Die Theorie, dass das neue Coronavirus einem Labor entstammen könnte, kurz die Laborthese, war zu Beginn keineswegs eine Verschwörungstheorie. Diese Frage wird vielmehr regelmäßig gestellt, wenn ein neuer Krankheitserreger auftritt. In der breiteren Öffentlichkeit herrscht dann zwar meist die Vermutung einer Zoonose vor, was verständlich ist, da in diesem Fall keine Verantwortungsträger berührt sind – nur relativ unschuldige, unwissende Menschen, die beim Umgang mit wilden Tieren nicht aufgepasst haben. Brisant wird diese Kommunikationsstrategie allerdings, wenn sie von wirklichen Verantwortungsträgern der internationalen Bio-Forschung an Krankheitserregern genutzt wird wie in diesem Kreis, in dem sich zwölf über die Welt verstreuten Forscher austauschten und abstimmten.
Die Möglichkeit, dass das neue Virus auf einer fehlgeschlagenen oder aus dem Ruder gelaufenen Forschung beruhen könnte, lag auch im Frühjahr 2020 für mehrere dieser Forscher auf der Hand, auch wenn andere davon nichts wissen wollten. Das zeigen neu veröffentlichte E-Mails aus der Frühzeit der Pandemie, die zwischen angesehenen Forschern und wichtigen Gesundheitsfunktionären seit Ende Januar 2020 ausgetauscht wurden, darunter Christian Drosten und Anthony Fauci. In diesem Moment begann die Forschergruppe sich jenem heißen Eisen zu widmen, das zwar damals schon in der Vergangenheit lag, aber eben dadurch eine zentrale, eine fundamentale Rolle spielte. Die Frage, wie es überhaupt zu dieser Virus-Übertragung und damit zur Pandemie kam.
Die niederländische Veterinärmedizinerin und Zoonosen-Expertin Marion Koopmans fasste den Grundgedanken einiger in der Gruppe zusammen: „Ich würde die Hypothese ‚Laborflucht‘ für die Diskussion aufheben, denn wenn man das als Hypothese in die Öffentlichkeit stellt, wird das meiner Meinung nach als ‚Seht ihr, die haben das auch gedacht‘ interpretiert werden.“ Koopmans schlug im Februar 2020 stattdessen vor, „einige der (wilden) Vermutungen“ zu erörtern und dann „Schritt für Schritt“ zu erläutern, „welche Herausforderungen sich bei der Ableitung aus Sequenzdaten ergeben, bei denen man nicht genau weiß, aus welchen Pools man Stichproben nimmt, so dass man am Ende die Nadel aus einem Heuhaufen interpretiert“. Mit anderen Worten: Wir wissen es nicht. Vor allem wusste man nicht, aus welchem wilden Virusstamm SARS-CoV-2 entstanden war. Das ist im Grunde der Forschungsstand bis heute und der größte Zweifel an dieser Theorie eines evolutionären Ursprungs von Covid-19 als Zoonose, die ohne Zwischenschritt auf den Menschen übersprang.
„Er sollte dies sehr schnell tun, und wenn alle diese Sorge teilen, sollten sie es den zuständigen Behörden melden“
Die Fragen nach einer möglichen „Laborflucht“ waren auch für Anthony Fauci, damals medizinischer Berater des Präsidenten und Leiter des nationalen Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten (NIAID), normal und plausibel. Es waren Fragen, die zu allererst aus der Forschergemeinde selbst kamen. Am 31. Januar 2020 trat Jeremy Farrar, Direktor des britischen Wellcome Trust für Gesundheitsforschung, an Fauci heran und bat ihn um einen Anruf bei dem Immunologie-Professor Kristian Andersen am kalifornischen Scripps-Research-Institut, der nach Beratung mit seinen Kollegen Bob Garry (New Orleans) und Edward Holmes (Sydney) eine wichtige Nachricht für Fauci hatte. Das abweichende Votum der drei Forscher in der Frühphase der internen Diskussion ist schon seit einiger Zeit geläufig. Neu ist die erste Reaktion Faucis darauf, deren Text in älteren Veröffentlichungen geschwärzt war.
Fauci sprach demnach am 1. Februar 2020, kurz nach Mitternacht New Yorker Zeit, mit Andersen. In der E-Mail an Farrar, die Fauci direkt im Anschluss schrieb, erklärte er, dass sich Andersen vor allem Sorgen über „die Furinstellen-Mutation im Spike-Protein des derzeit zirkulierenden 2019-nCoV“ machte. Dieser Bauteil erschien ihm und den anderen beiden Forschern verdächtig. Bob Garry fand die Existenz der Furinstelle „verblüffend“: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das in der Natur entstehen soll.“
Fauci bat Andersen um eine rasche Analyse zu dem Verdacht. Aber noch etwas anderes, geradezu Flagrantes fügte Fauci hinzu: Wenn Andersen seinen Verdacht bestätigt fände, sollte er umgehend das FBI und den britischen Geheimdienst MI5 informieren: „Er sollte dies sehr schnell tun, und wenn alle diese Sorge teilen, sollten sie es den zuständigen Behörden melden. Ich glaube, dass müsste in den USA das FBI und im Vereinigten Königreich das MI5 sein. […] In der Zwischenzeit werde ich meine Kollegen in der US-Regierung über unser Gespräch informieren und herausfinden, welches weitere Vorgehen sie empfehlen. Lassen Sie uns in Kontakt bleiben.“
Offenbar konnte auch Fauci die Laborhypothese, die Andersen, Garry und Holmes hier ansatzweise vertraten, nicht ausschließen. Für den Fall, dass es Hinweise oder Belege für sie gäbe, müssten umgehend die Sicherheitsbehörden eingeschaltet werden. Vielleicht wäre die Pandemie dann ganz anders verlaufen: Sars-CoV-2 wäre als Biowaffe eingestuft worden, nicht als Zoonose. Wer weiß, welche Regierungsprogramme in diesem Moment abgelaufen wären, welche Planungen begonnen hätten, welche Auswirkungen auf die internationale Politik es gegeben hätte. Oder waren die Fauci-Worte nur ein Warnsignal, dass an dieser Stelle sozusagen höchste Gefahr im Verzug war – vor allem für die wissenschaftliche Gemeinde, der er sich zugehörig fühlte?
Virologe Fouchier: Debatte würde der Forschung in China schaden
Ein Kollege Faucis macht diese Sorgen der Forscher innerhalb derselben Korrespondenz deutlich, die The Intercept und The Nation veröffentlicht und ausgewertet haben. Der niederländische Virologe Ronaldus Adrianus Maria (Ron) Fouchier schrieb eine ausführliche fachliche Erwiderung gegen Andersen und die anderen. Allerdings brachte er einleitend auch ein Argument, das man eher politisch oder pragmatisch nennen kann.
Die Diskussion zum Ursprung von nCoV-2019 eile nicht, andere Aktivitäten der wissenschaftlichen Gemeinde seien nun wichtiger. Ein ähnliches Argument sollte auch Christian Drosten etwas später bringen, auch wenn er die Notwendigkeit betonte, der Laborthese öffentlich zu widersprechen. Auch Fouchier bezeichnete solche Thesen relativ unbesehen als „Verschwörungstheorien“, die wenig wahrscheinlich seien. Später schrieb er dann etwas offener: „… eine weitere Debatte über solche Anklagen würde … der Wissenschaft insgesamt und der Forschung in China unnötigen Schaden zufügen“. Das klingt schon eher nach sehr handfesten Interessen am eigenen Standort wie auch am Forschungsstandort China, der – so kann man inzwischen wissen – eher fragwürdige Voraussetzungen für die Hochrisiko-Forschung wie im Wuhan Institute of Virology mitbrachte.
Tatsächlich hatte Fouchier auch eigene Erfahrung in der Gain-of-function-Forschung. Im Jahr 2011 forschte er am Vogelgrippe-Virus H5N1 und wollte unter anderem herausfinden, ob und wie sich die Übertragbarkeit dieses gefährlichen Erregers steigern ließ. Durch Experimente an Frettchen gelang es Fouchier und dem japanischen Forscher Yoshihiro Kawaoka, das H5N1-Virus über die Luft übertragbar werden zu lassen. Er bezeichnete diesen Versuch später als „etwas wirklich, wirklich Dummes“, zu dem ihn ein unbenannter anderer überzeugt hatte: „… someone finally convinced me to do something really, really stupid.“ Ein Skandal brach über die beiden Wissenschaftler los. Denn Frettchen-Viren sind oft auch für Menschen gefährlich. Auch deshalb kommen die Mardertiere bei Experimenten zum Einsatz. Fouchier hatte also jeden Grund, die Gain-of-function-Forschung zu verteidigen beziehungsweise die Diskussion über dieses Thema ganz zu vermeiden.
Verantwortungsvolle Forscher, der Wissenschaft und dem Narrativ immer einen Schritt voraus
Fauci konnte Fouchier nicht folgen. Die Diskussion über den Ursprung des Virus konnte nicht warten. Die Sache war dringlich, und zwar vor allem aus einem Grund: Die „Sorgen so vieler Menschen“ und die „Gefahr weiterer Verzerrungen in den sozialen Medien“ ließen schnelles Handeln geraten sein. Sogar die WHO wollte Fauci einschalten, wohl als quasi unabhängiges Gremium, um die Diskussion schnell und wirksam zu beenden, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Das gelang nicht auf Anhieb. Erst am 5. Februar erklärten sich WHO-Offizielle gegenüber Farrar bereit, eine Gruppe zum Thema Covid-Ursprünge zu gründen.
Für den Kreis blieb es daher wichtig, sich an die Spitze der Diskussion zu stellen und nicht auf Berichte zu reagieren, die „sehr schädlich sein können“. Man wollte die Diskursherrschaft anscheinend mit allen Mitteln verteidigen. Es sei „von kritischer Bedeutung, dass verantwortungsvolle, angesehene Forscher … der Wissenschaft und diesem Narrativ einen Schritt voraus sind“. Aber das war schon nicht mehr die reine Wissenschaft, und ob es verantwortungsvolle Forschung ist, der Wissenschaft voraus zu laufen, lässt sich auch fragen. Eher klingt das nach faktenbefreiter Ideologie. Es sind die Worte von Jeremy Farrar, der hier stets als Vertreter des „Wellcome Trust“ agiert, einer in London beheimateten gemeinnützigen Treuhandstiftung, die sich der Förderung der Gesundheitsforschung verschrieben hat. Spätestens mit dem Bezug auf „schädliche“ Berichte war klar, dass es nicht nur um Erkenntnis ging, sondern auch Eigeninteressen der Forscher und ihres Berufsstandes.
Nur etwa zwölf Stunden nach dem Fauci-Gespräch mit Kristian Andersen über die Laborthese fand die von Fauci und Jeremy Farrar organisierte Telephonkonferenz von zwölf Forschern statt, an der auch Christian Drosten und Patrick Vallance, der wissenschaftliche Berater der britischen Regierung, teilnahmen. Die Gruppe sollte laut Fauci eng miteinander zusammenarbeiten und die Gespräche „mit vollkommener Vertraulichkeit“ behandeln. Später wurden weitere Experten hinzugezogen, etwa auch der Vorsitzende der Bill & Melinda Gates Foundation, Christopher Elias.
Am 1. Februar überprüfte Fauci die Zuschüsse an das Labor in Wuhan
Am Morgen jenes 1. Februars überprüfte Fauci, welche Zuschüsse und Kooperationen es zwischen seinem Institut und chinesischen Forschungsinstituten gegeben hatte. NIAID hatte schon die umstrittenen Gain-of-function-Forschungen von Fouchier und Kawaoka in niederländischen und japanischen Laboren unterstützt. In einer Stellungnahme vom 23. November 2022 zu einem Verfahren der Staatsanwaltschaften von Louisiana und Missouri schrieb Fauci laut The Intercept: „Ich wollte über den Umfang unserer Zusammenarbeit und die Art der Arbeit, die wir in China finanzieren, informiert werden. Ich wollte wissen, welcher Natur diese Arbeit war.“
Tatsächlich gab es solche Zuschüsse: 3,7 Millionen Dollar flossen bis 2019 über fünf Jahre für die Erforschung und Katalogisierung von wilden Fledermaus-Coronaviren. Ein Folgeprojekt, bei dem auch Peter Daszak und dessen EcoHealth Alliance beteiligt war und in dem durch Gain-of-function-Forschung erforscht werden sollte, ob und wie die gesammelten Viren für Menschen gefährlich werden könnten, sagte Faucis Institut erst im April 2020 ab. Der britisch-amerikanische Forscher Daszak hat sich einen gewissen Ruf damit erworben, zunächst engstens mit der Wuhaner Virologin Shi Zhengli, auch bekannt als „Fledermausfrau“, zusammengearbeitet zu haben, um dann auch in dem WHO-Team vertreten zu sein, dass die Ursprünge der Covid-19-Pandemie in Wuhan erforschen sollte. Es war also knapp gewesen – im Kongress sollte Fauci später jede Beteiligung an Gain-of-function-Forschung in Wuhan bestreiten.
Für weitere Unruhe sorgte ein Artikel der Zeitschrift Science vom 31. Januar 2020, in dem auch Andersen und seine Kollegen zitiert wurden. Der Bericht mit dem Titel „Mining coronavirus genomes for clues to the outbreak’s origins“ (deutsch etwa „Coronavirus-Genome durchpflügen auf der Suche nach Hinweisen auf die Ursprünge des Ausbruchs“) erschien am 31. Januar. Darin ging es um mögliche Ursprungsszenarien zu Covid-19. Dabei fanden auch die Forschungstätigkeiten des Wuhan Institute for Virology ganz selbstverständlich Erwähnung. Es ging also um die Expeditionen von Forschern in südchinesische Fledermaushöhlen zur Probenentnahme und zum Einfangen von Tieren zwecks weiterer Erforschung in Wuhan. Die erforschten Fledermäuse kamen übrigens nicht in der zentralchinesischen Region um Wuhan vor.
Verschwiegene Zweifel, um nicht „wie Idioten“ dazustehen
Andersen hatte nachgewiesen, dass das Virus aus Fledermäusen stammen musste. Verdächtig schienen dem Dänen daneben einige „unübliche Merkmale des Virus“, die aber nur mit einem sehr kleinen Anteil (weniger als 0,1 Prozent) seines Genoms zusammenhingen. Er und alle beteiligten Kollegen waren der Meinung, dass die Ergebnisse nicht zu einer natürlichen Entstehung des Virus passten.
Diesen Artikel schickte Fauci seinen Kollegen und stieß damit eine Diskussion an, in der es bald nur noch darum gehen sollte, die Laborthese zu widerlegen. Das aber bedeutet, dass es hier etwas gab – Indizien, Hinweise –, das sich widerlegen ließ. Die Ansätze für eine Zoonosentheorie sind bis heute so vage, dass man kaum etwas zu greifen bekommt, das sich beweisen oder widerlegen ließe. In der Forscherrunde ging es von hieran darum, den „natürlichen Ursprung“ des neuen Virus zu verteidigen und konkurrierende Theorien als unwahrscheinlich abzuqualifizieren.
Aber dieses Ergebnis war keineswegs von Anfang klar. Auch der Immunologe Jeremy Farrar, der inzwischen zum Chief Scientist bei der WHO berufen wurde, ordnete die Wahrscheinlichkeit der Laborthese wie die einer natürlichen Evolution des Virus am 2. Februar bei jeweils 50 Prozent ein. Weitere Forscher unterstützten die Sicht, dass eine natürliche Entstehung des neuen Coronavirus „möglich, aber höchst unwahrscheinlich“ sei – vor allem wegen der Furinspaltungsstelle, der sonst nicht auf SARS-ähnlichen Coronaviren vorkommt und die die Infektiosität des Virus steigert. Es gab noch andere Eigenschaften des neuen Virus, die schlecht zu erklären waren, aber teils verschwiegen wurden, damit die Wissenschaftler – so wörtlich – nicht „wie Idioten“ dastanden.
Transgene Mäuse und wilder Westen
Am 4. Februar 2020 war eine Zusammenfassung der Diskussion entstanden, in der eine absichtliche Erschaffung des Virus im Labor „mit einem hohen Grad an Sicherheit“ ausgeschlossen wurde. Es blieb aber die Möglichkeit einer „zufälligen“ Entstehung durch dieselbe Methode, die auch Fouchier und Kawaoka benutzt hatten: die wiederholte Passage eines Virus durch Wirtstiere, in diesem Fall wohl Mäuse, die aber genetisch verändert sein konnten, so dass sie menschliche Eigenschaften aufwiesen. Eine Abart der Laborthese also, bei der zudem nicht klar ist, dass die Ergebnisse wirklich „zufällig“ zu nennen sind. Schon in dem Sinne, dass man bei einem Experiment vorher niemals weiß, was am Ende herauskommt. Aber ungewollt sind die Ergebnisse damit eben noch nicht. Vielmehr geht es ja gerade um die wissenschaftliche Neugier, die sehen will, was passiert, wenn man ein Virus durch eine humanisierte Maus jagt. Was könnte passieren? Nun, vermutlich wird ein Erreger durch ein solches Verfahren auf menschliche Wirte vorbereitet. Und so behielt die Zusammenfassung der Forscher an dieser Stelle eine gewisse Offenheit.
Francis Collins, damals Direktor der US-Institute für Gesundheit (NIH), nun wissenschaftlicher Berater von Präsident Biden, fragte in dieser Phase nach möglichen „versehentlichen Labor-Passagen durch Tiere“. Was für Tiere könnten da gemeint sein? Anthony Fauci antwortete mit Fragezeichen und einer aus seiner Sicht plausiblen Möglichkeit: „?? Serielle Passage durch ACE2-transgene Mäuse“. So etwas würde doch sicher nicht in einem BSL-2-Labor unternommen werden, warf ein Gesprächspartner ein. „Wilder Westen…“, entgegnete Jeremy Farrar, der lange in Vietnam gearbeitet hat, vermutlich in Anspielung auf den chinesischen Umgang mit Sicherheitsvorschriften in diesem Bereich.
In den Diskussionen über diesen Diskussionsstand hob Bob Garry – einer der Vertreter der Laborthese – hervor, dass es durch die Methode der „seriellen Passage“ durch tierisches Gewebe möglich sei, die „pathogeneren Varianten im Labor schnell zu selektieren“. Das für Menschen ansteckende Coronavirus könnte also durch die wiederholte Passage eines Virus durch Labortiere entstanden sein und wäre dann durch einen Unfall aus dem Labor entwischt. In solchen Zusammenhängen soll auch anderswo eine Furinspaltungsstelle entstanden sein – etwa laut wissenschaftlichen Studien über H5N1-Versuche an Hühnern („H5N1 in chicken papers“).
Drosten forderte Abstand von der Laborthese ein
Dann kam, am 7. Februar, die Pangolin-These in die Diskussion, die aber die zentralen Bedenken der Forscher zur Furinstelle nicht auflösen konnte. Trotzdem drehte sich hier der Wind angesichts dieser von einigen als „SEHR interessant“ aufgenommenen Neuigkeit. Eddie Holmes verließ das Lager der Laborthesen-Anhänger und schloss sich der natürlichen Evolutionsthese an. Am 8. Februar platzte dann Christian Drosten mit seiner Wut-Mail in die Runde, in der er empört fragte, ob der Kreis der Forscher zusammengekommen sei, um „unsere eigene Verschwörungstheorie zu widerlegen“. Dabei sei man doch eigentlich hier, um „eine bestimmte Theorie“ anzugreifen und möglichst „fallen zu lassen“. Drosten hatte das Prinzip von interesseloser Forschung nicht verstanden.
Edward Holmes antwortete, dass die Laborthese keinesfalls mit dem „HIV-Unsinn“ zu assoziieren sei. Er selbst arbeite viel mit chinesischen Kollegen zusammen. Viele von ihnen glaubten an die Laborthese, vor allem seit die Fledermaus-Sequenz veröffentlicht wurde, die von einer Fledermaus aus einer anderen Provinz stammte. Denn natürlich war bekannt, dass das Wuhan-Labor eine große Sammlung solcher Fledermaus-Proben aus anderen Landesteilen besaß.
Andersen: Es gab Versuche an SARS-ähnlichen Viren in Wuhan
Kristian Andersen verteidigte seine Skepsis über einen natürlichen Ursprung des Virus in einer Passage, die ebenfalls erst jetzt veröffentlicht wurde. Der Ausbruch in Wuhan sei vielleicht „ein unglückseliger Zufall“, aber die Fragen, die er aufwerfe, dürfe man nicht aus der hohlen Hand heraus abschmettern. Tatsächlich habe man in den letzten Wochen die Laborthese ausschließen wollen, aber die wissenschaftlichen Beweise gegen diese Theorie seien noch nicht stark genug. Vor allem, und das ist vielleicht wirklich eine kleine Sensation: Die Passage von SARS-ähnlichen Coronaviren werde schon „seit einigen Jahren“ praktiziert, und zwar auch in Wuhan unter BSL-2-Bedingungen, also nicht in einem Labor der höchsten Sicherheitsstufe.
Man befinde sich an einem Scheideweg, so Andersen in erstaunlicher Mattigkeit. Keine der drei Theorien errege wirklich „hohes Vertrauen“. Vor einer Publikation eines gemeinsamen Standpunktes in diesen Fragen warnte Andersen, das könne „nach hinten losgehen“. Später würde sich Andersen zur These einer natürlichen Evolution bekehren und den Aufsatz zum „Proximal origin“ an erster Stelle unterzeichnen, vor Bob Garry und Eddie Holmes. Die Laborthese basiere „auf reiner Spekulation“, sagte Andersen. Allerdings gilt das gleiche im Grunde noch stärker für die Zoonosen-Theorie, bei der das intermediäre Wirtstier nie mit Gewissheit aufgeklärt werden konnte.
Aber so ging es am Ende aus. Am 6. März wurde der Aufsatz zum „Annähernden Ursprung von SARS-CoV-2“ („The proximal origin of SARS-CoV-2“) von Nature Medicine angenommen. Fauci bedankte sich: „Schöne Arbeit, der Artikel.“ Der Aufsatz wischt alle Laborthesen-Bedenken hinweg und scheint in einem Punkt die Fakten umzukehren. Es heißt darin, dass „alle bemerkbaren Eigenschaften von SARS-CoV-2 … in verwandten Coronaviren in der Natur“ vorkommen. Doch für die Furinspaltungsstelle traf das, den schriftlichen Zusammenfassungen der Forscherrunde zufolge, eben nicht zu.
Aus dem veröffentlichten Text strich man zudem eine wörtliche Nennung von Wuhan, wo es darum geht, dass SARS-ähnliche Coronaviren seit langem in Zellkulturen oder „Tiermodellen“ in BSL-2-Laboren erforscht worden seien. Ebendas geschah, wie Andersen seinen Kollegen schrieb, in Wuhan, sollte aber in dem Aufsatz zum Ursprung von Covid-19 nicht mehr vorkommen. Am Ende sprachen sich die zweifelnden Forscher offiziell gegen ein „laborbasiertes Szenario“ aus, das sie nun für unwahrscheinlich hielten. Ob das auf den Druck der Forschergemeinde hin geschah, darüber lässt sich streiten. In dem Aufsatz hielten Andersen, Garry und Holmes fest, dass keine der Theorien sich beweisen lasse und die Beweislage sich natürlich noch ändern könne – zugunsten der einen oder anderen Theorie.