Tichys Einblick
Sloweniens EU-Ratspräsidentschaft

Slowenischer Parlamentarier: Ohne Migrationskonsens könnte sich der Brexit wiederholen

Der slowenische Parlamentarier Branko Grims kritisiert mit Weitsicht die EU-Orthodoxie in Sachen Migration und warnt vor einem zweiten »Brexit« der Mitteleuropäer. Grims’ Parteichef hat am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen.

IMAGO / imagebroker/theissen

Am 14. Juni fand eine »High Level Conference« unter der Ägide des Europäischen Parlaments statt. Abgeordnete aus den Mitgliedsländern, aus nationalen Parlamenten und dem EU-Parlament, diskutierten über die Themen Migration und Asyl. Im Hintergrund der Beratungen stand natürlich der neue EU-Migrationspakt, der in diesen Wochen und Monaten eine für alle Mitgliedsstaaten verbindliche Form annehmen soll. Ein Vorhaben mit höchst ungewissem Ausgang – wie immer in dieser EU.

Am Anfang des Films, der im Anschluss an die Konferenz produziert wurde, sieht man in Bildern jene Realität, die die EU-Kommission gerne in eine dauerhafte, irgendwie gangbare Form überführen würde. Die dazwischen geschnittenen Redefragmente betonen die Natürlichkeit von Migration, ihre quasi Unverhinderbarkeit, die ein gemeinsames Handeln der EU-Partner erfordere, so der portugiesische Premierminister und Sozialist António Costa. Man sieht die neueste Generation von Schlauchbooten, die häufig in China hergestellt und von dort via Alibaba bezogen werden können, man sieht Suppenküchen, improvisierte Barbierläden und fußballspielende Mädchen, dann Mädchen mit Schleier über Schulbüchern, schwarze Krankenschwestern und Automechaniker. Migration wird hier als Gewinngeschäft erzählt.

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Doch in den folgenden Wortmeldungen der Abgeordneten spiegelte sich daneben auch die wirkliche Vielfalt Europas wider, nicht nur eine von vorne vorgegebene Einheitsmeinung. Einige Beiträge waren dabei in Allgemeinplätze gebadet, andere Redner neigten zu deutlicheren Aussagen. Zu den letztgenannten gehört ohne Zweifel Branko Grims von der Slowenischen Demokratischen Partei (SDS), die als sozialdemokratische Partei gegründet wurde, derzeit noch der Europäischen Volkspartei angehört, aber traditionell Viktor Orbán nahesteht. Parteichef Janez Janša ist seit März 2020 erneut Ministerpräsident seines Landes und hat zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft von Portugal übernommen. Janša hat offenbar Ambitionen, etwas zu bewegen in Sachen EU-Asylpolitik.
»Sicherstellen, dass die Menschen in ihrem Land prosperieren«

Grims’ Position könnte man irgendwo zwischen diesen Polen verorten, seine Kompassnadel schlägt dabei eindeutig genug aus. Ereignisse wie in Ceuta, als tausende Migranten in kürzester Zeit EU-Boden betraten, nennt Grims ein Alarmsignal. Das seien Zustände, die an das Jahr 2015 erinnern und dabei jederzeit wieder zu erwarten sind. Den Rückgang der illegalen Migration im vergangenen Jahr sieht der Abgeordnete eher als einen temporären Effekt der Covid-Restriktionen. Sobald dieselben fallen, werden die irregulären Migrationsströme wieder anwachsen. Auf Europa könnten ungeheure Herausforderungen und Anstrengungen zukommen.

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Tatsächlich würde damit aber gar nichts erreicht, so Grims. Denn auch wenn die EU alle Migranten der Welt aufnähme, würde daraus nur die Zerstörung Europas und seiner nationalen Identitäten folgen, nicht aber die Lösung der Migrationsproblematik. Die wirkliche Aufgabe der EU sieht er darin, den Migranten ein Leben in ihren Heimatländern zu ermöglichen: »Wir müssen sicherstellen, dass die Menschen in ihren eigenen Ländern leben und prosperieren können.« Grims setzt so eine verantwortungsethische Position an die Stelle der üblichen Gesinnungsethik in Migrationsfragen, die sich vom emotionalen Bild gefangennehmen lässt. Eine der Zukunftsfragen wird sein: Was kann Europa, was die EU tun, damit jenes Leben im eigenen Kulturkreis, in Sicherheit und Prosperität für alle möglich wird?
Ein neuer Konsens zur Migration wird dringend gesucht

Darauf kann Grims in der Kürze der Zeit keine Antwort geben. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass es legitim ist, die eigenen Grenzen zu schützen. Denn auch die Europäer haben ein Recht, in Sicherheit zu leben, und dieses Recht könne ihnen kein Ausländer nehmen, wie Grims hinzufügt – man muss nicht sagen, in prophetischer Weise. Allerdings haben Grims’ Worte innerhalb von vierzehn Tagen auf unvorhersehbare Weise an Gewicht gewonnen, nachdem in ganz Europa über das Würzburger Attentat berichtet wurde und die wachsende Zahl der Frauenmorde in verschiedenen europäischen Ländern zum Thema wurde.

Am Ende seiner Rede bekennt sich Grims zur europäischen Solidarität und Zusammenarbeit, versteht beide Begriffe aber zugleich ganz anders, als sie häufig im Westen des Kontinents verstanden werden. Der konservative Slowene ist sich sicher: Die EU muss einen Konsens in diesen Fragen finden, und zwar ohne irgendwelche Lösungen aufzuzwingen und ohne Machtspiele. Schafft sie das nicht, dann, so fürchtet Grims, wird der Brexit vielleicht kein isoliertes Ereignis bleiben, auch wenn man das bedauern mag.

Genau deshalb müsse alles getan werden, damit Gesetze und Grenzen wieder beachtet werden, die illegale Migration endet und alle Menschen ohne Anrecht auf Schutz in ihre Heimatländer geschickt werden. Grims sieht die Unterstützung von Schutzbedürftigen in ihren Heimatländern als einzige wirklich »nachhaltige Lösung« an. Dann könnten auch eine Menge europäischer Gelder wieder den Europäern zugutekommen. Hier könnte sich wirklich ein neuer Konsens ankündigen, der durch die dänische Asylreform angestoßen wurde.

EU-Vorhaben, die Europa spalten

Der Europa-Abgeordnete Bernhard Zimniok von der AfD, der fraktionsübergreifend auch mit Kollegen aus Mittel- und Osteuropa im Gespräch ist, glaubt, dass es inzwischen über mehr als eine Frage zum Bruch zwischen den verschiedenen »Linien« und Faktionen in der EU kommen könnte. So hat der jüngst vorgelegte Matić-Bericht, der pauschal von einem »gesetzlich gewährten Abtreibungsrecht« spricht, besonders die polnischen Abgeordneten der PiS-Partei entsetzt.

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In seinem Redebeitrag zur EU-Konferenz stellte Zimniok die Frage, wer die EU-Gremien eigentlich dazu autorisiert hat, eine so weitgehende Umgestaltung der Migrationsregularien vorzunehmen, wie sie sich im neuen »Migrationspakt« zeigt. Zimniok warnt vor der Zuwanderung von Millionen ungelernter Arbeiter, die zudem keine Vorstellung von der europäischen Lebensweise haben. Es sei höchste Zeit, die europäischen Wähler, ihre Gedanken und Gefühle zu solchen Politikvorschlägen in den öffentlichen Diskurs einzubeziehen. Die europäische Migrationspolitik dürfe kein Elitenprojekt der Kommission bleiben.

Branko Grims beschrieb den vorgeschlagenen EU-Migrationspakt in einer zweiten Wortmeldung als eine Verewigung der schlechten Praxis der letzten Jahre, die im wesentlichen einen Bruch rechtsstaatlicher Verfahren bedeutete. Die Fortsetzung dieses Zustands würde – so fasst er noch einmal seine These zusammen – zum Ende der Europäischen Union führen. Diese Worte könnten sich durchaus als prophetisch erweisen, auch angesichts einer Vielzahl von EU-Entscheidungen, die die Vorstellungen der Mittel- und Osteuropäer vom Baltikum bis zur Adria schlichtweg ignorieren.

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