Es ist die einzige Grenze, an der sich linke und öffentlich-rechtliche Medien überhaupt für die anhaltende illegale Migration interessieren. Wann immer die Ostroute einen auch nur mikroskopischen Anstieg der Zahlen berichtet, schäumt die westliche Haltungspresse: Nun sei offenbar der nächste „hybride Angriff“ Putins zu gewärtigen, und das ausgerechnet im glorreichen EU-Wahljahr!
Das mag sich alles so verhalten. Und doch verfehlen die Kritiker ihr Ziel. Die wahre Destabilisierung der EU geschieht von anderer Seite. An allen Grenzen gibt es die Gefahr, dass nicht integrationsfähige und -willige Individuen im Staatenbund Aufnahme erhalten. Auch die Terrorgefahr lässt sich nicht durch wilde Schlepperrouten in Mittelmeer und Mittelatlantik bannen, sondern nur durch deren Blockade, auf welchem Weg auch immer. Das wäre auch das menschenfreundlichste Unternehmen. Denn jede Ermutigung der Schlepper kostet Menschenleben in Wüste und Meer.
Zahlenmäßig und im EU-Vergleich sind die Einreisen über die Osteuropa-Route sicher zu vernachlässigen. Von Januar bis April wurden ganze 2.102 illegale Einreisen festgestellt, immerhin eine Zunahme von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und selbst wenn es ein paar mehr sein sollten (wie an den meisten Grenzen), machen die derart festgestellten illegalen Einreisen nur etwa ein Dreißigstel aller illegalen Einreisen in die EU aus.
Hier wird noch jeder einzelne Grenzübertreter gezählt
Trotzdem ist die Aufregung genau in diesem Fall groß: „Putin lenkt offenbar wieder Migration nach Europa“, ist ein Bericht der Süddeutschen überschrieben. Ähnlich wird der Spin auf den Rundfunkwellen von WDR und NDR laufen. Also geballte links-öffentlich-rechtliche Medienkompetenz im Kampf gegen die Schlepper! Hier wird noch jeder einzelne Grenzübertreter gezählt: Im März waren es 412, im April schon 670, Mitte Mai dann bereits 416, auf eine Grenze, die einige tausend Kilometer misst; allein die Grenze der EU zu Russland misst 2.435 Kilometer.
Irgendwann werden auch die hier oder an der weißrussischen Grenze durchgekommenen Schutz- und Schatzsucher – nach wohlbehaltener Ankunft in Deutschland und dem obligatorischen Willkommensgruß der Behörden – ihre Familien nachholen und es so schaffen, Staat und Gesellschaft zu unterwandern, ganz in Moskaus Sinn. An der deutsch-polnischen Grenze ist seit März schon wieder ein leichter Aufwärtstrend zu verspüren, mit 1.650 illegalen Einreisen (gegenüber 1.580 im Vorjahres-März). Laut polizeilichen Erkenntnissen kamen die zusätzlichen Einreisen vor allem aus Weißrussland. Aber die Balkanroute mit ihren Schlenkern trägt hier auch etwas bei.
Angeblich vergibt nun aber gerade Moskau fleißig Einreisevisa, die bei der Hälfte der Eingereisten gefunden wurden, also in diesem Jahr bei etwa tausend Personen. Die Süddeutsche wittert „im Wahljahr erneut“ eine „perfide Strategie“ Russlands. Also eine bösartige Kampagne zur Beeinflussung der EU-Wahl. Eines ist freilich nicht auszuschließen: Auch Moskau und Minsk könnten auf diesem Wege Terroristen in die EU leiten, um hierzulande für ernstere Bedrängnis und handfeste Probleme zu sorgen.
Dass es sich um „hybride“ Spielchen im kalt-heißen Krieg zwischen West-, Mittel- und Osteuropa handelt, ist keine Frage. Aber ein wesentlicher Schauplatz der aktuellen Migrationskrise ist das nicht. Da sind Grenzneuziehungen rund um Kaliningrad (das frühere Königsberg) von größerem Belang.
Russland hat kein Recht auf Einschleusung von Migranten
Eine Entwicklung hat aber vielleicht Potential. Denn die finnische Regierung plant nun ein Gesetz, um Asylsuchende an seinen Grenzen mit Russland direkt zurückzuweisen. Erst im vergangenen Sommer bildeten Nationalkonservative und „Die Finnen“ (früher: Wahre Finnen) unter Einschluss einer liberalen Partei und der Christdemokraten eine Koalition, die das Linksbündnis von Sanna Marin ablöste. Der Fall scheint klar genug: Russland ist nach allgemeinem Dafürhalten ein Aggressor und hat kein Recht, illegale Migranten in die EU einzuschleusen. In der Tat befürchtet auch die finnische Regierung negative Auswirkungen der russischen Operation auf die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung.
Im Grundgesetz von 1949 hieß es noch in Artikel 16 (2) kurz und knapp: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch verfolgte genießen Asylrecht.“ Angeblich war eine Regelung angedacht, nach der Asyl ohnehin nur für Deutsche gelten solle, woran jüngst auch der Gastbeitrag eines Juristen in der FAZ erinnerte. Von solchen Zeiten ist man in Deutschland und der EU heute weit entfernt.
Dennoch tritt die finnische Boulevardzeitung Iltalehti für die Legalisierung von Zurückweisungen (englisch pushbacks) an Finnlands Ostgrenzen ein. Man dürfe in dieser Situation nicht das „falsche Signal an Russland“ senden und weist darauf hin, dass es nicht um die finnische Asylpolitik insgesamt gehe, sondern um die nationale Sicherheit. Immerhin soll die Gültigkeit des Gesetzes zunächst auf ein Jahr begrenzt werden, was man sich in der Tat für viele Gesetze wünschen würde.