In Frankreich kann man sehen, dass verschiedene Wege aus der derzeitigen Krise möglich wären. Nach Emmanuel Macrons umstrittener Intervention in die Diskussion um 2G in Frankreich und einen sogenannten „Impfpass“, hat Marine Le Pen festgehalten: „Wenn man sich einer Krise gegenübersieht, welche auch immer das ist, muss man vor allem die Einheit des Landes suchen. Nur aus der Einheit des Landes heraus kann man Krisen lösen, nicht durch die Spaltung.“ Macron will die Einheit durch Zwang herstellen, nicht anders als die Regierenden in Deutschland auch. In einem breit kritisierten Interview sagte er, er habe Lust, die Nicht-Geimpften in Frankreich fortan noch gründlicher, ja „bis zum Anschlag“ zu nerven („emmerder les jusqu’au bout“). „Ungeimpfte“ seien verantwortungslos und folglich keine Bürger mehr, erklärte Macron in einem Anfall jugendlichen Leichtsinns, den ihm seine Rivalen um die Präsidentschaft als eiskaltes Wahlkampfmanöver auslegen. Er wolle die Debatte hysterisieren und die Gesellschaft spalten, urteilte etwa auch die Website Valeurs actuelles.
Policiers en colère: Nicht einkesseln, sondern mitmachen
Als Reaktion auf das Vorhaben – und auf Macrons polarisierende Äußerungen – wurde allgemein von einer verstärkten Tendenz zum Demonstrieren in ganz Frankreich ausgegangen. Am Samstag fanden in mehreren Städten Protestmärsche statt. Allein in Paris gab es mehrere Veranstaltungen, darunter auch eine Demonstration der Gelbwesten. Weitere Demonstrationen sind wöchentlich jeden Samstag geplant. Laut offiziellen Schätzungen gingen in ganz Frankreich weit mehr als 100.000 Menschen gegen den Regierungsplan für weitgehendes 2G auf die Straße. Dagegen spricht die Gewerkschaft „Policiers en colère“ (Polizisten in Wut), die an den Protesten teilnahm, von insgesamt 410.000 Teilnehmern. Es ist dasselbe Spiel wie hierzulande: Auch durch die Zahlen soll dieser Protest kleingemacht werden.
In der linksliberalen Tageszeitung Le Monde findet man eine ausführliche Reportage zu dem Protest vom vorletzten Sonnabend, wobei viele Stimmen zu Wort kommen. Darunter sind auch drei Studenten, die finden, dass auch die französischen Mainstream-Medien es sich zu einfach machen, wenn sie von Corona-Demos nur Bilder mit „Extremisten und Verschwörungstheoretikern“ zeigen. Man solle verstehen, dass Jugendliche „das Recht haben, sich eine eigene Vorstellung zu machen und dadurch nicht verantwortungslos oder zu Verschwörungstheoretikern werden“.
Konservative Skepsis über den „Impfpass“
Im Gegensatz zur Nationalversammlung, wo Macrons Partei LREM über eine Mehrheit verfügt, haben im Senat die Mitte-Rechts-Fraktionen (Les Républicains und Union der Zentristen) die Mehrheit der Sitze. Die konservativen Républicains – auch sie werben im Wahlkampf um eine vielfältige Klientel – schwanken zwischen entschiedener Kritik an Macron und Zustimmung zu seinen Plänen. So warf die Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse dem Präsidenten nach seinem provokativen Patzer vor, die Franzosen „in gute und schlechte Bürger“ einzuteilen.
Aber zuletzt waren auch die Républicains für den Impfpass. Der wortführende Senator Philippe Bas sagte, der „Impfpass“, so nützlich er auch sei, behebe keineswegs die „Unordnung in den Schulen, bei der Arbeit und in den Krankenhäusern“. Das Gesundheitssystem, so versteht man ihn wohl recht, werde derzeit vor allem von „geimpften“ Bürgern belastet, die sich mit der Omikron- Variante infizieren.
Deutsche Antifa: Demonstrieren gegen die bürgerlichen Freiheiten
Die Sozialisten wollen auch in Frankreich eine explizite „Impfpflicht“ beschließen – die soll allerdings nicht für die Bürger gelten, sondern für den Staat. Man versteht das Konzept noch nicht ganz. Kommunisten und Ökologen werden gegen Macrons „Impfpass“ stimmen, den sie als Ausdruck einer „die Freiheit tötenden Kontrollgesellschaft“ („société de contrôle liberticide“) ansehen. Marine Le Pen hat sich deutlich gegen beide Pass-Arten gestellt. Auch der „Gesundheitspass“ habe keine Wirkung auf die Infektionszahlen gehabt.
Womit wir bei dem Teil des politischen Spektrums wären, der in Deutschland in letzter Zeit eine extreme Staatsnähe gezeigt hat, wenn man von Ausnahmefiguren wie Oskar Lafontaine oder Sarah Wagenknecht absieht. In Frankreich sind die Kritik an den Mächtigen und die Freiheitsliebe noch als Raison d‘être der Linken erhalten. Man steht stets einen Schritt vor dem Tyrannenmord. Vielleicht ist es das republikanische Erbe des alten Roms, das hier noch lebt. Und so kommt es, dass auch die französische Antifa dem anmaßenden Macron, der über „citoyen“ oder nicht bestimmen will, das zornige „En garde, citoyens!“ der französischen Nationalhymne entgegenrufen – wie hier am 8. Januar in Paris.
Dagegen dient sich die deutsche Antifa aus Sicht vieler Beobachter der Staats- oder eher noch Parteienmacht als Büttel an, macht als „schwarzer Block“ gegen Demonstrationen mobil, also gegen die Kritik an den Regierenden und letztlich gegen die Freiheitsrechte der Bürger. Von Kritik an einer „freiheitstötenden Politik“ (wie in Frankreich) ist bei diesen „Gegendemonstranten“ nichts zu hören. Man findet die Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten offenbar gut. So versammeln sich die Linksorientierten im Berliner Stadtteil Pankow unter dem sprechenden Titel „Nu is jleich zappendusta!“, also berlinerisch für „Jetzt reicht‘s“ – „Basta!“, wie ein Altkanzler aus Hannover zu sagen pflegte.
Die deutsche Antifa sieht es offenbar als ihre gottgegebene Aufgabe an, die jeweils Regierenden – inzwischen schon der zweiten Regierung – gegen den Unmut der Bürger in Schutz zu nehmen. So ist eine seitenverkehrte Welt entstanden, in der sogenannte „Rechte“, natürlich mit Esoterikern und Spinnern, gegen den „starken“, ja übergriffigen Staat protestieren, während sich die Antifa in ungewohnter Weise mit Staatsmacht und Sicherheitsbehörden gemein macht. Gelegentlich tritt sie sogar, ordnungsgemäß vermummt, als „Antifa-Maskenkontrolle“ auf.
„Wir sind echte Krieger, man kann uns nicht korrumpieren, wir bleiben bei unseren Überzeugungen“
Französische Antifa-Vertreter macht dieses Verhalten anscheinend sprachlos, wie ein von den Gilets Jaunes Internationale (Gelbwesten International) verbreitetes Video aus dem vergangenen Jahr zeigt. Darin ereifern sich zwei französische Antifa-Vertreter über ihre deutschen Glaubensbrüder. „Diese Flagge dürfen sie nicht verwenden, weil sie nicht wirklich Antifa-Werte vertreten“, sagt der eine von ihnen auf Deutsch. Doch was sind Antifa-Werte aus französischer Sicht? Man ist zum Beispiel „gegen die Masken, gegen diesen ganzen Blödsinn, oder?“ Außerdem sei man natürlich auch gegen den Kapitalismus – auch, so kann man verstehen, den Kapitalismus der Impfstoffhersteller, der allerdings eher einem Staatsmonopolkapitalismus ähnelt.
Ein dritter Genosse steigert die Kritik: Die deutschen Antifa-Demos für die „Gesundheitsdiktatur“ beschmutzten die Bewegung. Der Vermummte setzt seine Philippika fort: Man sei als französischer Antifa natürlich „Anti-Nazi, Antikapitalisten, Anti-New-World-Order, Anti-Diktatur – Sie sind für die Gesundheitsdiktatur. Es tut mir leid…“ An die Stelle des zivilen Ungehorsams habe die deutsche Antifa den Gehorsam gesetzt. Am Ende sind beide Antifa-Vertreter im Bild einig, dass es sich nur um eine „Fake-Antifa“ handeln könne. Aber die Franzosen sind am Ende auch etwas ratlos, denn ihre deutschen ‚Kollegen‘ sind für sie offensichtlich manipuliert worden.
Man kann sich nur einen Reim auf diese Dinge machen: In Deutschland haben gewisse „linke“ Tendenzen den Gang durch die Institutionen offenbar so gründlich vollzogen, dass sie sogar die Antifa mit sich zogen. In der Pandemie träumen die Antifas den Traum von allumfassender Kontrolle und Impfpflicht mit und glauben so vielleicht einen Schritt näher an die Verwirklichung kollektivistischer Phantasien zu kommen.
Doch diese Straßentrupps sind damit jedes emanzipatorischen Charakters entkleidet, den sie in Deutschland vielleicht nie besaßen. Aber auch die beiden Gelbwesten, die das Interview mit den französischen Antifas führten, kommen aus dem Staunen nicht so recht heraus und müssen den beiden Männern in Schwarz gelegentlich sogar Recht geben.
Und noch ein Reim ergibt sich so, und kein sehr schmeichelhafter für Deutschland: Die Spaltung ist hier noch tiefer als im Nachbarland Frankreich. Während dort alle die Einheit der Nation zumindest noch beschwören, haben es sich hier viele schlicht in ihrer Ecke bequem gemacht und schließen alles anderen aus. Doch was sie damit eigentlich ausschließen ist der Dialog über die besten Antworten.