Tichys Einblick
USA, China und Russland teilen den Globus auf

Expansionsstreben der Großmächte in Europa: Grönland und Ukraine-Krieg

Die Jahrzehnte der westlichen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen die "regelbasierte Ordnung" des Westens als Orientierung diente, scheinen zu Ende zu gehen. Trump tritt gegenüber westlichen Partnern ebenso konfrontativ auf wie gegenüber östlichen Rivalen. Von Seyed Alireza Mousavi

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jim Watson

In den vergangenen Wochen drohte Trump mehrfach damit, Kanada zur 51. Provinz der USA zu machen und Grönland zu erwerben. Während Trumps Äußerungen in Europa für Kopfschütteln sorgten, äußerte der russische Präsident Putin vor Kurzem Verständnis für Trumps Idee, Grönland zu annektieren. Putin sagte vergangene Woche auf dem Internationalen Arktis-Forum in Murmansk, ernsthafte Pläne der USA, Grönland zu übernehmen, hätten „lange historische Wurzeln“. Kritik an seinem US-Amtskollegen wegen der Grönland-Übernahme kam vom Kremlchef nicht: „Was Grönland betrifft, ist das eine Frage, die zwei konkrete Staaten betrifft und nichts mit uns zu tun hat.“ So der russische Präsident, dessen Militär seit 2022 einen groß angelegten Angriffskrieg im Nachbarland führt.

Grönland-Annexion

„Nichts Überraschendes“ fand Putin an Trumps Grönland-Avancen auch wegen eines „Dreiecksgeschäfts“, durch das die USA, Deutschland und Dänemark 1910 Gebiete getauscht hätten. Seinerzeit schlug der US-amerikanische Botschafter in Kopenhagen vor, dass die USA unter anderem Grönland von Dänemark erhalten sollten und Kopenhagen dafür zwei heute philippinische Inseln geben sollten, die es dem Deutschen Reich im Austausch für Nordschleswig überlassen könnte.
Putin will offenbar die Unterstützung einer amerikanischen Einflusssphäre in der westlichen Hemisphäre als Gegenleistung für die amerikanische Zustimmung zur Errichtung einer russischen Einflusssphäre in Osteuropa anbieten.

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Auch die USA scheinen an einem solchen Abkommen über die Köpfe der Europäer hinweg interessiert zu sein. In einem Interview mit dem ehemaligen Fox-News-Kommentator Tucker Carlson schien der Sondergesandte von Donald Trump, Steve Witkoff, die Ergebnisse der Referenden anzuerkennen, die von Moskau in den von Russland besetzten und unter russischer Kontrolle stehenden Gebieten der Ukraine abgehalten wurden. Nach einem Referendum im September 2022 stimmte die große Mehrheit der Ukrainer in den vier Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson für den Anschluss an Russland.
USA provozieren Dänemark

Bei einem Besuch eines US-Militärstützpunkts im Norden Grönlands warf kürzlich der US-Vizepräsident JD Vance Dänemark vor, die Insel nicht ausreichend zu schützen, und schlug vor, dass die USA die strategisch günstig gelegene Insel besser schützen sollten. Kopenhagen tue „angesichts der Bedrohungen durch Russland und China“ zu wenig für die Sicherheit Grönlands, so JD Vance. Trump selbst legte später noch mal nach. „Wir werden Grönland bekommen. Ja, 100 Prozent“, sagte er in einem NBC-Telefoninterview. Er fügte hinzu, dass es eine „gute Möglichkeit gibt, dass wir es ohne militärische Gewalt tun können“, aber dass er nichts ausschließe.

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Trump hat mehrfach betont, dass die USA Grönland für ihre Sicherheit brauchen. US-Präsident schwenkt damit auf eine klassische Logik in der Weltpolitik ein, wonach die Größe des Territoriums als Maßstab für nationalen Erfolg gilt. Wie erschüttert Dänemark über das Vorgehen der USA ist, ließ sich an vielen Demonstranten nach JD Vance-Besuch in Grönland ablesen. die vor die amerikanische Botschaft in Kopenhagen zogen und etwa „Nein-heißt-nein“-Schilder hochhielten.

Der neu gewählte Regierungschef Grönlands, Jens-Frederik Nielsen hat bereits den Besitzansprüchen von US-Präsident eine klare Absage erteilt. Trump sage, er werde Grönland bekommen, schrieb Nielsen auf Facebook und wurde dann seinerseits deutlich: „Lassen Sie mich das klar sagen: Die USA bekommen Grönland nicht. Wir gehören niemand anderem. Wir bestimmen selbst über unsere Zukunft.“

Kampf um den Nordpol

Die Pläne zur Übernahme Grönlands haben tiefe historische Wurzeln und Trumps Argumente dafür sind nicht aus der Luft gegriffen. Seit 1867 versuchten die US-Amerikaner schon, die Insel zu übernehmen. Der Versuch bot sich später an, nachdem die Dänen schon im ersten Weltkrieg mehrere kleinere Inseln an USA verkauft hatten. Auch sind den US-Amerikanern Käufe von fremdem Land nicht ganz fremd: Sie erwarben Alaska von Russland oder Florida von den Spaniern. Grönland ist strategisch von wichtiger Bedeutung. Sie bildet nämlich ein schmelzendes Bollwerk aus Eis zwischen USA und Russland. Die Amerikaner unterhalten dort bereits die Luftwaffenbasis Pituffik Space Base (Thule). Sie überwachen mit einem Frühwarnsystem Raketenflüge – eine Abwehrmaßnahme mit Blick auf Russland und China. Grönland gilt vor allem als Ausgangspunkt für das Vordringen in die Arktis.

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Großmächte ringen schon längt im Polargebiet um Einfluss. Schon vor Trumps Forderung nach Grönland haben sich dort auch Russland und China in Stellung gebracht, wobei die „Militarisierung“ der Arktis in vollem Gange ist. Russland, dem etwa die Hälfte der arktischen Küstenlinien gehört, baute auf seinem Gebiet neue Stützpunkte aus. In seiner Rede bei dem Arktisforum in Murmansk forderte Putin die russische Regierung dazu auf, den Bau und die Renovierung von Garnisonsstädten in der Polarzone voranzutreiben. Arktispolitik ist ein Mittel der russischen Strategie für Europa, um wirtschaftlich und politisch Einfluss zu nehmen. Dabei wird das Zusammenwirken von Nord- und Ostseeflotte immer wichtiger, wenn es darum geht, geostrategische Interessen zu wahren und das Hoheitsgebiet zu verteidigen.

Beteiligt sind an diesem Ringen nicht nur die Arktis-Anrainerstaaten USA, Kanada, Dänemark Norwegen und Russland, sondern auch China. Peking macht mit der Begründung Ansprüche geltend, die Nordpolarregion sei „globales Gemeingut“, dessen Verwaltung „ungeklärt“ sei. Es bezeichnet die Gegend als eines der drei „neuen Grenzgebiete“ neben dem Weltraum und dem Meeresboden. Russland hat sich lange gegen die wachsende Präsenz Chinas in der Arktis gesträubt. So legte es bis vor etwa elf Jahren sein Veto gegen Chinas Antrag ein, in den Arktischen Rat, das Gremium der Anrainerstaaten, aufgenommen zu werden. China erhielt dann einen Beobachterstatus. Inzwischen erhält Peking dank Moskau immer mehr Zugang zur Polarregion. Denn Russland ist wegen der Isolation, in die es wegen des Ukraine-Krieges geraten ist, heute auf China angewiesen. Ging es China anfangs insbesondere um den Zugang zu potentiellen neuen Handelswegen, die den Weg nach Europa beträchtlich verkürzen können, so strebt es nun auch nach Beteiligung an Bodenschätzen und Präsenz im militärstrategischen Raum der USA. Insofern ist es nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn Donald Trump die Sicherheitsinteressen der USA in Grönland auch mit dem Hinweis auf „chinesische Schiffe“ begründet.

Europa und Sicherheitsfragen

Die jüngsten Äußerungen des russischen Präsidenten über die Nichteinmischung Russlands in den Konflikt zwischen Dänemark und den USA zeigen, dass die Großmächte dazu neigen, Spannungen in der Welt nach dem Prinzip der Aufteilung von Einflusssphären und nicht nach den bisher geltenden internationalen Regeln zu lösen. Die militärische und wirtschaftliche Macht einer Großmacht sollte den Sieg in jedem diplomatischen Konflikt garantieren. Schon fast ähnlich wie im 19. Jahrhundert, als die europäischen Großmächte im Wettlauf um immer mehr Territorium in der ganzen Welt standen und fremde Kontinente kolonisierten. Die neuen Entwicklungen ist allerdings ein Weckruf für Europa: Heute dürfte Europa Objekt des neuen Imperialismus sein, während die USA, China und Russland sich an die Aufteilung des Globus machen.

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Auch in Europa gibt es noch keinen Konsens über den Umgang mit der neuen geopolitischen Zeitenwende. Frankreich und Großbritannien sehen in Russland die größte Gefahr für Europa und die Führungen beider Staaten sind bereit, Truppen in die Ukraine zu entsenden, um Russland abzuschrecken. Während Großbritannien, Frankreich und Deutschland „Rearm Europe“ ausgerufen haben und sich in Sicherheitsfragen von den USA emanzipieren wollen, stellen sich viele süd- und osteuropäische Staaten quer. Die italienische Ministerpräsidentin Meloni bot sich in einem Interview mit Financial Times als „Brückenbauerin“ zwischen den USA und der EU an. Auf die Frage, ob sie Russland als eine langfristige Bedrohung betrachte, antwortete Meloni: Man müsse verstehen, dass die Bedrohungen von allen Seiten kommen könnten.

Das Problem der Europäer ist, dass sie sich in einer geopolitischen Sandwich-Position befinden, während der sogenannte kollektive Westen allmählich zerfällt. Von eurasischer Seite werden sie mit dem russischen Krieg konfrontiert, von hochsubventionierten chinesischen Waren überschwemmt und von amerikanischer Seite seit der ersten Präsidentschaft Trumps politisch erpresst. Diese Auseinandersetzung wird die Europäer in der nächsten Zeit beschäftigen. In ihr wird sich entscheiden, ob die EU oder auch der europäische NATO-Flügel zusammenhalten und einen geopolitisch relevanten Akteur formen könnte oder ob Europa zerfällt und die dann vereinzelten Staaten zu Fußabtretern der Großmächte Russland, China und USA werden.


Seyed Alireza Mousavi, geb. 1987 im Iran, ist promovierter Politikwissenschaftler. 2017 erschien seine Dissertation ‚Die Globali­sierung und das Politische. Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt‘ (Duncker& Humblot). Der Schmitt-Forscher ist freier Journalist und lebt in Berlin.

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