Seit Mitte Januar kommt es auch in Frankreich immer wieder zu Bauernprotesten, die teilweise – wie dort üblich – durchaus heftiger ausfielen als in Deutschland. Das Abladen von Mist vor Rathäusern und Regierungsgebäuden wurde durch das Versprühen von Gülle übertroffen. In Biberach stellten die anwesenden, dem Augenschein nach zu 99 Prozent friedlichen Bauern fest, dass der aufgepflanzte Misthaufen den einfachen Geruch von Landwirtschaft verströmte. Gülle war nicht involviert.
Doch „französische Verhältnisse“, die die Polizei nun für Deutschland an die Wand malte und verhindern will, sehen auch so aus: Die von der Regierung versprochenen Zugeständnisse an die Bauern sind Anfang Februar schon umgesetzt, wie das deutsche Branchenblatt Proplanta berichtet. Die Steuerermäßigung für Agrardiesel ist damit schon im laufenden Monat wieder eingeführt. Daneben werden von einer Tierseuche betroffene Rinderhalter stärker entlastet. Die Kompensation wurde auf 90 Prozent angehoben. Zuvor war es zu landesweiten Straßenblockaden gekommen. Auch Mautstellen an Autobahnen gehörten zu den Blockadepunkten.
Franzosen lassen sich nicht an den Rand drängen
Premierminister Gabriel Attal versprach außerdem Bürokratie-Erleichterungen. Im Gespräch mit einer jungen Bäuerin, die sich fast unter Tränen bei ihm beklagte, sagte Attal, er wisse, dass es hart sei und, was gewichtiger ist: „Es wird keine Zukunft für die französische Landwirtschaft ohne französische Viehzucht geben.“ Das ist schon ein gewisses Signal gegen den ökologistischen Geist der Zeit. Die vollständige Abschaffung von Rindern und Schweinen stünde also nicht ganz oben auf der Wunschliste der Regierenden in Paris.
Trotz der Vorschriftenmacherei, die auch hier durchscheint, ist noch sichtbar, dass sich Attal im weitesten Sinne in einem Dienstverhältnis zu den Bürgern sieht. Das könnten auch nur die Überreste einer öffentlichen Kultur sein, die es in Frankreich noch gibt, selbst wenn die Politik auch dort meist ganz anders – mit einem Wort: technokratisch – funktioniert. Aber diese Überreste können ein Vorteil sein. Der politische Dialog ist damit noch präsent und hat Substanz – was man von Gesprächen mit hiesigen Politikern wohl kaum behaupten kann. Die finanziellen Nöte der Bauern spielen eine objektive und konkrete Rolle im nationalen Diskurs – und nicht nur das Unerhörte, Unbotmäßige ihrer Aktionen. Man kann es auch anders sagen: Die Franzosen lassen sich nicht so leicht marginalisieren durch die Pariser und Brüsseler Technokraten.
Fahren die Bauern schon nächste Woche wieder auf Paris zu?
Daneben ließ Attal den lokalen Präfekten durch Innenminister Darmanin mitteilen, dass sie den Kontakt mit den Bauern suchen sollen. Attal will die Verbindung mit den Bauern nicht verlieren, so sagt er. Doch die Proteste gehen in Frankreich trotz der Zugeständnisse der Regierung und ihrer Dialogoffenheit weiter – etwa am Schloss Chambord, an Bankfilialen, Autobahnen oder Rathäusern. Für die kommenden Tage werden Mobilisierungen auf geringerem Niveau erwartet. So soll dennoch der Druck aufrechterhalten werden. Die Umsetzung weiterer Maßnahmen durch die Regierung soll so ermutigt werden.
Im Land macht man sich auf eine weitere Spannungsentladung gefasst. Die könnte sich eventuell rund um die Agrarmesse „Salon international de l’agriculture“ ereignen, die vom 24. Februar bis zum 3. März auf dem Pariser Messegelände stattfindet. Der „Salon“ gilt als nationales Schaufenster, als ein wichtiges Datum im politischen Kalender. Deshalb müssten die Antworten der Regierung auf die Bauern „auf der Höhe“ sein, wie der Vorsitzende der Dachgewerkschaft der Landwirte (FNSEA), Arnaud Rousseau, feststellt. Bei den mittelständischen und Kleinbauernverbänden steht Rousseau als Vertreter von Großbetrieben in der Kritik. Doch ist er durch die Größe seines Verbandes ein natürlicher Ansprechpartner. Aber die eigentliche Initiative der Proteste geht von einer Coordination rurale aus. Deren Sprecher Patrick Legras kündigte schon in Bälde wieder eine Fahrt der Trecker-Konvois nach Paris an.
Deutsche Polizei fordert Treckerverbot – Anknüpfen bei Trudeau?
Die regionalen Behörden rechnen mit großen, aufsehenerregenden oder symbolischen Aktionen der Bauern im Umfeld der Messe, sobald Politiker von nationaler Bedeutung dort ankommen. „Warum nicht die Hand des Präsidenten verweigern, wenn er dorthin kommt? Oder sich weigern, ihn an einem Stand zu empfangen?“, das sollen die Gedankengänge einiger Beteiligter laut dem Nachrichtensender CNews sein. Möglich scheint aber auch das Versprühen von Gülle oder das ausdauernde Ausbuhen von Ministern bei ihrer Ankunft. Das passt schon eher zum Ausdruck „Faustschlag“ (coup de poing), wie es in Frankreich heißt. Rousseau hat auch für Frankreich klar gemacht: Wenn man die Bauern in der Politik verspottet, dann wird die Agrarmesse nicht „unter klassischen Bedingungen“ stattfinden.
Sind all diese Aktionen und Proteste nun weniger schlimm, als was wir in Biberach gesehen haben? Darüber müsste anhand von Bild- und Video-Dokumenten gesprochen werden – eine Aufgabe, die man jedenfalls vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht erwarten kann. Es wird wahrscheinlich bei den gegenseitigen Anschuldigungen von Exekutive und Bürgern bleiben. Ein längeres Videodokument von dem Biberacher Tag zeigt keine Ausschreitungen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert für Deutschland nun ein Verbot von Traktoren und Zugmaschinen bei Protesten. Die Frage ist, ob solch ein generelles Verbot überhaupt möglich und mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Der Vorschlag erinnert gewissermaßen an den Trucker-Konvoi in Kanada, dessen fälschliche Kriminalisierung inzwischen ein etabliertes Faktum ist. Justin Trudeau hat sich, so urteilte eine Gericht in diesem Jahr, ohne gültigen Grund auf das kanadische Notstandsgesetz berufen. Wenn eine Polizeigewerkschaft nun in Deutschland repressive Maßnahmen gegen grundsätzlich legitimen Protest fordert, dann hat das eine ähnliche Geruchsnote.