In der Erwartung einer sich in diesem Jahr wohl nochmals verschärfenden Migrationskrise am Mittelmeer setzt die EU ihre nordafrikanische Tour mit umgedrehtem Klingelbeutel fort. Nach Deals mit Tunesien und Mauretanien ist nun Ägypten dran mit einer Finanzspritze, für die die EU im Gegenzug migrationspolitisches Wohlverhalten erwartet. Das bedeutet, dass Ägypten seine Südgrenze gegen illegale Migration aus Subsahara-Afrika abschirmen, Schleuser bekämpfen und Rückführungen abgewiesener Migranten aus der EU akzeptieren soll, so die vorgetragene Absicht der europäischen Unterhändler.
Hinzu kommt die Rolle als Transitland für Migranten aus dem Nahen Osten und Südasien. So gehören Syrer und Bangladescher mittlerweile zu den häufigsten Nationalitäten auf der zentralen Mittelmeerroute, die die Migranten von libyschen und tunesischen Häfen nach Malta und Italien führt. Daher soll das Land auch seine Grenze zu Libyen besser sichern.
Daneben kommt es inzwischen auch zu direkten Abfahrten von Ägypten. So fanden in den letzten Monaten 1.500 Ägypter den Weg nach Kreta und die südlich davon gelegene Kleininsel Gavdos. Deren Abstand vom ägyptischen Festland liegt bei etwa 300 Kilometern. Auch hier sind wieder Bangladescher und Pakistaner die nächstgrößten Gruppen.
Fünf Milliarden Beihilfe, 200 Millionen Euro für Migration
An diesem Sonntag reiste Ursula von der Leyen zusammen mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, deren Amtskollegen aus Belgien, Griechenland und Österreich sowie dem zypriotischen Staatspräsidenten nach Kairo. Eine Delegation, größer als die jüngst gesehene in Tunis, wo von der Leyen zusammen mit Giorgia Meloni und Mark Rutte erschienen war. Das kündet vielleicht von der Bedeutung des Abkommens, vielleicht auch vom Wind des Wechsels in der EU. Die Migration ist in immer mehr Mitgliedsländern zum Top-Thema geworden.
Ägypten ist mit seinen 110 Millionen Einwohnern sicher ein entscheidender Faktor in der Region, schon allein weil es derzeit an zwei Kriegsherde grenzt: Im Süden tobt seit dem letzten Ramadan im April 2023 der sudanesische Bürgerkrieg, der bisher zu knapp sechs Millionen Binnenflüchtlingen führte. 1,5 Millionen sollen das Land verlassen haben. Daneben gibt es im Osten, jenseits des Sinai, die aktuellen Kämpfe im Gazastreifen, die noch eher geringe Auswirkungen auf die innere Stabilität Ägyptens haben. Daneben hat das Land natürlich auch unter Wirtschaftsproblemen zu leiden. 20 Milliarden Dollar hat Staatspräsident Abdel Fatah al-Sisi inzwischen von verschiedenen Geldgebern erhalten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate. Daneben flossen neue Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF).
Die EU-Großen bringen insgesamt 7,4 Milliarden Euro an Zusagen mit. Der Bärenanteil von fünf Milliarden Euro EU-Hilfe firmiert als „makrofinanzielle Unterstützung“, sozusagen ein zweckungebundener Zuschuss mit höherem Sinn. Von diesem sollen wiederum eine Milliarde Euro schon dieses Jahr ausgezahlt werden. Die restlichen vier Milliarden müssen noch vom Straßburger Parlament abgesegnet werden. Daneben gibt es 1,8 Milliarden Euro für Investitionen und 600 Millionen Euro als Darlehen, darunter angeblich 200 Millionen Euro explizit für das Thema Migration, so Politico. Man könnte das Verhältnis der Zahlen so übersetzen: Es geht ums Wollen, nicht ums Können. Wenn al-Sisi will – und die fünf Milliarden allgemeiner Haushaltszuschuss könnten ihn dazu bringen –, kann er die Migration morgen früh zum Halten bringen.
Marquardt nicht gegen Zusammenarbeit, nur gegen Grenzschutz
Scharfe Kritik an dem neuen EU-Abkommen kommt von der Asyl-Lobby und ihrem Arm im EU-Parlament Erik Marquardt (Grüne). Der hält das Abkommen für „moralisch verwerflich und inhaltlich naiv“. Nach Marquardt könnte eine „Torschlusspanik“ ausbrechen, was dann vorübergehend sogar zu höheren Zahlen führe. Die Menschenrechtslage in Ägypten kritisiert der Grüne, ist aber nicht prinzipiell „gegen die Zusammenarbeit auch mit schwierigen Ländern“, nur soll es dann um anderes als das Aufhalten von Migranten gehen. Ein Sprecher von Pro Asyl nannte den EU-Deal „schäbig, borniert und korrupt“. Auch die – angeblich auch von Katar mit drei Millionen Euro finanzierte – NGO Human Rights Watch findet das Muster der Deals mit Tunesien und Mauretanien wieder: „Migranten aufhalten, Missstände ignorieren“.
Im Oktober wies der tunesische Präsident Kais Saied eine Hilfszahlung von 60 Millionen Euro von der EU zurück, da er keine Lust hatte, sein Land in einen „Migrations-Hotspot“ zu verwandeln, der von der EU zurückgewiesene Migranten aufnimmt. Zugleich verweigerte Saied einer Delegation von EU-Parlamentariern den Zutritt für einen Kontrollbesuch. Die EU hatte Tunesien insgesamt knapp eine Milliarde Euro zugesagt. Die Kontrolle durch EU-Emissäre gehörte für Saied offenbar nicht zu dem Paket.
Nach Tunesien fließen derzeit Mittel aus den unterschiedlichsten Quellen, wie Euractiv zusammengestellt hat:
- Anfang 2024 wurden demnach 53 Millionen Euro aus dem EU-Deal ausgeschüttet. Die Zahlungen fließen anscheinend nur gestaffelt.
- Der UNHCR sorgte mit acht Millionen Euro für die Unterbringung und Versorgung von Migranten.
- Die Internationale Organisation für Migration (IOM) der UN steuerte 13 Millionen Euro für die Rückführung von Migranten aus und nach Tunesien bei.
- Weitere 17 Millionen kamen vom französischen Innenministerium und der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), wovon unter anderem drei neue Such- und Rettungsschiffe für die tunesische Küstenwache angeschafft wurden.
- 18 Millionen Euro vom UN-Büro UNOPS flossen für ein weiteres Schiff und Ausbildungskosten.
Vielleicht wird auch an solchen Investitionen in einen dann doch widerborstigen Präsidenten deutlich, dass der Migrationsrealismus sich in EU (und UN?) durchzusetzen beginnt.