In einem vierseitigen Brief haben sich zwölf Innenminister der Mitgliedsstaaten an die Europäische Union gewandt. In dem Schreiben, das auf den 7. Oktober datiert, fordern die Minister von der Europäischen Kommission, die Außengrenzen zu verbessern. „Physische Barrieren scheinen eine wirksame Grenzschutzmaßnahme zu sein, die dem Interesse der gesamten EU dient, nicht nur der Mitgliedstaaten der ersten Ankunft“, heißt es in dem Brief, der an Margaritis Schinas, Vizepräsidenten der Kommission, und an Ylva Johansson, Kommissarin für Inneres, adressiert war. „Diese legitime Maßnahme sollte zusätzlich und angemessen aus dem EU-Haushalt finanziert werden.“
Die zwölf EU-Länder kritisierten zudem, dass es keine Regeln gebe, zu welchen Maßnahmen Mitgliedsstaaten im Fall einer „hybriden Attacke“ eines Drittlandes befugt seien, wenn dieses einen großen Zustrom illegaler Migranten nutze, um politischen Druck auszuüben. Die Unterzeichnerländer sind Bulgarien, Dänemark, Estland, Griechenland, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern.
Der Brief ist eine Reaktion auf die Strategie des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der gezielt Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten – mehrheitlich Iraker – in die EU schleust. Die Regierung vergibt großzügig Reise-Visa. Iraker, die ihre Flüge mit der staatlichen Reisegesellschaft Centrkurort buchen, bekommen automatisch ein Visum. Bei der Ausreise nach Weißrussland werden sie gebeten, eine Kaution von 3.000 US-Dollar zu hinterlegen. Der Betrag wird verwendet, um Bußgelder an Weißrussland zu zahlen, falls ein Reisender nicht in den Irak zurückkehrt. Illegaler Menschenschmuggel, staatlich befördert – unter dem Deckmantel des Tourismus. Die Osteuropa-Route gilt unter den Migranten als teurer, aber auch sicherer als die Mittelmeerroute.
Lukaschenkos Politik ist eine Antwort auf die gegen ihn verhängten EU-Sanktionen, die nach der Niederschlagung der Augustproteste 2020 insbesondere von den Nachbarländern Polen und Litauen forciert wurden. Seitdem fahren Busse und Taxis mit Migranten an die Grenze, nachdem ihnen Weißrussland eine sichere Fahrt in die EU versprochen hat. In den vergangenen Monaten haben Tausende die Ostgrenze der Union erreicht. Schätzungen gehen von 4.000 Ankünften in Litauen, 1.400 in Polen und 400 in Lettland aus.
Litauen hat im August beschlossen, einen 500 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Weißrussland zu errichten; mit einer Höhe von 4 Metern. In Lettland bestehen ähnliche Überlegungen, dort soll ein 134 Kilometer langer Stacheldrahtzaun entstehen. Auch Polen möchte seine Grenze befestigen: nach ungarischem Vorbild will das Land eine zweieinhalb Meter hohe Mauer bauen. Griechenland, dass ähnliche Erfahrungen mit seinem türkischen Nachbarn gemacht hat und zu den Unterzeichnern des Briefes gehört, besitzt bereits eine 40 Kilometer lange Grenzschutzanlage in Westthrakien.
Die EU dagegen hat in der Vergangenheit betont, dass sie keine Zäune oder Mauern an den Grenzen finanzieren werde. Sie hält an ihrem festgefahrenen Pakt zu Migration und Asyl fest. Ein Sprecher bestätigte: EU-Mittel stünden nur für „integrierte Grenzmanagementsysteme“ zur Verfügung. Offensichtlich hat Brüssel weder 2015 noch in der Konfrontation mit Erdogan seine Lektion gelernt. Die Verantwortung für den Grenzschutz – und damit: die „unschönen Bilder“ – dürfen dabei ausgerechnet die Länder tragen, auf deren interne Angelegenheiten eine übergriffige Kommission Einfluss nehmen will.