Frankreich: Innenminister Darmanin will Abschiebungen erleichtern
Matthias Nikolaidis
Ab Herbst soll das französische Asylsystem grundlegend überholt werden. Derzeit entzweit der Fall eines radikalen Predigers weniger die Nation als einzelne Parteien. Die Linken sind sich nicht einig. Marine Le Pen fordert die Schließung von Moscheen und die Ausweisung dutzender Imame.
Gérald Darmanin, inzwischen langjähriger Innenminister unter Emmanuel Macron, setzt unter dem Druck der Geschehnisse und dem der politischen Mitbewerber zu einer grundlegenden Umgestaltung des französischen Migrationsrechts an. Im Oktober will Darmanin sein altes Projekt eines Immigrationsgesetzes, das eher ein „Gesetz zur Immigration“ ist, auf die Agenda setzen. Und schon in diesen Tagen schlägt er eine Vielzahl von Maßnahmen vor, um das französische Asylsystem zu entlasten. So soll abgelehnten Asylbewerbern künftig umgehend ein Abschiebungsbescheid zugestellt werden. Nur 30.000 von 140.000 Asylanträgen würden angenommen, sagte Darmanin gegenüber dem Nachrichtensender CNews.
Im Interview mit dem Sender schlägt Darmanin einen mittleren Kurs zwischen der „militanten Naivität“ der Linken und der von der extremen Rechten gezeichneten „Karikatur“ vor: „Die Ausländer sind willkommen, solange sie die Werte der Republik und Frankreich respektieren. Wenn sie Frankreich nicht respektieren, sind sie nicht willkommen.“ Das sei der „Vorschlag des gesunden Menschenverstands“ in dieser Frage. Das ist natürlich eine Einteilung des politischen Spektrums, wie sie Darmanin und den Seinen behagt. Er hofft so, als Ausgleich zwischen Mélenchon und Le Pen wahrgenommen zu werden, steht aber tatsächlich der Rechten näher als viele andere Minister im Kabinett Borne.
Ein konkretes Beispiel aus der Aktualität ist der Fall des in Frankreich geborenen marokkanischstämmigen Imams Hassan Iquioussen aus dem Umfeld der Muslimbrüder. Am Dienstag verkündete Darmanin seinen Erlass, mit dem er die Ausweisung Iquioussens angeordnet hat, nachdem im Juni auch ein damit befasstes Gremium zu diesem Schluss gekommen sei.
Auf Youtube ruft der radikale Prediger zur rigorosen Anwendung der Scharia auf, verneint folglich die Gleichheit von Männern und Frauen, äußert sich angeblich antisemitisch und homophob. Insgesamt wendet er sich so auch gegen die republikanische Laizität, die in Frankreich die strikte Trennung von Staat und Religion festschreibt. Die Attentate von 2015 gegen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und andere Ziele nennt er „Pseudo-Attentate“. Der 57-jährige Iquioussen, der im Alter von 16 Jahren auf die französische Staatsangehörigkeit verzichtete und fünf Kinder hat, setzt seinerseits auf die französische Justiz, die seinen Abschiebungsbescheid aufheben werde. Marokko hat die Überstellung des Landsmanns bereits akzeptiert.
Formuliert man an diesem Fall orientiert eine allgemeine Frage – „Sollten Imame mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die sich anti-republikanisch äußern, ausgewiesen werden?“ –, so ergeben sich auch im linken Lager große Mehrheiten. 92 Prozent der Anhänger von Sozialisten und 96 Prozent der Grünen-Unterstützer stimmen der Frage zu. Bei der Linkspartei La France Insoumise (LFI) sind es immerhin noch 71 Prozent, was ein Schlaglicht auf deren Wählerschaft wirft. Aber eine sehr breite, tief bis ins linke Lager reichende Unterstützung für das Vorgehen ist festzustellen. Dennoch ist der France-Insoumise-Abgeordnete David Guiraud dem Prediger zu Hilfe geeilt. Darmanins öffentliche Ankündigung diene nur der Eitelkeit des Ministers, weil er derzeit wegen der allseits diskutierten Maßnahmen gegen die Teuerung zu wenig in den Medien vorkomme. Die Vorwürfe gegen den Prediger seien Jahre alt und er habe keine Straftat begangen.
Darmanins Probleme sind Ausländerkriminalität und Anti-Polizei-Linke
Dabei kann sich Darmanin eigentlich nicht über zu wenig Aufmerksamkeit für seinen Politikbereich beklagen, zu dem auch die innere Sicherheit gehört. Am vergangenen Wochenende war er nach Lyon geeilt, in den Stadtteil La Guillotière, in dem unlängst drei Polizisten bei einer Festnahme angegriffen und zusammengeschlagen wurden. Darmanin stellte sich demonstrativ hinter die Beamten. Keine Zeit für den Termin hatte der grüne Bürgermeister von Lyon, Grégory Doucet. Für Darmanin war klar: „Wer nicht anwesend ist, hat immer Unrecht. Ich denke, dass der Bürgermeister einen schweren Fehler gemacht hat.“ Für die Polizei sei es schwierig, wenn sie nicht von ihrem Bürgermeister unterstützt wird. Bei NUPES ebenso wie im grünen Lyoner Rathaus gebe es eine Anti-Flic-, also Anti-Polizei-Einstellung, so Darmanin.
La Guillotière ist eines der bewussten Viertel mit einer überwiegenden Bevölkerung mit maghrebinischen, türkischen, nahöstlich-asiatischen und afrikanischen Wurzeln, das heute von Gewalt, Unsicherheit, Drogenhandel und Bandenkämpfen heimgesucht wird. 60 Prozent der Kriminalität in La Guillotière wird auf Personen ohne französischen Pass zurückgeführt. In vielen Gegenden des Landes spitzt sich die Lage seit Jahren zu. Vom Stade de France über den Trocadéro-Platz am Eiffelturm bis hin zu neueren Vorfällen, bei denen bevorzugt Messer zum Einsatz kamen – wie jener Fall aus dem Zentrum von Angers, wo Mitte Juli drei junge Männer zwischen 16 und 20 durch eine „Stichwaffe“ zu Tode kamen. Der sudanesische Migrant hatte zunächst einige jungen Mädchen belästigt, um später zurückzukehren und die drei jungen Männer mit Messerstichen in die Brust zu töten. Weitere Personen kamen zu Schaden.
Am 2. August wurde ein Busfahrer in Cherbourg durch ein Messer verletzt, wie die regionale Tageszeitung Ouest-France berichtet – eine makabre „Premiere“ in einem Lebensbereich, in dem seit einiger Zeit immer mehr Busfahrer von bestimmten Fahrgästen aggressiv angegangen werden. Es mangelt also nicht an Anlässen für Darmanins „Schocknote“ an die Präfekten.
Darmanin: Abschiebeplätze für straffällige Ausländer freihalten
Für Darmanin haben auch diese Fälle direkt mit der Zuwanderung zu tun. Laut dem Minister sind sieben Prozent der Einwohner Frankreichs heute Ausländer, die jedoch 17 Prozent der Straftäter ausmachen. Und sogar dieses Problembewusstsein könnte die politischen Lager in Frankreich mehr einen, als manchen bewusst ist. Der ehemalige Journalist, Mitbegründer von „Reporter ohne Grenzen“ und heutige Bürgermeister des okzitanischen Béziers, Robert Ménard, gewählt mit der Unterstützung einer rechten Koalition aus Rassemblement National und Souveränisten, sieht im Nachrichtenkanal CNews eine klare Mehrheit der Franzosen (über 70 Prozent) einig darin, dass etwas mit der Immigration geschehen müsse.
Darmanin will die Abschiebehaft nun vor allem straffälligen Ausländern ohne gültigen Aufenthaltsstatus vorbehalten. Sie sollen also bevorzugt abgeschoben werden. Beim Besuch einer Lyoner Einrichtung fand Darmanin unter 76 abzuschiebenden Migranten nur 15 mit Vorstrafenregister vor. Das war Darmanin zu wenig, vor allem angesichts der starken Zunahme der migrantischen Kriminalität. Er verfasste folglich seine Anweisung an alle Präfekten des Landes. Darmanin gibt sich so den Anschein eines Politikers, der es darauf anlegt, die Ausländerkriminalität zu minimieren.
Der grüne Bürgermeister Doucet weist auch diese, ebenso wie andere Forderungen Darmanins zur inneren Sicherheit zurück. So gebe es bereits genug Überwachungskameras im Problemviertel Guillotière. Auch sollen Kameraaufnahmen der Stadt nicht live mit der Polizei geteilt werden. Der Datenschutz wird in Lyon vom grünen Bürgermeister persönlich überwacht: Die Stadt gesteht sich zwar selbst das Recht zu, Aufnahmen zu machen, gibt sie aber nur auf Antrag, vielleicht vorgefiltert an die Polizei weiter.
Le Pen: Dutzende Imame ausweisen, radikale Moscheen schließen
Doucet lehnt noch weitere Maßnahmen gegen die Parallelgesellschaft in La Guillotière ab und findet es im Allgemeinen überhaupt nicht gut, dass die mediale Aufmerksamkeit sich so sehr auf die Themen Sicherheit und Immigration richtet. Für Doucet darf es offenbar noch ein bisschen mehr von alldem sein. Derweil treibt er auch in Lyon eine typisch grüne Stadtpolitik voran, die auf mehr Fußgängerzonen und Begrünung hinausläuft. Beides könnten mehr oder weniger harmlose Hobbys eines Bürgermeisters sein – doch die Brot-und-Butter-Themen sollte man daneben vielleicht auch bearbeiten.
Wovon kündet nun aber Darmanins Anweisung an die Präfekten zur raschen Ausweisung straffälliger Migranten? Offenbar von einem Überlaufen der französischen Sicherheitsbehörden von derartigen Fällen. Die kriminellen Migranten dürften zudem leichter abzuschieben sein, insofern könnte ihre Vorziehung zu einer Beschleunigung des gesamten Verfahrens führen. Insgesamt erscheint Darmanins Vorschlag als Vorstufe zu der für den Herbst vorgesehenen Verschärfung des Asylrechts in Frankreich.
Darmanin folgt so mit Sicherheit nicht nur den Stimmen der parteipolitischen Konkurrenten. Seine Vorschläge dürften auch der Not gehorchen. Marine Le Pen hält Darmanins Vorschläge für Balkonreden, während die Politik Emmanuel Macrons zu mehr Immigration nach Frankreich als je zuvor führe. Ausweisungen einzelner Straftäter würden nichts mehr ändern, notwendig sei eine grundlegende Modifikation der Migrationspolitik insgesamt. Außerdem sei Iquioussen nur einer von dutzenden Imamen, die eigentlich ausgewiesen werden müssten. Die Liste der Moscheen, die sich gegen die Ausweisung des Marokkaners ausgesprochen haben, müsse als Grundlage für eine Liste radikaler und zu schließender Moscheen dienen.
Wenn irgendetwas, dann machen diese Worte Le Pens die Blütenträume von einer Aufteilung illegaler Migranten zwischen Deutschland, Frankreich und anderen EU-Staaten, wie sie noch kürzlich in deutschen Medien verbreitet wurden, zunichte.
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