Tichys Einblick
Trotz Eindämmung zweier Routen

Eurostat: EU-Asylanträge anhaltend hoch

Wo Frontex von verringerten Einreisen berichtet, da weiß Eurostat von stabil hohen Asylantragszahlen. Die Routen verlagern sich hin zu den Kanaren, in die Ägäis und nach Zypern. An einer Front bleibt die EU aktiv: beim Ausgeben von Geld für mehr Grenzschutz – durch ihre Nachbarn.

picture alliance / abaca | Europa Press/ABACA

Die Migration ist bei den kommenden EU-Wahlen das mit Abstand wichtigste Thema, nämlich für knapp die Hälfte der Bürger. Erst mit großem Abstand folgen die Themen „Sicherheit und Frieden“ (18 Prozent) und „Klima und Umwelt“ (elf Prozent) sowie erstaunlich abgeschlagen „Wirtschaft und Finanzen“ (sieben Prozent). Die Civey-Online-Umfrage ist dabei vielleicht kein ganz sicheres Instrument, aber doch ein Wegweiser durch die Stimmungslage. Der Vorsprung vergrößert sich noch einmal für die 16- bis 29-Jährigen, bei denen sogar 55 Prozent den Themenkomplex „Migration und Asyl“ als wahlentscheidend bezeichnen.

Insofern gibt es jeden Grund zur Aufmerksamkeit für die aktuelle Entwicklung, und die bietet den einen oder anderen Widerspruch. Laut Frontex ist bei den illegalen EU-Einreisen von Januar bis April ein Minus von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen, wobei aber die im letzten Jahr frequentierten Routen Westbalkan und Italien bereits durch das östliche Mittelmeer und Westafrika ersetzt werden.

Es bleibt dabei: Der westliche Balkan und die zentrale Mittelmeerroute nach Italien haben sich in diesem Jahr gut halbiert, dafür wuchs die Kanarenroute um 375 Prozent, verfünffachte sich also fast und macht damit dem zentralen und östlichen Mittelmeer „Konkurrenz“. Auch in Griechenland, Bulgarien und Zypern wurden doppelt so viele Einreisen festgestellt wie im Vorjahreszeitraum. Insgesamt waren es über 60.000 festgestellte Einreisen. Doch den Kontrolleuren gehen noch immer viele Einreisen durch die Lappen, und das kurz nach dem Beschluss des supersicheren Asylsystems der EU inklusive intensivem „Screening“. Und das war bekanntlich Olaf Scholzens Lieblingsbestandteil dieser „Asylreform“.

Schutzanträge anhaltend hoch: Ein Viertel wird in Deutschland gestellt

Zugleich ist die Zahl der Schutzanträge in der EU im Februar aber keineswegs zurückgegangen, sondern leicht gestiegen, wie die Nachrichtenagentur dts meldet. Im Februar 2024 haben demnach 75.445 Personen einen Erstantrag auf internationalen Schutz in EU-Ländern gestellt. Im Februar 2023 waren es 74.295 Anträge, also waren es in diesem Jahr knapp zwei Prozent mehr, wie das EU-Statistikamt Eurostat am Dienstag mitteilte. Dazu noch gab es 7.000 Folgeantragsteller, was einen Anstieg von sieben Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat (6.540) bedeutet. Also waren es insgesamt sogar über 82.000 Schutzanträge im Februar in den Staaten der EU.

Weitere Kontraste sind miteinander zu vereinbaren: Bei den illegalen Einreisen dominierten in diesem Jahr die Syrer vor den Maliern und Afghanen. Bei den drei häufigsten Nationalitäten kommen die Malier nicht vor, hier lautet die Hitliste: Syrer (10.465 Erstantragsteller), Afghanen (6.950) und Venezolaner (5.800). Die meisten EU-Schutz- oder Asylanträge – nämlich fast ein Viertel von allen – wurden selbstredend in Deutschland gestellt, obwohl das Land keine bedeutende EU-Außengrenze besitzt: 19.490. Spanien nahm 13.600 Erstanträge entgegen, Italien 13.345, Frankreich nur 10.205. Das ist doch ein deutlicher Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland, den beiden mengenmäßig wichtigsten Zielländern innerhalb der EU. Zusammen nahmen die vier Länder drei Viertel aller Erstanträge auf Asyl in der EU entgegen, doch Deutschland sichert sich Monat für Monat seine Pole-Position.

Die Zahl der besonders aufwendig zu betreuenden unbegleiteten Minderjährigen unter den Asylsuchenden in der EU lag im Februar bei 2.555, knapp ein Viertel von ihnen aus Syrien (710), 470 waren aus Afghanistan, 145 aus Ägypten und 135 aus Somalia, 110 aus dem westafrikanischen Guinea gleich südlich des Senegal. Auch hier führt Deutschland die Statistik bei weitem an: Über tausende (1.025) Minderjährige stellten in nur einem (kurzen) Monat einen Asylantrag in der Bundesrepublik, etwa so viele wie in den Niederlanden, Spanien, Griechenland und Italien zusammen.

EU bleibt aktiv bei Migrationsdeals – Asylindustrie trägt dazu bei

Derweil bleibt die EU in einem Feld aktiv: bei den Migrationsdeals mit ihren Nachbarn. An die Türkei flossen seit 2016 fast neun Milliarden Euro. Das führte zur Verschiebung der Fluchtrouten nach Westen. Letztes Jahr folgte Tunesien mit über 900 Millionen versprochene Euro, dieses Jahr Mauretanien (210 Mio.) und der Libanon, der locker eine Milliarde Euro von der EU beziehen soll, damit er seinen internationalen Verpflichtungen nachkommt und keine Boote mehr ablegen lässt.

Bis zum Jahresende soll zudem ein neuer Deal mit Marokko folgen, wie die Kronen-Zeitung schon im März berichtete. Das Königreich hat seit 2014 bereits eine knappe Milliarde Euro von der EU für seine Dienste erhalten. Nun will es anscheinend kein weiteres Geld, nur die Anerkennung der Westsahara als marokkanisches Gebiet. Und das ist zumindest billiger für die EU, auch wenn in der Folge dann wieder Tunesien sauer sein könnte, woe mit Kais Saied ohnehin kein großer „Gönner“ der Eurokraten sitzt.

Es geht also weiter mit der Auslagerung des Grenzschutzes an die Nachbarn, die immer nur ein Mittel sein wird, um „unschöne Bilder“ oder auch Debatten in den eigenen Ländern zu vermeiden. Debatten etwa nach Art der britischen Diskussion über das Ruanda-Modell, in denen die Interessenwahrer der Asylindustrie – zähen Widerstand leisten. Es ist nicht ganz falsch, zu sagen, dass die europäische Asylindustrie dadurch mitschuldig daran wird, dass die EU einen vielleicht „schmutzigen“ Grenzschutz durch Mittlerstaaten in Nordafrika und Westasien organisiert.

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