Tichys Einblick
Affäre um Gelder aus Katar und Marokko

Neuer Verdacht im EU-NGO-Skandal: Welche Ziele verfolgte Ex-Kommissar Avramopoulos?

In der Affäre um Gelder aus Marokko und Katar, die am Ende in den Taschen von EU-Funktionären landeten, erweitert sich das Personentableau. Der griechische Ex-Kommissar Dimitris Avramopoulos verteidigt seine Beteiligung am Vorstand der Organisation „Fight Impunity“.

Dimitris Avramopoulos, 12. Mai 2021

IMAGO / ANE Edition

Keine Partei ist gefeit vor solch einem Skandal. Das zeigen nicht zuletzt die – allerdings seit langem bekannten – Informationen zum AfD-Abgeordneten Maximilian Krah und seinem Engagement für China und Katar. Krah hat an dieser Stelle, gerade was das kommunistische China angeht, stets eine führende Rolle eingenommen und sich damit auch innerparteilich isoliert. Kritikwürdig ist das da, wo reale Menschenrechtsverletzungen nicht mehr angesprochen oder kleingeredet werden. Mit positiven Äußerungen zum Emirat Katar steht er allerdings nicht allein da. Es gibt aber auch keine konkreten Hinweise auf Geld, das Krah in diesem Zusammenhang zugeflossen wäre.

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Anders liegen die Dinge im Fall des ehemaligen Kommissars Dimitris Avramopoulos von der konservativen Nea Dimokratia. Avramopoulos soll das einzige bezahlte Mitglied im Ehrenvorstand der mutmaßlichen Geldwäsche-Organisation „Fight Impunity“ gewesen sein, die eigentlich „Association Against Impunity and for Transitional Justice“, also „Bündnis gegen Straflosigkeit und für umfassende Gerechtigkeit“, hieß. 5.000 Euro pro Monat bekam Avramopoulos laut dem Magazin Politico für seine „aktive Werbung“ zugunsten der Organisation, was sich zu einem Gesamtsalär von 60.000 Euro summierte. Das mag man immer noch für eine kleinere Summe halten, dennoch fragt sich, wofür genau Avramopoulos sie bezog. Ging es nur um seinen „guten“ Namen oder tat er mehr, um die Ziele des undurchsichtigen Kreises um den Ex-EU-Abgeordneten Antonio Panzeri zu befördern?

Der Athener mit familiärer Herkunft aus dem ländlichen Arkadien wird eine ausgeprägte Eitelkeit nachgesagt. Mit einer eigenen Parteigründung versuchte er die Popularität, die er als Bürgermeister von Athen gewonnen hatte, in Wählerstimmen zu verwandeln, was allerdings misslang. Er kehrte zu seiner alten Partei zurück, die ihn erst zum Minister mit wechselnden Portfolios, dann zum EU-Kommissar für Migration und Inneres (2014–2019) machte. Innerparteilich stützte er den Messenier Antonis Samaras – beide stammen von der Peloponnes.

Als Kommissar verteidigte Avramopoulos offene Grenzen

Als Kommissar hat Avramopoulos die übliche Häutung vollzogen und seine Vorliebe für Status quo und Entropie entdeckt. In Politico schrieb er 2017, die illegale Migration oder „Flüchtlingskrise“ sei nicht aufzuhalten. Früh gab er auch gegenüber Innenminister Thomas de Maizière das Motto aus, man müsse „Flüchtlinge“ koordiniert ansiedeln und legale Migrationswege unterstützen – auch wenn er sicher nicht die Urheberschaft auf dieses Ideenkonglomerat beanspruchen kann. Diese Äußerungen mögen erkennbar machen, was auch Avramopoulos unter der Geltung der „Menschenrechte“ versteht: „Letzten Endes müssen wir alle bereit sein, Migration, Mobilität und Vielfalt als die neue Norm zu akzeptieren und unsere Politik entsprechend anzupassen.“

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In verschiedenen Interviews im griechischen Fernsehen versucht Avramopoulos derzeit, seinen Ruf zu retten. Er gerät aber logisch in die Klemme, wo er erklären muss, wofür er das Geld erhielt. Im griechischen Staatsfernsehen ERT behauptete er, er habe als Vorstandsmitglied „nichts mit Panzeris anderen Tätigkeiten zu tun gehabt“. Insgesamt habe man nicht gewusst, was Panzeri alles trieb: „Hätten wir es bemerkt, hätten wir den Vorstand sofort verlassen.“ Später, als sich die Funktionslosigkeit des Vorstands herausstellte, will Avramopoulos selbst um die Unterbrechung seiner Bezüge gebeten haben. Dass er als einziger eine solche Aufwandsentschädigung erhielt, erklärt der Grieche damit, dass er zu jener Zeit als einziger kein politisches Amt mehr innehatte, mithin frei für etwas Neues war.

Im Privatsender Alpha rechtfertigte Avramopoulos seine Mitgliedschaft weiter: Die „NGO“ sei zwar von Panzeri gegründet worden, doch eine ganze „Riege von europäischen Persönlichkeiten“ seien Mitglieder gewesen, etwa der ehemalige französische Premier Bernard Cazeneuve, die Ex-Außenbeauftragte Federica Mogherini oder gar Nobelpreisträger wie der kongolesische Frauenarzt und Gründer des Panzi-Krankenhauses in Bukavu, Denis Mukwege. Zu den Mitgliedern gehörte ebenfalls die italienische Ex-Kommissarin für Verbraucherschutz Emma Bonino, der übrigens auch die eigenen Parteifreunde vom links-libertären Partito Radicale vor einigen Jahren vorwarfen, sich nur noch für den „internationalen Jetset“ zu interessieren.

Mitgeschwommen – doch nicht mitgehangen?

Mit diesen „europäischen Persönlichkeiten“ will also auch Avramopoulos sein Mitschwimmen im EU-Strom rechtfertigen. Die Erlaubnis zur Mitwirkung an dem Ehrenvorstand sei ihm von der Kommission mit der Unterschrift Ursula von der Leyens gegeben worden. Ende 2020 hatte der Unabhängige Ethikausschuss der Kommission Avramopoulos den Eintritt in den Ehrenvorstand der „Association Against Impunity“ gestattet. Von der Leyen hat alle aktuellen Kommissionsmitglieder nach Kontakten mit der „Fight Impunity“ sowie auch speziell mit Dimitris Avramopoulos befragt. Avramopoulos ist der unmittelbare Vorgänger von Ylva Johansson als Innenkommissar, die er – ebenso wie die zypriotische Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides im November 2021 traf. Er soll dabei aber nicht die in Rede stehende Organisation vertreten haben.

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Avramopoulos behauptet schließlich, er habe nie als Lobbyist gegenüber EU-Organen für „Fight Impunity“ geworben. Vielmehr sei er nur im Rahmen der „Unterstützung und Sensibilisierung“ zugunsten der Menschenrechte aktiv geworden – etwa durch Zeitungsartikel, Interviews, Reden, die Teilnahme an Konferenzen, durchaus auch Unterhaltungen mit Regierungen und anderen nichtstaatlichen Organisationen, immer mit dem Ziel, die „gemeinsamen Ziele“ zu befördern, die da wären: die Verteidigung der Menschenrechte und des Rechtsstaates. Die Worte „Marokko“ oder „Katar“ sollen in diesem Zusammenhang nie gefallen sein. Charakteristischerweise sagte Avramopoulos: „Wenn Herr Panzeri noch zehn NGOs im Hintergrund gegründet haben sollte, dann hatte das nichts mit uns zu tun.“

Eine seiner Aussagen lässt aber doch aufhorchen. Der Ex-Kommissar erhebt nämlich noch immer Anspruch auf den Posten des EU-Sonderbeauftragten für den Persischen Golf – und glaubt, dass ihn eine Intrige um den italienischen Sozialisten Luigi Di Maio um dieses Amt bringen soll. Also hätte Avramopoulos doch ein besonderes Interesse an jener Erdregion, in der zufälligerweise auch der liquide Ministaat Katar liegt.

Kaili und Giorgi verstricken sich in Widersprüche

Laut Politico erhielt auch der aktuelle Vorsitzende des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Luca Visentini, ein Geschenk von 50.000 Euro von „Fight Impunity“ für seine Wahlkampagne. Die Gelder der Organisation (gleich ob schwarz oder nicht) waren also auch für die Förderung ihr nahestehender Sozialdemokraten nützlich. Zu den im Zuge der Korruptionsaffäre festgenommenen Funktionären gehörte bis vor kurzem auch der Jurist Niccolò Figà-Talamanca, derzeit beurlaubter Generalsekretär der in Brüssel eng benachbarten Organisation „No Peace Without Justice“, der inzwischen mit einer elektronischen Fußfessel freikam. Dieses Vorrecht wird Eva Kaili weiterhin nicht gewährt, obwohl ihr Anwalt darauf gedrungen hatte, auch wegen ihrer Tochter Ariadne, die nun „De-facto-Waise“ sei, aber auch weil bei Kaili weder Fluchtgefahr noch die Vernichtung von Beweismaterial drohe. Die Strafbehörden scheinen anderer Ansicht gewesen zu sein.

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Das Paar Kaili-Giorgi verstrickt sich in Widersprüche, und es wird vermutet, dass sich ihre juristischen Wege bald trennen könnten. Kaili hat sich dem Kreis jener Personen zugesellt, die behaupten, von den Funktionären der „NGO“, also auch von ihrem Lebensgefährten hintergangen worden zu sein. Für das Bargeld in ihrer Wohnung (150.000 Euro) sei ihr Partner Francesco Giorgi ganz allein verantwortlich gewesen. Laut ihrem Anwalt wusste Kaili weder von den Giorgi zur Last gelegten Handlungen, noch beteiligte sie sich daran. Auch habe sie nie Bestechungsgelder erhalten oder sich persönlich für den Staat Katar eingesetzt. Giorgi sagte allerdings aus, Kaili habe von den undurchsichtigen Geschäften gewusst. Von der marokkanischen Regierung ließen sich die Familien Panzeri und Kaili-Giorgi zum Marrakesch-Urlaub einladen. Beinahe wäre sogar Kailis Schwester Maddalena samt Mann mitgekommen.

Kaili scheint derweil ihren Vater schützen zu wollen. Gemäß der Erzählung ihres Anwalts, bat sie ihn um das Fortschaffen von über 600.000 Euro, welche die belgische Polizei in seinem Hotelzimmer finden sollte. Er sollte das Geld seinem eigentlichen Besitzer, Antonio Panzeri, wiedergeben. Diese Entscheidung Kailis fiel demnach in dem Moment, als Francesco Giorgi vor der gemeinsamen Brüsseler Wohnung festgenommen wurde. Angeblich war die Griechin in diesem Moment zusammen mit ihrem Partner (im gemeinsamen Auto?) und erfuhr von Giorgi, welcher der Inhalt des Koffers in der gemeinsamen Wohnung war. Es ist noch nicht die Atriden-Sage, aber epische Ausmaße nehmen diese Schilderungen von Kailis Anwalt Dimitrakopoulos sicher an.

Auf Paros wurde ein 7.000 Quadratmeter großes Grundstück, das Kaili und Giorgi erst im Sommer gekauft hatten, vom griechischen Staat beschlagnahmt. Der Preis für Bauland in dieser Größenordnung und Lage dürfte in die Hunderttausende Euro gehen. Auch das gemeinsame Konto, über das Giorgi und Kaili den Grundstückspreis beglichen hatten, wurde eingefroren. Das Paar hatte kürzlich eine Real-Estate-Firma angemeldet, die allerdings noch über kein nennenswertes Kapital verfügt. Wird auch Eva Kaili versuchen sich – ähnlich wie Avramopoulos – gänzlich von den Korruptionsvorwürfen reinzuwaschen? Vermutlich ja, aber mit noch größerer Schwierigkeit. Immerhin war Kaili auch schon als Kandidatin für das Bürgermeisteramt von Thessaloniki gehandelt worden. Derzeit scheint nicht vorstellbar, dass sie dorthin gelangt.

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