EU: Grüne bestätigt die Kommission, gegen die sie mauern will
Matthias Nikolaidis
Terry Reintke ist die neue Frontfrau der deutschen Grünen im EU-Parlament. Und das könnte auch medial bald schon für eine gewisse Stimmung sorgen. Denn die Neue hat durchaus baerbockische Qualitäten. Nun forderte sie eine Brandmauer gegen „Rechts“ und verstieß prompt selbst dagegen.
Terry Reintke trug Schwarz. Und sie war nicht die einzige, die das an diesem Kommissions-Bestätigungstag tat. Noch einige Linke waren anscheinend demonstrativ in Trauer gekleidet. Sogar Ursula von der Leyen trug unter dem hellen Knitter-Jackett ein durch und durch schwarzes Kleid. War das ein Code? Trauer tragen für die – alte – EU, die an diesem Tag ein Stück weit begraben wurde? Traurig waren Reintke und andere Linke, weil Raffaele Fitto zum Kommissar für Kohäsion und Reformen und daneben sogar zum Vizepräsidenten der Kommission aufstieg. Raffaele Fitto – die Kommissionpräsidentin spricht diesen Namen schon ganz unverschämt aus. Fitto ist Mitglied bei den Fratelli d’Italia, die in gewissen Medien noch immer wacker als „postfaschistisch“ bezeichnet werden. Nun ist er einer der wichtigsten Kommissare in dieser EU – und da fragen sich eingeschworene Linke in der Tat und aus ihrer Sicht mit Recht: Wie kann das sein?
Terry Reintke will eine neue Brandmauer erstehen lassen. Nicht nur wegen Fitto und seinem altgedienten ungarischen Kollegen Olivér Várhelyi. Auch im EU-Parlament droht Ungemach. Denn die größte Fraktion EVP hat unter ihrem Fraktionschef Manfred Weber (CSU) in der jüngeren Vergangenheit schon öfter mit den rechten Fraktionen der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) von Giorgia Meloni, den neugegründeten Patrioten für Europa von Viktor Orbán und Marine Le Pen (plus FPÖ, ANO u.a.) und sogar mit dem Europa der souveränen Nationen (ESN) gestimmt, in dem die deutsche AfD sitzt.
Und ein Satz aus dem Tagesschau-Bericht ist hier absolut zitierwürdig: „Die Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet hält es für falsch, dass die Christdemokraten ein Bündnis mit rechtsnationalen Kräften eingehen, um ihre politischen Ziele zu erreichen.“ Zu diesen Zielen gehört zum Beispiel die Rücknahme des EU-Verbrennerverbots, die Rücknahme von gewissen neuen Vorschriften in der Agrarpolitik, die die Existenz von Bauernhöfen in Frage stellen. Die EVP will laut Weber neue Vorgaben aus Brüssel nur dann akzeptieren, „wenn sie im Einklang mit den Interessen von Wirtschaft und Landwirtschaft stehen“.
Reintke ist übrigens die Abgeordnete, die einst forderte, mit energiesanierten Häusern in den Ukraine-Krieg zu ziehen, und in Berlin als Performance-Künstlerin auftritt. Gut in Erinnerung ist ihr erster Auftritt vor Brüsseler Kameras, der vielleicht noch ihr unverstelltester war.
Letztlich wollte aber auch Reintke der neuen EU-Kommission ihre Zustimmung nicht verweigern. Warum sie das tat, lässt sich nicht leicht ermessen. Denn sogar die K-Chefin Ursula von der Leyen – die freilich nicht mehr zur Wahl stand, wohl aber ihr Kommissionsteam – gehört derselben EVP an, die in Person von Manfred Weber mit den vorgeblichen Schmuddelkindern aus dem „rechten“ Sektor spielt. Man kann es nur so verstehen: Die zustimmenden Grünen wollen einen Fuß in der Tür behalten und sie haben ihn schon dort. Denn UvdL hat ja die Fortsetzung ihrer Green-Deal-Politik bereits angekündigt. Und so kommt es, dass die Grüne Terry Reintke sich selbst nicht an die Brandmauer hielt, die sie von der EVP forderte. Auch sie stimmte nun zusammen mit Abgeordneten der EKR für die Kommission.
Dabei wären die grünen Stimmen für die Kommission nicht einmal nötig gewesen. Denn noch haben EVP, Sozialdemokraten und Renew-Liberale eine klare Mehrheit im Haus. Eine Regierungskoalition im eigentlichen Sinne gibt es freilich nicht im EU-Parlament. Und dann versteht man allerdings nicht, warum die EVP-Abgeordneten nicht auch mit „rechtsnationalen Kräften“ stimmen dürfen, wenn sie dadurch ihre politischen Ziele erreichen können. Diesen Satz versteht vermutlich nicht einmal Reintke so ganz. Sonst hätte sie ihn vielleicht nicht gesagt.
Denn was sie darin fordert, ist, dass CDU und CSU auf die Durchsetzung ihrer politischen Ziele verzichtet, um eine imaginäre Brandmauer zu respektieren. Aber nun versteht man eben doch, wie Reintke darauf kommen konnte, so etwas zu sagen. Denn in Deutschland tun CDU und CSU genau das: Sie schlagen Koalitionen mit Parteien rechts von ihnen, heißen sie nun Werteunion oder AfD, ziemlich kategorisch aus, um sich dann irgendwann viel später über einen Linksdrall in den Medien und der öffentlichen Diskussion zu beklagen. Im EU-Parlament zumindest fand dieser Ausschluss zuletzt nicht mehr statt, nachdem die CDU einmal sogar mit der AfD für sichere Außengrenzen abstimmte. Wenn das mehr war als nur ein PR-Gag, dann bedeutete es das Ende einer Brandmauer, eines Cordon sanitaire im EU-Parlament.
Von der Leyen will nun die schwächelnde europäische Wirtschaft wieder ankurbeln und etwa dafür sorgen, dass auch „die Autos der Zukunft weiter in Europa produziert werden“. „Unsere Freiheit und Unabhängigkeit hängen mehr denn je an unserer wirtschaftlichen Stärke“, sagte sie und damit ausnahmsweise mal etwas Richtiges. Nur wirft sie solche Sätze gewöhnlich schneller um, als sie gesagt sind. Zudem ist die Frage, ob die EU und ihre Kommission überhaupt die geeigneten administrativen Orte sind, um „Freiheit und Unabhängigkeit“ zu verwirklichen.
Bei durchgehaltenem Green Deal und mit den Grünen in der Hinterhand – als gesellschaftlichem Schmiermittel – wird das vermutlich schwer werden. Mit Terry Reintke trug auch Ursula von der Leyen Schwarz an diesem Tag. Vielleicht wusste sie ja, warum.
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