Tichys Einblick
Innovative Kriegsführung

Explodierende Pager – Wie gelang Israel der Zugriff?

Um sich effektiv vor Ortung und Abhörmethoden zu schützen, vertraute die Hisbollah auf Steinzeittechnologie – vergeblich. Doch wie gelang Israel der Zugriff auf Funkgeräte und Pager? Und was können wir über kritische Infrastruktur in Zeiten raffinierter Kriegsführung lernen?

picture alliance / Anadolu | Israel Defense Forces (IDF) / Handout

Rauch aus einem Handy-Shop in Sidon, eine Explosion bei einer Beerdigung im Südlibanon, ein explodiertes Handfunkgerät in einer Wohnung in Baalbek – einen Tag nach der Attacke mit Hilfe von detonierenden Pager-Geräten folgte der nächste Schlag sogleich: Eine Welle von explodierenden Walkie-Talkies überrollte am Mittwoch den Libanon.

Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums seien bei den neuen Explosionen im Osten des Landes und im Süden Beiruts mindestens 20 Menschen getötet und 450 verletzt worden. Teilweise wurden die Funkgeräte in den Händen der Terroristen gesprengt. In sozialen Medien kursierende Videos zeigen eine Explosion während einer Trauerfeier, anderswo knallte es in Wohnungen und Häusern.

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Auf den zerfetzten Geräten war noch der Name des Herstellers zu lesen: Icom. Der Hersteller von Telekommunikationsgeräten in Osaka, Japan, hat laut eigener Aussage die Produktion der Handfunkgeräte vom Typ IC-V82 bereits 2014 eingestellt und warnt seit mehreren Jahren vor gefälschten Versionen: „Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihnen gefälschte Icom-Produkte angeboten oder verkauft wurden, wenden Sie sich an Ihren lokalen Händler oder kontaktieren Sie uns direkt“, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Auch heißt es dort: „Die Produktion der für den Betrieb des Hauptgeräts benötigten Batterien wurde eingestellt, und es wurde kein Hologrammsiegel zur Unterscheidung gefälschter Produkte angebracht, sodass nicht bestätigt werden kann, ob das Produkt von unserem Unternehmen geliefert wurde“, so Icom.

Icom warnt überdies davor, dass gefälschte Funkgeräte aufgrund von Batteriestörungen Feuer fangen oder explodieren können. Tatsächlich liegen noch keine Befunde darüber vor, ob an den Walkie-Talkies Spuren von Sprengstoff nachgewiesen werden konnten.

Walkie-Talkies und Pager: Die Hisbollah griff zu dieser Technik aus dem Präkambrium der Kommunikationstechnik, um die Ortung ihrer Mitglieder zu verhindern. Den verhängnisvollen Umstieg auf die Pager teilte man der Welt recht offen mit: Noch im Februar warnte Hisbollah-Führer Nasrallah in einer Fernseh-Ansprache seine Anhänger davor, Handys zu benutzen: „Das Telefon in Ihren Händen, in den Händen Ihrer Frau und in den Händen Ihrer Kinder ist der Agent!“ Sein Rat: „Vergraben Sie es, und stecken es in einen eisernen Kasten und schließen Sie ihn ab!“

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Während Israel auf Hightech setzt, verließ sich die Hisbollah auf Lowtech: Mit Pagern etwa lassen sich in zwei Textzeilen Ultra-Kurznachrichten versenden – aber eben auch kurze Befehlscodes, die einen Sprengsatz auslösen. Die kleinen Geräte schienen sicher, da sie nicht mit dem Funknetzwerk der Handys verbunden sind, aber ausreichend, um Mitgliedern die nächsten Befehle zu übermitteln.

Die reinen Empfangsgeräte tauschen keine sogenannten »Handshakes« mit dem Sender aus, das heißt, sie senden selbst keinerlei Signale; sie verfügen auch nicht über eine GPS-Funktion. Daher sind sie nicht zu orten. Während die Frequenzen für Mobiltelefone eine hohe Bandbreite und Datenübertragungsgeschwindigkeit ermöglichen, verwenden Pager andere, niedrigere Frequenzbereiche. Im Libanon liegen die Frequenzen im VHF-Band etwa zwischen 138 MHz bis 174 MHz. Und im UHF-Band sind etwa 450 MHz bis 470 MHz für Pager-Dienste reserviert. Frequenzen im UHF-Band durchdringen Gebäudewände besser. Die Hisbollah wähnte sich also in Sicherheit – doch wie konnten die Pager gesprengt werden?

Eine Vermutung besagt, dass der Akku überhitzt wurde. Normalerweise überwachen Sensoren den Akku und regeln die Leistungsabgabe rechtzeitig herunter. Diese Funktion könnte durch Softwaremanipulation umgekehrt worden sein. Immerhin sind Lithium-Ionen-Akkus gefährliche Energiepakete. Sie können durchaus »durchgehen«. Sie brennen nicht, es findet keine chemische Reaktion mit dem Luftsauerstoff statt. Daher sind Löschversuche sinnlos. Wenn der Akku zu heiß wird, bilden sich Gase, er bläht sich auf und platzt. Die Wirkung kann derjenigen kleiner Sprengladungen gleichkommen. Doch ob die relativ kleinen Akkus eine solche Sprengwirkung entfalten können, wie auf Bildern aus dem Libanon zu sehen ist, ist noch unklar. Allerdings bemerkten Berichten zufolge einige Hisbollah-Kämpfer, dass der Pager in ihren Taschen heiß wurde, bevor er explodierte.

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Eine andere Theorie besagt, dass die Geräte präpariert wurden, etwa indem Akkuzellen gegen »vorbehandelte« ausgetauscht wurden, in die PXD-Sprengstoff eingebaut worden war. Der Befehl zum Zünden der Ladung könnte in Form einer Textnachricht verschickt worden sein. Von derart präparierten Geräten geht die New York Times aus. Sie führt anonyme israelische Quellen an, die zunächst bestätigt haben sollen, dass hinter der komplexen Operation die israelischen Geheimdienste stecken. Sie sollen eine Scheinfirma gegründet haben, die B.A.C. Consulting in Ungarn. Diese Firma habe im Auftrag des taiwanesischen Unternehmens »Gold Apollo« die Pager hergestellt.

Doch tatsächlich sei sie zusammen mit zwei anderen Firmen Teil einer israelischen Fassade, hinter der Geheimdienstmitarbeiter Pager herstellten. Deren Batterien enthielten neben dem Elektrolyt-Gemisch auch den Sprengstoff PETN. Es seien zwar zur Tarnung auch »normale« Pager produziert worden, doch Hauptkunde sei die Hisbollah gewesen. Einige Pager sollen bereits im Sommer 2022 in den Libanon exportiert worden sein. Richtig hochgefahren wurde die Produktion allerdings erst, nachdem Nasrallah seinen Leuten Handys verboten und sie zum permanenten Tragen von Pagern verdonnert hatte. Ein Glücksfall für die israelischen Geheimdienste, die mehrere Millionen in Entwicklung und Aufbau dieser Produktion investiert hatten.

Pager verbreiteten sich massenhaft – so bestätigten zwei amerikanische Geheimdienstmitarbeiter gegenüber der New York Times – unter den Offizieren der Hisbollah und ihren Verbündeten. Man wiegte sich in Sicherheit. Währenddessen konnten die Israelis alles überwachen, mitlesen und – auf den Kopf drücken. Zielgenauer hätten sie die Hisbollah-Leute kaum treffen können, die manipulierten Pager wurden schließlich unter Hisbollah-Mitgliedern verteilt.

Am Dienstag piepten dann die Pager im Libanon. Eine Textnachricht, scheinbar von der Hisbollah-Führung, erschien auf Arabisch; und dann der Knall. In den vergangenen Wochen hatte die Terrororganisation täglich Raketen auf Israel abgefeuert, teilweise bis zu 60 am Tag: Diesem massiven Beschuss wollte Israel vermutlich ein Ende bereiten. Der gezielte Angriff hat die vom Iran unterstützte Terrortruppe zumindest vorerst effektiv gestoppt, Befehls- und Kontrollnetzwerke lahmgelegt. Nun feiern ausgerechnet viele Syrer die israelische Aktion: Sie haben die Unterdrückung durch die Hisbollah nur zu gut kennengelernt.

Befreiungsrufe sind zu lesen: „Befreit Syrien, befreit den Irak, befreit den Jemen, befreit Gaza, befreit das Westjordanland, befreit den Libanon, befreit den Iran und befreit ISRAEL … vom islamischen Regime im Iran und seinen dschihadistischen Terror-Stellvertretern aus Hamas, Hisbollah, Houthis und schiitischen Mi-lizen!“

Der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, lobte die Geheimdienstoperation. Es spreche einiges für eine israelische Urheberschaft, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Trotz noch offener Fragen sei dies eine äußerst professionelle und herausragende geheimdienstliche Operation gewesen, die in die Geschichte eingehen werde. Die Botschaft an die Hisbollah sei klar: Niemand sei sicher.

So empfindet es wohl auch die Führung der Terrororganisation. Am Donnerstag hielt Nasrallah eine Ansprache, in der er den Angriff als „Massaker“ und „Kriegserklärung“ geißelte, und behauptete, Israel habe „alle roten Linien überschritten“. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant kündigt indes einen neuen Schwerpunkt in den Kriegszielen seines Landes an. „Wir treten in eine neue Phase des Krieges ein, die uns Mut, Entschlossenheit und Ausdauer abverlangt“, sagte er am Mittwoch in einer Rede auf einem Luftwaffenstützpunkt. Ressourcen und Truppen würden in das Grenzgebiet im Norden verlagert.

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Neu sind solche Kriegstechniken nicht: Mobiltelefone etwa werden recht häufig als Fernzündmittel eingesetzt. So explodierte am 5. Januar 1996 in einem Berliner Hotel ein mit 15 Gramm Plastiksprengstoff präpariertes Handy während eines Telefonats. Das Opfer, der israelische Waffenhändler Ya’acov Nimrodi, wurde durch die Explosion schwer verletzt. 2012 bestätigte der frühere Schin Bet-Direktor Carmi Gillon in einer Fernsehdokumentation Israels Urheberschaft.

Auch die IRA setzte in den 1990er-Jahren Mobiltelefone ein, um improvisierte Sprengsätze (IEDs) fernzuzünden. Im Nahen Osten wurde diese Methode vor allem während der zweiten Intifada genutzt, ebenso in Afghanistan, im Irak, aber auch durch islamistische Terrorgruppen auf den Philippinen und in Sri Lanka. Heute lassen sich Mobilfunksignale gezielt stören, um Mobiltelefone als Zünder für Bomben zu blockieren; Plastiksprengstoff muss gewöhnlich mit Metallspänen oder Geruchsstoffen »markiert« werden, damit er bei Sicherheitskontrollen von Detektoren erkannt werden kann. Ohne solche Markierungsstoffe ist er in den meisten Ländern verboten. Doch die israelische Armee verfügt mit ziemlicher Sicherheit über die Ressourcen, um unmarkierten Plastiksprengstoff zur Verfügung zu stellen.

Was sagt uns diese raffinierte Art der Kriegsführung für die Konflikte der Zukunft? Droht auch hierzulande Gefahr? Tatsächlich sind solche Vermutungen nicht völlig von der Hand zu weisen: Auf Betreiben der Grünen sollen zum Beispiel alle Wohnungen und Häuser mit sogenannten Smartmetern ausgerüstet werden, über die Energieflüsse gesteuert werden können. Sie sind offen wie ein Scheunentor, können leicht angegriffen werden und ein gesamtes Energiesystem zerstören. Moderne Infrastruktur ist verwundbar, und die potenziellen Gefahren, die von Cyberangriffen auf kritische Versorgungssysteme ausgehen, werden weithin noch unterschätzt.

Immerhin ist der Amtssitz des Bundeskanzlers durch Steinzeittechnologie zuverlässig geschützt: Dort sorgt ein Rohrpostsystem für die Weiterleitung von Information. Ganz klassisch. Auf Papier.

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