Tichys Einblick
Nach Macrons Industrie-Rede

EU-Parlament schiebt Energiewende auf die lange Bank

Was steckt hinter der von Macron geforderten „Regulierungspause“ in Sachen Green Deal? In Straßburg kam es nun zu einem kleinen Nachbeben. Weitere Länder, darunter Polen, hatten protestiert. Geht es nach Paris, soll die nächste Kommission auf neue Regulierungen, die das Wachstum ersticken, verzichten.

Plenarsaal im Europäischen Parlament in Straßburg

IMAGO / U. J. Alexander

Nach Macrons Tritt auf die Bremse in Sachen „Europäischer Grüner Deal“ kam es nun zu einem kleinen Nachbeben in Straßburg. Das EU-Parlament schob einen Beschluss zum erzwungenen Ausbau der „erneuerbaren Energien“ bis zum Juni auf, ohne ein genaues Datum für die erneute Befassung zu nennen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf eine interne E-Mail. Eigentlich hatte man per Parlamentsentscheid festschreiben wollen, dass die EU ihre Energieversorgung schon im 2030 zu 42,5 Prozent aus erneuerbaren Quellen beziehen soll. Aber hier scheint die Realität nun Hürden aufzubauen. Fachleute und solche, die etwas von der Sache verstehen, glauben, dass ein solches Ziel ohnehin nicht oder nur zum Preis ernsthafter Verwerfungen zu erreichen wäre.

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Dem Parlaments-Nicht-Beschluss ging eine Intervention des französischen Präsidenten Emmanuel Macron voraus, der sich am 11. Mai eine „Regulierungspause“ in Sachen „Green Deal“ gewünscht hatte. Im Élysée-Palast hatte er vor französischen Industriellen vorgeschlagen: „Wir setzen um, was wir beschlossen haben, aber wir hören auf, noch mehr hinzuzufügen.“ Sonst bestehe das Risiko, dass „wir bei der Regulierung am besten, bei der Finanzierung aber am schlechtesten abschneiden“.

Eigentlich wäre der nun vertagte Parlamentsbeschluss eine reine Formalie gewesen, nachdem Parlament und Rat am 20. April 2021 eine „informelle Einigung“ erzielt hatten, dass die EU-Wirtschaft bis 2050 CO2-neutral werden soll. Die damals angepeilte Reduktion der Emissionen von mindestens 55 Prozent bis 2030 liegt dem nun vertagten Beschluss zugrunde. Durch den Abbau von bereits emittierten Treibhausgasen wollte man das Reduktionsziel von 57 Prozent erreichen. Das ist der Gegenwert zu den 42,5 Prozent Erneuerbaren.

Verdoppelung des Erneuerbaren-Anteils bis 2030 damit hinfällig?

Noch am 30. März hatte die Kommission die geplante Verschärfung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie als Meilenstein dargestellt. Geplant war damit nahezu eine Verdoppelung des Erneuerbaren-Anteils in den nun noch verbleibenden sieben Jahren. Doch Paris wehrte sich gegen die anstehende Straßburger Beschlussfassung. Macron legt vor allem Wert auf die Berücksichtigung seiner CO2-armen Kernkraft, deren Bedeutung für die Wasserstoff-Produktion er gerade stärken will. Wenn die EU dieses Produkt nicht als erneuerbare Energie einstuft, drohen der französischen Wirtschaft erhebliche Verluste. Die derzeitigen Regeln „diskriminieren“ nuklear erzeugten Wasserstoff, so der Élysée laut der Nachrichtenagentur Reuters.

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Auch Macron will die französische Industrie möglichst „kohlenstoffarm“ neu beleben. Industrieminister Roland Lescure fügte aber hinzu, die Erreichung der auf EU-Ebene festgelegten Ziele erfordere „eine gewisse Stabilität, damit unsere Unternehmen planen können“. Fünf Jahre Regulierungspause stellt sich Lescure vor – das wäre etwa eine Amtszeit der Kommission.

Im EU-Parlament – beziehungsweise seinen medialen Ausstülpungen auf Twitter – sorgte die Ankündigung Macrons teils für Entsetzen. Die französische EU-Abgeordnete der Grünen, Marie Toussaint, sah gar den „letzten Schlag“ gegen den „Sarg des Green Deal“ ausgeführt. Tatsächlich zeigte sich das Straßburger Parlament nun durchaus beeindruckt von der Intervention gleich mehrerer Staaten. Die Nicht-Befassung des Parlaments ist auch auf die Intervention der diplomatischen Vertreter einzelner EU-Staaten zurückzuführen, die so etwas wie einen ständigen Rat der nationalen Regierungen in Straßburg und Brüssel bilden. Schweden, derzeit Inhaber der zirkulierenden Ratspräsidentschaft, hat Gespräche zur Lösung des Konflikts angekündigt.

Auch andere Ländervertreter legten Protest ein

Denn auch die Ländervertreter von Polen, Rumänien und Bulgarien sollen Bedenken angemeldet haben, weil sie das vom Parlament angepeilte Reduktions- und Transformationsziel für zu ehrgeizig halten. Man könnte hier die Partei der prinzipiellen Green-Deal-Skeptiker erkennen, die nicht – wie vielleicht Macron und andere – nur auf die Abwendung weiterer Regularien aus sind, sondern das Ziel der Emissionsreduktion im Geschwindmarsch an sich für verfehlt halten.

Zuletzt stimmte der belgische Premierminister Alexander De Croo in den Chor mit ein und kritisierte auf einer Berliner Konferenz des CDU-Wirtschaftsrats die Überladung der Wirtschaft mit Regulierungen, die ja zur „Energiewende“ hinzukämen. De Croos Partei gehört wie Macrons „Renaissance“ zur Renew-Fraktion im EU-Parlament. Der „energetische Übergang“ sei ja das eigentlich Wichtige, da störten zusätzliche Regeln zu chemischen Substanzen und Naturschutz. Auf diese Regelungen hat es daneben auch die konservative EVP im EU-Parlament abgesehen, zu der auch CDU und CSU gehören.

De Croo unterstützte daher ausdrücklich Macrons „Regulierungspause“. In Frankreich ist aber noch nicht allen klar, was der Präsident damit wirklich gemeint hat. Ein „Moratorium“, wie konservative Abgeordnete herauslasen, ist laut Élysée nicht gemeint. Premierministerin Borne präzisierte, es gebe „keineswegs eine Pause beim klimatischen Ehrgeiz, aber man muss den bestehenden Normen nicht weitere hinzufügen, man muss sie umsetzen“.

Die Staatssekretärin für Europafragen Laurence Boone sagt, dass es im Kern um eine Botschaft an die nächste Kommission geht, die man so vor einer weiteren „Inflation der Gesetzgebung“ warnen wolle. Die kommende Kommission ab 2024 solle eine Kommission der Umsetzung werden, sie soll keine neuen, noch ehrgeizigeren Ziele ausgeben. Einen „Green Deal 2“ soll es nicht geben. Die Parlamentarier waren in diesem Sinne übereifrig, sie schleiften schon ein Vorhaben, das noch zum alten Green Deal gehörte. Wenn sie nun die einzelnen, schon verabredeten Schritte dauerhaft auf Eis legen sollten, dann könnte sogar die Umsetzung des schon Beschlossenen am Ende ausbleiben.

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