerst unbeliebt außerhalb ihres eigenen Lagers, also bei Anhängern von Macronie und RN, und das wohl vor allem, weil sie das Einheitsgesicht für die Koalition von Sozialisten, Grünen und der extremen Linken (LFI, Kommunisten) ist, wie die Finanzzeitung Les Échos zusammenfasst.

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