In dem mit Spannung erwarteten zweiten Präsidentschaftswahlgang in Polen konnte der konservative Amtsinhaber Andrzej Duda nach offiziellen Angaben einen knappen Sieg erringen. Montag Mittag waren zwar die Stimmen noch nicht endgültig ausgezählt, doch wie der Pressesprecher der Staatlichen Wahlkommission mitteilte, wird dies das Endergebnis kaum beeinflussen: Der von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützte Kandidat bleibt für fünf weitere Jahre polnisches Staatsoberhaupt. Nach Auszählung von 99,97 Prozent der Wahllokale erhielt Duda 51,3 Prozent der Stimmen, auf seinen Konkurrenten Rafał Trzaskowski von der links-liberalen Bürgerkoalition (KO) entfielen 48,7 Prozent. Die Beteiligung erreichte mit 67 Prozent erneut ein Rekordhoch.
Restlos überzeugend scheint Dudas knapper Sieg indes nicht zu sein. Vielmehr ist es auch ein Warnschuss. Zahlreiche konservative Wähler stellen sich seit gestern die berechtigte Frage: Wie konnte Warschaus Bürgermeister Trzaskowski, der in der Hauptstadt seit den Lokalwahlen im Jahr 2018 von einem Misserfolg zum anderen humpelte und sich im Wahlkampf ständig widersprach, den amtierenden Präsidenten bis auf zwei Prozent einholen?
Dies hat er vor allem deshalb geschafft, weil er mit der tatkräftigen Unterstützung privater Medien und des dahinter stehenden in- und ausländischen Kapitals Andrzej Dudas Ruf als „Marionette“ des unbeliebten PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński zu festigen vermochte. Dieser Populismus hat sich offenbar als so breitenwirksam erwiesen, dass Millionen junger Wähler ungeahnt einen Kandidaten vorgezogen haben, der wiederum selbst als kritikloser Handlanger der EU-Eliten gilt und seit Jahren sämtliche Reformen der polnischen Regierung torpediert. Das Präsidentenamt hätte Trzaskowski also Mittel in die Hand gegeben, welche die politischen Koordinaten grundstürzend verändert hätten. Das polnische Staatsoberhaupt spielt nicht nur eine enorm wichtige Rolle in der Außenpolitik, sondern hat auch Einfluss auf die Regierungsbildung und ist im Kriegsfall Oberbefehlshaber der nationalen Streitkräfte.
Um auch über 2023 hinaus an der Macht zu bleiben, müsste die PiS folglich einige Strategien überdenken und insbesondere auch mehr junge Menschen an sich binden. Das Vertrauen in eine Partei, die dauerhaft straff von oben geführt wird, muss irgendwann unweigerlich erodieren. Junge Konservative wollen sich auch häufiger das Recht nehmen, von unten zu entscheiden und die Dinge ins Rutschen zu bringen. Vorgemacht hat dies der 38-jährige Krzysztof Bosak von der nationaldemokratischen Konfederacja, der auf flache Hierarchien und parteiinternen Konkurrenzkampf setzte. Viele von seinen Wählern haben sich im zweiten Wahlgang dennoch für den „wirtschaftsliberaleren“ Trzaskowski entschieden, auch wenn sie das von ihm propagierte Familienbild für einen kapitalen zivilisatorischen Irrtum halten, der in Polen die Saat für Linkspopulisten gelegt hat.
Eine Wählerstromanalyse ergab zudem noch weitere erstaunliche Erkenntnisse. Mag dies auch seltsam klingen, wahr ist: Nicht wenige traditionelle Sozialisten aus den Reihen der Neuen Linken haben für Andrzej Duda gestimmt, weil sie seine sozialen Projekte im Blick hatten und weniger die LGBT-Versprechen von Trzaskowski. Seinen Sieg hat der Präsident jedoch größtenteils seinen „eigenen“ Stammwählern zu verdanken, deren Zahl sich im Vergleich zu 2015 trotz übelster Anfeindungen seitens der Opposition gar vergrößert hat. Duda führte einen überaus professionellen und intensiven Wahlkampf, zeigte sich volksnah und ließ es an Demutsgesten nicht fehlen. Während Trzaskowski noch ausschlief, versorgte der Staatspräsident um fünf Uhr morgens südpolnische Bergarbeiter mit belegten Broten. Vielleicht macht ein solches Verhalten letzten Endes den „kleinen“ Unterschied aus.
Wie geht es jetzt weiter? Trzaskowski hatte in seine Wahlkampf immer wieder versucht, seine eklatante Programmlosigkeit mit möglichen Schreckensszenarien zu überdecken. Nach der kontroversen Justizreform werde nun in den nächsten fünf Jahren die Pressfreiheit eingeschränkt, so der stellvertretende Vorsitzende der PO. Die PiS verfüge schon jetzt über einen staatlichen „Propagandaapparat“, der es Trzaskowski unmöglich machte, zu allen Wählerschichten durchzudringen. Diese Annahme ist schlichtweg falsch. Den Bürgermeister von Warschau unterstützten wochenlang prominente „Haltungsjournalisten“ auflagenstärkster Zeitungen wie Newsweek, Polityka oder Rzeczpospolita. Der polnische Staatspräsident ist seit fünf Jahren unter ständigem Dauerbeschuss oppositionsnaher TV-Sender wie TVN und TVN24. In manchen Sendungen der Rundfunksender TOK FM und Radio Zet wird der promovierte Jurist Kaczyński mitunter wie ein Trottel dargestellt, der es per Zufall an die Macht geschafft hat. In der immer noch viel gelesenen Gazeta Wyborcza wurde Duda wiederholt als „Präsident der polnischen Provinz“ verschmäht. Das stimmt: Der Staatschef hat der von der Vorgängerregierung vernachlässigten Provinz wieder neues Selbstvertrauen gegeben, wenngleich er bei diesen Wahlen auch in vielen Großstädten gewann. „Demokratische“ Medien wie das Nachrichtenportal Onet sowie die Redaktion der Boulevardzeitung Fakt, die zum Teil dem deutschen Axel-Springer-Konzern gehören, haben sich während des Wahlkampfs zahllose Provokationen und Tiefschläge erlaubt. Der Chefredakteur der Newsweek Tomasz Lis etwa sprach von einer „hasserfüllten PiS-Propaganda“. Dabei reicht nur ein Blick auf seine vulgären Tiraden in den sozialen Medien, um sich zu überzeugen, dass sein letzter Wahlaufruf „Fuck PiS“ noch der harmloseste war. Wenn in der einseitigen deutschen Osteuropa-Berichterstattung behauptet wird, die PO sei ausnahmslos die „Partei der Gebildeten“, dann handelt es sich oft wirklich um ein Missverständnis.
Es sind auch diese polnischsprachigen Medien mit ausländischen Kapital, die vor jeder Wahl behaupten, Duda zöge wieder einmal die „antideutsche“ Karte. Der Präsident hatte im Wahlkampf tatsächlich den Einfluss deutscher Medien auf die polnische Politik kritisiert. Jedoch nicht, um Deutschland anzugreifen, sondern weil seine Mutmaßungen in der Sache nicht ganz abwegig sind. Duda erwähnte in dem Kontext den Warschau-Korrespondenten der Welt, der in seinen Artikeln fast ausnahmslos die PiS-Regierung und den Präsidenten angreife. In der Tat konnte man in der Vergangenheit den Eindruck gewinnen, dass eine andere Sichtweise für den deutschen Journalisten ein redaktionelles Wagnis wäre. Für Irritationen in Warschau hat anschließend ein arroganter „offener Brief“ des Welt-Chefredakteurs gesorgt, unter dem inzwischen viel zitierten Titel „Wir müssen reden, Herr Duda“. Unvorstellbar, welchen Aufschrei in der westlichen Medienlandschaft ein Schreiben auslösen würde, wenn ein regierungsnahes polnisches Blatt in ähnlicher Form Angela Merkel adressieren würde.
Dr. Wojciech Osiński (*1979) ist Auslandsredakteur des liberal-konservativen Wirtschaftsmagazins „Gazeta Bankowa“. Für die Online-Zeitung „Tygodnik Solidarność“ schreibt er zudem allwöchentlich über Politik, Geschichte und Kultur.