Tichys Einblick
Frontex-Chef in der Kritik

Fabrice Leggeri zum Rücktritt bereit: Einige wollen aus Frontex eine NGO machen

Nach einer monatelangen Medienkampagne wurde Frontex-Chef Fabrice Leggeri zum Rücktritt gedrängt. Ausschlaggebend war die Stimme Frankreichs, doch auch Schweden kritisierte den Agenturchef eifrig. Was Macron und die deutsche Ampel aus Frontex machen werden, bleibt derweil ungewiss.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri, 2019

IMAGO / GlobalImagens

Frontex-Chef Fabrice Leggeri hat Medienberichten zufolge seinen Rücktritt angeboten. Das berichtet unter anderem die französische Nachrichtenagentur AFP. Der Frontex-Verwaltungsrat werde sich mit dem Angebot befassen. Weitere Rücktritte in der Leitung der Agentur werden erwartet.

Am Donnerstag hatte sich der Verwaltungsrat mit dem Fall Leggeri beschäftigt. Einige Länder – unter ihnen auch Schweden, Heimat von Ylva Johansson – kritisierten den Frontex-Chef, während Ungarn, Polen und Griechenland ihn unterstützten. Leggeri beklagte sich während der Beratungen, einige wollten Frontex offenbar in eine NGO verwandeln. Am Ende soll die Stimme Frankreichs den Ausschlag gegeben haben, das Leggeri seine Unterstützung entzog. So steht es bei den EU-Insidern von Politico.

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Man sieht: Wahlen haben Konsequenzen. Zu vermuten ist aber, dass sich an dieser Stelle die Wahlergebnisse in Deutschland (vom letzten Herbst) und Frankreich kumuliert auswirken. In seinem Schreiben an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats bedankte Leggeri sich für die „unschätzbare Erfahrung“, die die Arbeit an der Spitze der EU-Grenzschutzagentur ihm geboten habe. Leggeri stand seit 2015 an der Spitze von Frontex. Damals waren die Fähigkeiten der Agentur angesichts der EU-Migrationskrise in „robusterer“ Weise ausgebaut worden. Im Lauf der Jahre entstand eine 10.000 Mann starke Truppe zum Grenz- und Küstenschutz.
Leggeri stand hinter der griechischen Küstenwache

Für den Spiegel war er schon lange „ein Behördenchef auf Abruf“ – kein Wunder, es war schließlich unter anderem der Spiegel, der seit Monaten die Abberufung Leggeris betrieben hatte, mit immer neuen „Enthüllungen“ zu sogenannten, angeblichen „Pushback-Fällen“.

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Leggeris Schuld war es, diesen Vorwürfen nicht sofort frontal zu entgegnen, sie als letztlich illegitime Kritik am EU-Außengrenzschutz herauszustellen und ihnen so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auf diese Zielgerade lenkte Leggeri erst spät ein, als er sich immer wieder unerschüttert zeigte, nur erlaubte Handlungen eines griechischen oder europäischen Grenzschutzes auf den veröffentlichten und eifrig skandalisierten Bildern zu sehen. Immerhin stand Leggeri bis zum Schluss zu den eine stärkere illegale Immigration abwehrenden Handlungen der griechischen Küstenwache. Würden die griechischen Küstenschützer diesen Schutz nicht leisten, kämen noch ungleich mehr Migranten über die Balkanroute zuerst nach Österreich, dann nach Deutschland.

Nun ist es zu spät: Es geschah, was zu erwarten war, seit es mehrere EU-Institutionen auf den Frontex-Chef abgesehen hatten. Neben linken und grünen EU-Parlamentariern war das auch die Antibetrugs-Agentur OLAF, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit Leggeris säte. Vorwürfe wegen Fehlverhaltens und Belästigung von Mitarbeitern kamen auf, doch alles stand im Zusammenhang mit dem Richtungsstreit um Küstenschutz und Zurückweisungen. Die OLAF-Untersuchung steht angeblich kurz vor dem Abschluss.

Und Faesers Beitrag?

Man wird den Gedanken nicht ganz los, dass auch der Wechsel im deutschen Innenministerium zu diesem Sturz beigetragen haben könnte. Über Jahre saß Leggeri fest im Sattel, obwohl es schon da Vorwürfe gegen ihn, gegen Frontex und die griechische Küstenwache gab. Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer hielt seine schützende Hand über Leggeri, wie sich auch zeigte, als dieser vom Innenausschuss des Bundestags befragt wurde. Gleiches galt bei dieser Gelegenheit für Dieter Romann, den Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums. Beide konnten an der Arbeit der griechischen Kollegen in der Ägäis und an Leggeris informeller Aufsicht darüber nichts Falsches bemerken.

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Der Spiegel behauptet nun, die Zurückweisungen (englisch pushbacks) von „hunderten, wahrscheinlich sogar tausenden Flüchtlingen“ in der Ägäis seien „fein säuberlich“ in einer Frontex-Datenbank notiert, allerdings offensichtlich nicht als Inkorrektheiten, sondern als Teil des normalen Behördenhandelns an einer Nicht-Schengen-Grenze. Die Überschrift über der Liste lautete demnach „prevention of departure“ – Verhinderung der Abreise, vielleicht sollte es aber eher Einreise heißen.

Die griechische Regierung hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie das Recht zur Zurückweisung massenhaft auftretender Migrantenströme hat, wenn sich auch nur der Verdacht ergibt, dass diese keinen Anspruch auf Schutz haben. Diese Praxis ist in Griechenland inzwischen auch durch einen Regierungsbeschluss abgesichert, der die Türkei zum sicheren Drittland für die allermeisten Bootsmigranten erklärt hat.

Was Macron und die Ampel aus Frontex machen, ist ungewiss

Inzwischen wächst das Budget und der Mitarbeiterstab von Frontex, eigene Uniformen gibt es auch schon. Das EU-Establishment will die Grenzschutzagentur stärker nutzen – von der deutschen Ampelkoalition bis zum wiedergewählten Emmanuel Macron. Zu welchen Zwecken, steht wie bei allen anderen „EU-Einigungen“ (egal ob nur geplant oder schon beschlossen) in den Sternen.

Denn ob man aus Frontex nun eine wirkliche EU-Grenzschutzbehörde machen oder die Agentur weiterhin zur Überwachung an sich schon funktionsfähiger Grenzschutzbehörden und Küstenwachen einsetzen will, bleibt unklar. Vielleicht will man die Grenzschützer am Ende gar als Fährdienst für illegale Migranten in der Ägäis, dem zentralen Mittelmeer oder vor den spanischen Kanaren einsetzen – alles das ist nach Stand der Dinge vollkommen offen. Denn was die in Brüssel Etablierten beschließen und untereinander abmachen, erblickt leider nicht immer die Augen einer breiteren Öffentlichkeit. Und die Brüsseler Gummi-Verträge lassen einfach alles und nichts im weiten Kreis der EU zu, zumindest solange man sich an den Comment der Etablierten hält. Das hat Fabrice Leggeri vielleicht nicht immer getan. Es wurde ihm nun zum Fallstrick.

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