Während immer klarer wird, dass Deutschland nicht ohne Atomstrom aus Frankreich leben kann, hat die französische Regierung ein wichtiges Gesetz durch die Nationalversammlung gebracht, um „den Franzosen Geld“ einzubringen, so die zuständige Ministerin Agnès Pannier-Runacher.
Am 16. Mai beschloss die Nationalversammlung mit großer Mehrheit das neue Gesetz zur Beschleunigung der Bauvorhaben rund um die Kernenergie (loi sur l’accélération du nucléaire, Kernenergiebeschleunigungsgesetz). 399 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, nur 100 dagegen. Zur präsidentiellen Minderheitsfraktion kamen die Stimmen des Rassemblement national (RN), der Républicains sowie der Kommunisten. Das „Aufsässige Frankreich“ (LFI) und die Grünen stimmten dagegen, die Sozialisten enthielten sich. Vorausgegangen waren acht Monate der Debatte um das – so Pressestimmen – „umstrittene“ Gesetz. Doch bei den französischen Volksvertretern war es trotz der notorischen Gespaltenheit des Parlaments am Ende weniger kontrovers als andere Vorhaben. Man denke nur an die Rente mit 64.
Gebaut werden sollen nun sechs Kernreaktoren des Typs EPR (European Pressurized Reactor) der „zweiten Generation“, davon zwei bis 2037. Die übrigen vier EPR2-Anlagen sollen bis 2050 fertiggestellt werden. Die neuen Kraftwerke sollen eine höhere Leistung erbringen als die schon bestehenden. Das neue Gesetz ist vor allem dazu bestimmt, die staatliche Genehmigung der Bauvorhaben zu beschleunigen, die normalerweise fünf bis sechs Jahre in Anspruch nimmt. Diese Genehmigungsphase darf sich nun mit dem Bau der Kraftwerke überlappen, wodurch man mehrere Jahre einsparen will.
Kosten gelten als gering und finanzierbar
Ursprünglich waren sogar 14 neue Kraftwerke angedacht worden. Im Februar sagte die Energiewendeministerin Agnès Pannier-Runacher: „Ich habe der Industrie die Frage gestellt: Können Sie bis 2050 über 14 Reaktoren hinausgehen?“ Das war offenbar sehr ambitioniert gedacht. Mit den Investitionen in die Kernenergie will die Ministerin das „Erreichen der CO2-Neutralität“ sicherstellen, das laut EU-Klimagesetz bis 2050 geplant ist. Im Parlament sagte die Ministerin am 16. Mai: „Ja, die Wiederbelebung unserer Kernenergiebranche bedeutet, die Umwelt zu schützen. Wie kann man sich als Umweltschützer bezeichnen, wenn man fossile Energien den kohlenstofffreien Energien vorzieht?“ Derzeit verfügt Frankreich über 56 Kernkraftwerke und ist nach den USA der zweitgrößte Atomstromproduzent weltweit. Ab 2027 könnten die ersten neuen Reaktoren gebaut werden.
Die Baukosten sollen zwischen 48 und 52 Milliarden Euro liegen, welche sich über 25 Jahre verteilen. Zwei Milliarden Euro im Jahr werden als eine finanzierbare Aufgabe angesehen, wie auch die französische Geo schreibt, zu der es keiner höheren Steuern bedarf, wie Pannier-Runacher bei France Info sagte. Es handle sich nicht um eine reine Ausgabe, sondern um eine Investition, die „den Franzosen Geld einbringen“ soll: „Was wir aufbauen, ist die Fähigkeit, Strom zu wettbewerbsfähigen Kosten zu produzieren.“
Die bestehenden französischen Kraftwerke müssen derweil überholt werden, angeblich zu ähnlich hohen Gesamtkosten, wie für den Neubau von Reaktoren geplant sind. Derzeit können nur 32 Reaktoren in Frankreich betrieben werden, während bei den anderen 24 Wartungsarbeiten anstehen oder durchgeführt werden. Seit 2014 ist die EDF mit dieser Operation „grand carénage“, großes Kielholen, große Überholung, beschäftigt.
Allianz gegen die „antinukleare“ Kommission und Deutschland
Daneben erlaubt das Gesetz auch die Konstruktion von Small Modular Reactors (SMR), also kleinen modularen Reaktoren, und Lagerstätten, die beide im Umfeld der bestehenden Kraftwerke errichtet werden können. Der Bau von SMR in der Nähe von Industriestandorten, wie vom Generaldirektor der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft vorgeschlagen, wurde nicht aufgenommen.
Die letzten Bedenken in Frankreich richten sich nun auf die EU, da man weiß, dass Deutschland und die Kommission „antinukleare“ Bastionen geworden sind. Die Anhänger der Kernenergie in Europa werden folglich von diesen beiden Spielern bekämpft, auch wo es darum geht, die Kernenergie als „grüne Energie“ anzuerkennen. Inzwischen hat sich aber auch eine Gruppe von 16 Ländern zusammengetan, die für die Verwendung der Kernenergie auf dem Kontinent eintreten. Die EU-Energiekommissarin, die Estin Kadri Simson (Estnische Zentrumspartei, Teil der macronistisch-liberalen Renew-Europe-Fraktion), war bei dem jüngsten Treffen der „Europäischen Allianz für die Kernkraft“ anwesend, das ebenfalls am 16. Mai stattfand. Unter den „Alliierten“ sind Italien, Polen, Rumänien, die Niederlande, Belgien, die Tschechische Republik, Schweden, Ungarn, Bulgarien und Finnland. Sogar das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ist in diesem Kreis willkommen.
Derzeit wird mehr als ein Viertel des europäischen Strombedarfs durch Kernenergie gedeckt. Um diesen Anteil zu halten, will die Allianz der Kernkraft-Freunde die installierte Leistung bis 2050 veranderthalbfachen (von 100 auf 150 Gigawatt). Dadurch soll vor allem der Erhalt der Industrie sichergestellt werden, die auf eine grundlastfähige Energiequelle angewiesen ist. Übrigens will auch das Vereinigte Königreich seine Stromerzeugung durch Kernenergie bis 2050 um 24 Gigawatt erhöhen, wie die Energiewendeministerium in einer Pressemitteilung schreibt. In der EU steht demnach der Bau von 30 bis 45 großen Reaktoren und zahlreichen SMR bis 2050 an. Dass diese Neubauten einen wesentlichen Beitrag zur EU-Ökonomie haben werden, ist vollkommen klar. Die 92 Milliarden Euro, von denen Pannier-Runacher hier spricht, sind wohl eher eine zurückhaltende Schätzung. Daneben sollen durch die neuen Kraftwerke „direkt und indirekt“ mindestens 300.000 Arbeitsplätze gesichert werden, darunter 200.000 qualifizierte.