Tichys Einblick
Schleppende Aufarbeitung nach dem Skandal

Wie das EU-Parlament die Aufklärung der Katar-Bestechung verhindern will

Statt die Kontakte zu Katar offenzulegen und die beeinflussten Dossiers zu überprüfen sowie die Bestechungs-NGOs zu überprüfen, stoppt das EU-Parlament die Aufklärung. Die Mehrheit gibt sich mit einem nutzlosen „Transparenzregister“ zufrieden. Die Korruption des EU-Parlaments bleibt damit ungestraft und geht unbehindert weiter.

IMAGO / U. J. Alexander

Die „Nichtregierungsorganisation“ „Fight Impunity“ war nicht im Transparenzregister der EU eingetragen. Das geht aus einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der EVP, S&D, Renew, Grüne/EFA, EKR und der Linken im EU-Parlament hervor, der im Nachgang des Skandals um mutmaßliche Schmiergelder, gezahlt von außereuropäischen Drittstaaten an Mitglieder und Mitarbeiter des EU-Parlaments, eilends aufgesetzt wurde (im Original hier nachzulesen). Im deutschen Geldwäschegesetz ist seit 2017 ein Transparenzregister vorgesehen, das auf einer EU-Richtlinie basiert und Geldwäsche und Terror-Finanzierung verhindern soll. Dass eine in Brüssel residierende Organisation wie „Fight Impunity“, die, wie sich nun herausstellt, große Geldbeträge kanalisierte, nicht im EU-eigenen Transparenzregister eingetragen ist, kann insofern nur auf einer historischen Ironie beruhen.

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Bei „Fight Impunity“ handelt es sich um jene vorgebliche Menschenrechts-Organisation im Vorfeld des EU-Parlaments, die der ehemalige EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri nach seinem Ausscheiden gegründet hatte und die laut Aussage seines Adlatus Francesco Giorgi den vordringlichen Zweck hatte, „das Geld in Umlauf“ zu bringen. Panzeri war nun keineswegs ein Unbekannter in Straßburg und Brüssel und hatte über zwei Wahlperioden viele Führungsposten im Parlament besetzt.

Dass „Fight Impunity“ eine echte NGO ist, daran erheben sich umso mehr Zweifel, je länger man ihre Verbandelung auch mit amtierenden EU-Parlamentariern wie Marc Tarabella, Maria Arena und Eva Kaili sowie Parlamentsmitarbeitern wie Giorgi (alle S&D) betrachtet – umso mehr, wenn man auch die Parallelen zwischen den mutmaßlich gekauften Polit-PR-Aktionen Kailis und dem Handeln der EU-Kommission selbst bedenkt. Marokko und Katar waren nicht irgendwelche Gesprächspartner von EU-Größen wie Margaritis Schinas, sondern in gewisser Hinsicht privilegierte Partner des Staatenbunds, mit denen auf die eine oder andere Weise man ins Geschäft kommen wollte, egal ob es dabei um Migration oder Erdgas ging.

Parlamentsbeschlüsse wurden durch Korruption „geändert“

In ihrem Entschließungsantrag verurteilen die genannten Parlamentsfraktionen „aufs Schärfste“ die Versuche Katars, „Mitglieder, ehemalige Mitglieder und Bedienstete des Europäischen Parlaments durch Korruption“ zu beeinflussen. Das habe „eine schwerwiegende Einflussnahme aus dem Ausland auf die demokratischen Prozesse der EU“ dargestellt. Die Parlamentarier sehen sich nun gezwungen, „angesichts der Schwere und des Ausmaßes der laufenden Ermittlungen mit unmissverständlicher Einigkeit und unerschütterlicher Entschlossenheit“ auf Katars Verfehlungen zu reagieren: „Die von den Ausschüssen und dem Plenum angenommenen Beschlüsse zu Katar“ wurden „wahrscheinlich durch Korruption und unzulässige Beeinflussung geändert“. Ja, geändert heißt es da.

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So einfach ist das also: Die Korruption schleicht sich ins EU-Parlament und „ändert“ rechtmäßige Beschlüsse der Mitglieder nach Belieben ab. Das schärfere Wort „beeinflusst“ fiel den Parlamentariern offenbar schwer. Und erst jetzt fallen den Abgeordneten auch wieder die „Tausenden von Arbeitsmigranten“ ein, „die auf den Baustellen ums Leben kamen“, die „Hunderttausenden Menschen, deren Grundrechte in Katar mit Füßen getreten werden“.

Man weiß nicht, wie es kam, dass den Parlamentariern diese Dinge zuvor entfallen waren. Auch Eva Kaili hatte wohl keinen Zauberstab zur Hand, der die Gedanken der Kollegen kontrollierte. Wenn die Formulierungen dieser Entschließung irgendeinen Sinn ergeben sollen, dann müssen also noch mehr Abgeordnete in den Genuss dieser Korruption gekommen sein und ihr Stimmverhalten so angepasst haben, dass das angeblich verfälschende Ergebnis herauskam. Als Krönung der eigenen Entschlossenheit fordern die Abgeordneten die Benennung eines „Vizepräsidenten mit Zuständigkeit für Integrität und die Bekämpfung von Korruption und Einflussnahme aus dem Ausland“ anstelle der geschassten Eva Kaili, die mutmaßlich für das genaue Gegenteil stand. Der logische Name dieses Vizepräsidentenstuhls wäre folglich Eva-Kaili-Gedenkpräsidentschaft.

Und natürlich werden daneben allerhand Transparenztaten von der Kammerleitung gefordert, so die Verbindlichkeit des Transparenzregisters und Karenzzeiten nach dem Ausscheiden aus dem Parlament. Damit müsste dann auch eine parlamentsnahe Organisation wie „Fight Impunity“ endlich im Transparenzregister des EU-Gremiums auftauchen – auch wenn unklar ist, wie weit das überhaupt zu einer besseren Kontrolle führt. Und damit ist freilich auch noch nicht unmöglich gemacht, dass Ex-Parlamentarier finanzträchtige Organisationen wie „Fight Impunity“ im Umfeld der Kammer gründen. Danach klingt jedenfalls der Entwurf nicht.

ID-Fraktion: Rolle von nichtstaatlichen Organisationen überprüfen

Was aber wirklich stutzig macht, ist, dass die versammelten Fraktionen des EU-Parlaments von der Volkspartei bis zur Linken einen Ergänzungsantrag der Fraktion Identität und Demokratie (ID) mit 326 Gegenstimmen ablehnten, der das Parlament insgesamt und mit sofortiger Wirkung auf ein höheres Transparenzniveau geführt hätte. Im Änderungsantrag der ID-Fraktion, gestellt unter anderem von Marco Zanni (Lega), Harald Vilimsky (FPÖ), Gunnar Beck und Nicolaus Fest (beide AfD), stellen die Abgeordneten einige harte Sachaufgaben in den Raum, die in dem blumigen Text der anderen Fraktionen fehlen oder auf die Zukunft vertagt werden.

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So fordern die ID-Abgeordneten, die politische Verantwortung für den aktuellen Skandal müsse festgestellt werden. Dazu solle man noch einmal genauer hinschauen und bewerten, „welche Dossiers infolge dieser Einflussnahme aus dem Ausland und Manipulation der Demokratie möglicherweise kompromittiert wurden“. Auch die „genaue Rolle von nichtstaatlichen Organisationen und anderer Interessenvertreter“ müsse überprüft werden. Daneben müssten alle Abgeordneten „unverzüglich alle Beziehungen zu Katar oder den beteiligten nichtstaatlichen Organisationen und alle Vorteile, die sie von Katar oder den beteiligten nichtstaatlichen Organisationen erhalten haben“, offenlegen. Zudem sollen „alle Berichterstatter und Schattenberichterstatter […] ihre bisherigen Treffen mit Amtsträgern und Vertretern Katars und den beteiligten nichtstaatlichen Organisationen“ offenlegen.

Die letzte Formulierung scheint vorerst auf den zuständigen Berichterstatter im LIBE-Ausschuss, den Grünen Erik Marquardt, gemünzt zu sein, der seine Treffen mit Vertretern Katars nachträglich, im Gefolge des aktuellen Skandals veröffentlicht hat, was zumindest ein Geschmäckle hat, zumal Marquardt behauptet, auch von Eva Kaili zu einer schnellen Visa-Öffnung der EU für das Emirat Katar aufgefordert worden zu sein. Zuvor war Marquardt sozusagen unter „friendly fire“ geraten, denn es waren seine grünen Fraktionskollegen, die nicht schnell genug die Offenlegung aller Parlamentskontakte mit Katar fordern konnten. Ein klassisches Eigentor: Nun ist klar, dass ein Grüner die Hosen anhatte bei diesem Visa-Deal, zumindest was das Parlament anging. Marquardt ist inzwischen weitestmöglich zurückgerudert. Katar soll für seine mutmaßliche Bestechungstätigkeit bestraft werden. So weit, so gut. Aber der Skandal im EU-Parlament geht davon nicht weg.

Zanni: Nehmt uns endlich in die Kontrollorgane auf

An dieser Stelle setzt der abgelehnte ID-Antrag an: In ihrem Änderungsantrag fordern die Abgeordneten zudem „eine Überprüfung der geltenden Vorschriften für nichtstaatliche Organisationen, insbesondere in Bezug auf Governance, Haushalt, Bekämpfung der Geldwäsche, Einflussnahme aus dem Ausland und Personen mit erheblicher Kontrolle“ ein. So solle die Transparenz und Rechenschaftspflicht der „nichtstaatlichen Organisationen“ erhöht werden, was in der Tat notwendig scheint – auch über die EU-nahen Brüsseler Organisationen hinaus.

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Zuletzt weitet der ID-Antrag den Blick noch auf die breiteren Folgen der möglichen Einflussnahme Katars. So müsse untersucht werden, ob Katar auf die Parlamentsarbeit Einfluss ausgeübt habe, vor allem in Bezug auf die EU-Außenpolitik auf der Arabischen Halbinsel, im Nahen Osten und Afrika. Verwiesen wird hier auf die Schlüsselstellungen, die die Beschuldigten Eva Kaili und Marc Tarabella in der Parlamentsarbeit für die Arabische Halbinsel innehatten. Auch die parlamentsnahe Organisation „Fight Impunity“ beschäftigte sich ja genau mit diesen Weltregionen (Arabische Halbinsel, Nahost, Nordafrika), das heißt, sie nahm Geldflüsse von dort an, um in der Folge mutmaßlich Einfluss auf das EU-Parlament zu nehmen.

Doch nur 204 Abgeordnete stimmten für ein sofortiges Mehr an Transparenz in diesen Dingen, was zumindest deutlich über die Größe der ID-Fraktion hinausgeht. Letztlich lehnten aber 326 Parlamentarier den ID-Antrag ab, darunter die Mehrheit der deutschen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grünen. Weitere Gegenstimmen seien von FDP und Linkspartei gekommen. Der AfD-Abgeordnete Nicolaus Fest meint daraus nur einen Schluss ziehen zu können: „Auch die anderen Fraktionen haben viel zu verbergen. Daher verweigern sie im EU-Parlament die notwendige Aufklärung dieses Skandals.“ Es bleibe nur die Hoffnung auf Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Ermittlungsbehörden. Daneben will auch die ID-Fraktion, so Fest, an der Sache dran bleiben.

Der ID-Fraktionsvorsitzende Marco Zanni machte daneben eigene Kritikpunkte an der Parlamentsleitung geltend. Seit Jahren werde die Lega, obwohl eine „verantwortungsbewusste Kraft“ und immer wieder Regierungspartei, von den Kontrollorganen des Europäischen Parlaments ausgeschlossen. Damit müsse Schluss sein, zumal angesichts eines Skandals, der gerade jene Kräfte mit sich fortreiße, die „sich seit jeher die moralische Überlegenheit auf ihre Fahne geschrieben und die Verteidigung der Rechte zu ihrem Fetisch gemacht“ hätten, so sehr, dass sie zugleich einen „undemokratischen Cordon sanitaire gegen Andersdenkende“ ins Leben gerufen hätten. „Hatte vielleicht jemand etwas zu verbergen?“, fragt Zanni provokativ in die Runde, gibt sich aber auch offen für eine sofortige Wiedergutmachung. Das Parlament könne, wenn auch spät, seine politischen Fehler korrigieren, den Kurs ändern und das Blatt wenden. Ob das in Sachen Lega passiert, bleibt unsicher. Ein bisschen könnte es wohl noch dauern. Aber die Zustimmung von 204 Parlamentariern kann man auch als das halbvolle Glas sehen, das sie vielleicht ist.

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