Tichys Einblick
Barley unterstellt Meloni Holocaust-Leugnung

Vizepräsidentin des EU-Parlaments: Giorgia Meloni leugnet die „grausamsten Verbrechen in der Europäischen Geschichte“

Die EU zeigt neuerlich ihr wahres Gesicht: In einem offenen Brief an EVP-Chef Manfred Weber versuchen drei EU-Parlamentarier – darunter die Vizepräsidentin Katarina Barley – Druck auszuüben, um die Forza Italia aus der Fraktion auszuschließen. Ganz nebenbei bezichtigen sie die zukünftige italienische Ministerpräsidentin der Holocaust-Leugnung. Auch auf TE-Anfrage widerspricht Barley der Darstellung nicht.

IMAGO / Hans Lucas

Bezichtigt Katarina Barley die zukünftige italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, eine Holocaust-Leugnerin zu sein? Dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren, wenn man den offenen Brief liest, der sich eigentlich an den Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber richtet. Hintergrund: Zur EVP-Fraktion gehört auch Silvio Berlusconis Forza Italia, die als Juniorpartner der künftigen Mitte-Rechts-Koalition eine Schlüsselrolle einnimmt.

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Eigentlich ist die Regierungsbildung in Rom bereits weit vorangeschritten. Antonio Tajani, immerhin ehemaliger Präsident des EU-Parlaments und neben Berlusconi der wichtigste Vertreter der Forza Italia, wird mit Sicherheit einen wichtigen Posten erhalten – ob nun als Minister oder Vorsitzender einer der beiden Parlamentskammern. Vonseiten der Forza Italia bestehen also offenbar keinerlei Bedenken, was die Koalitionsbildung mit den Fratelli d’Italia angeht, die im offenen Brief als „in Teilen rechtsextrem“ bezeichnet werden.

Deswegen versucht Barley, zusammen mit Daniel Freund (Grüne/EFA) und Moritz Körner (Renew/FDP) Druck auf Weber auszuüben. Die Forza Italia soll von ihren EVP-Kollegen dazu getrieben werden, die Regierungsbildung auf den letzten Metern zu verhindern. Es dürfe keine Beteiligung der EVP an einer „rechtsextremen Regierung“ in Italien geben. Wenn nicht, dann soll Weber die italienische Partei aus der Fraktion ausschließen, fordern die EU-Parlamentarier und die EU-Vizepräsidentin.

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Dass die Forza Italia, die Lega und die Fratelli d’Italia (Vorgängerpartei: Alleanza Nazionale) seit rund 30 Jahren in Italien bei nahezu allen Wahlen gemeinsam antreten und zusammenarbeiten, hat man in Brüssel wohl entweder vergessen oder will es vergessen machen; ähnlich wie den Fakt, dass die Alleanza Nazionale und Forza Italia mehrere Jahre zu einer großen bürgerlich-konservativen Partei verschmolzen waren, der auch Meloni angehört hatte. Nun ist diese jahrzehntelange Zusammenarbeit plötzlich ruchbar geworden.

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Aus EVP-Perspektive besonders dreist: Es sind die Vertreter der in Deutschland regierenden Ampelparteien, die der EVP ein Ultimatum stellen. Drei konkurrierende Parteien wollen nicht nur EVP-Mitgliedern vorschreiben, mit wem sie Regierungen bilden oder nicht; sie wollen sogar, dass man „Abweichler“ aus der Fraktion ausschließt. Dass es drei deutsche Abgeordnete sind, dürfte klarmachen, dass die Konstellation nicht zufällig ist.

Man müsste der EVP suizidale Absichten unterstellen, wollte sie sich auf dieses von den europäischen Sozialisten angeführte Zersetzungsspiel einlassen. Doch sie hat ihre eigenen Königsmörder in den Reihen. So meint auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der als CSU-Mitglied der EVP angehört, dass die Forza Italia kein Partner mehr sei. Nach Fidesz also bald auch der Abschied der Forza Italia aus der einst christdemokratischen Fraktion? Nachdem die EVP mit dem Austritt der Ungarn 13 Sitze verloren hatte, würde das Ende der italienischen Abteilung den Verlust 10 weiterer Sitze bedeuten. Ein größeres Geschenk könnte die EVP den Linken nicht machen.

… dennoch greifen Barley und Konsorten das seit 30 Jahren verbündete Mitte-Rechts-Lager an

Katarina Barley setzt demnach als Sozialdemokratin die Parteiinteressen ihrer Fraktion unter dem Vorwand moralischen Entsetzens durch. Bereits das steht einer Vizepräsidentin des EU-Parlaments nicht gut. Doch der eigentliche Skandal ist der Umgang mit Giorgia Meloni selbst. Sie ist immerhin die nach dem italienischen Wahlrecht unangefochtene Siegerin der letzten Parlamentswahl – gleich, wie man dazu stehen mag. Die Fratelli d’Italia sind die von den italienischen Wählern bevorzugte Partei, das Mitte-Rechts-Lager hat die Wahl gewonnen. Nach zehn Jahren könnte wieder eine Regierung an der Spitze Italiens stehen, deren Ministerpräsident von den Italienern auch in dieser Weise gewählt wurde.

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Statt das Votum zu akzeptieren, agitieren Barley und ihre Mitstreiter in einer Art und Weise, die in der europäischen Geschichte vielleicht einmalig ist. Als rechtsextrem und autoritär wurden schon andere diffamiert – so auch der dezidiert im Brief vorkommende Viktor Orbán. Denn die Vizepräsidentin des EU-Parlaments schreckt nicht davor zurück, Meloni Aussagen anzudichten, die sie überhaupt nicht getätigt hat. Folgende Passage rückt damit in die Reichweite des Rufmordes:

„Die Spitzenkandidatin und Partei-Vorsitzende Giorgia Meloni vertritt rechtspopulistische Positionen, die nicht mit Europäischen Grundwerten vereinbar sind, die offen zur Diskriminierung von Menschen aufrufen und die die grausamsten Verbrechen in der Europäischen Geschichte leugnen.“

Barley über Meloni: leugnet „die grausamsten Verbrechen in der Europäischen Geschichte“ – ohne Belege anzuführen

Meloni leugnet nach Darstellung Barleys, Freunds und Körners „die grausamsten Verbrechen in der Europäischen Geschichte“. Belege führen sie keine an. Als singulär grausamstes Verbrechen in der europäischen Geschichte gilt jedoch landläufig der Holocaust – bereits ein Vergleich mit anderen grausamen Verbrechen hat in der Vergangenheit den Vorwurf bedeutet, den Holocaust relativieren zu wollen. Die SPD hat sich bisher dieser Deutung immer angeschlossen. Die Passage legt daher nahe, dass Barley der zukünftigen italienischen Regierungschefin vorwirft, eine Holocaust-Leugnerin zu sein.

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TE hat daher bei der Vizepräsidentin des EU-Parlaments nachgefragt, was Barley unter diesen grausamsten Verbrechen versteht. Schließlich ist der Vorwurf, ein Holocaust-Leugner zu sein, die ultimative Waffe im politischen Streit. Es ist das Stigma, das jeden in der modernen europäischen Gesellschaft von jedem Diskurs ausschließt. Es ist überdies fraglich, ob Katarina Barley als eines der Gesichter der EU der Würde ihres Amtes gerecht wird, wenn sie die zukünftige Ministerpräsidentin eines Mitgliedslandes in einer solchen Weise diffamiert, ohne Belege für diese Behauptung anführen zu können. Wir haben Barley daher die Zeit für eine Klarstellung bis Donnerstagmittag gegeben. Die Anfrage lautete:

„Ich würde an dieser Stelle gerne wissen, welche ‚grausamsten Verbrechen in der Europäischen Geschichte‘ gemeint sind, die die zukünftige italienische Ministerpräsidentin nach Ihrer Ansicht leugnet. Landläufig wird als grausamstes Verbrechen der Europäischen Geschichte der vom Deutschen Reich ausgehende Holocaust verstanden, bei dem 6 Millionen Juden ermordet wurden.“

Barley lässt die TE-Nachfrage unbeantwortet

Bis zum Fristende ist jedoch keinerlei Antwort eingegangen. Offenbar besteht also keinerlei Bedürfnis, der Darstellung zu widersprechen. Meloni hat erst am vergangenen 27. Januar in einem Statement der Opfer des Holocausts gedacht: „Es ist unsere Pflicht, uns zu erinnern, damit die Schrecken der Vergangenheit nie wieder passieren.“ 2009 hatte Meloni als Ministerin die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel besucht. Mit Ester Mieli zieht eine Jüdin und Enkelin von Auschwitz-Überlebenden für die Fratelli d’Italia in den Senat ein.

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Der Vorfall disqualifiziert nicht Giorgia Meloni, denn vielmehr Katarina Barley in ihrem politischen Amt. Wer zu solchen Mitteln greift, ist nicht nur verzweifelt, sondern entfernt sich selbst vom sonst so hochheilig gehaltenen demokratischen Diskurs. Barley ist keine Hinterbänklerin aus dem Rat einer pfälzischen Kleinstadt, die bei der Wahl der Weinkönigin lospoltert. Sie ist als Vertreterin der EU zumindest dazu verpflichtet, einen gewissen Respekt gegenüber den demokratisch gewählten Regierungen innerhalb der Europäischen Union einzuhalten.

Es wäre daher nicht an der Zeit, über mögliche Distanzierungen oder gar Parteiausschlüsse zu reden, sondern über die Eignung Barleys als Vizepräsidentin. Sie zerstört nur wenige Tage nach der italienischen Parlamentswahl nicht nur das Verhältnis zwischen Brüssel und Rom – sondern auch in erheblicher Weise das zwischen Berlin und Rom, bevor Meloni ihre Antrittsrede gehalten hat. Bevor man über mögliche EU-Feindlichkeiten Melonis spekulieren kann, hat Brüssel bereits den ersten Angriff unter die Gürtellinie gestartet. Dagegen stellt sich die Androhung von Ursula von der Leyen vor der Wahl, die passenden Werkzeuge einzusetzen, sollte nicht die richtige Partei gewinnen, fast als harmlos heraus.

Die EU-Vizepräsidentin zeigt neuerlich ihre mangelhafte Eignung für das Amt

Verschwörungstheorien, Meloni sei in Wirklichkeit eine von der EU gesteuerte Mogelpackung, dürften spätestens jetzt jede Substanz verlieren, sieht man, welche harten Geschütze gegen die erste italienische Regierung seit 2011 (mit einem einjährigen M5S-Lega-Intermezzo) aufgefahren werden, die sich nicht in der Hand Brüssels befindet. Es zeigt zudem: Nicht die ökonomische, sondern die gesellschaftliche Ideologie in den Bereichen LGBT, Familie, Migration und Religion fasst man in der EU als deutlich größeren Zündstoff als die Euro- und Schuldenlage auf.

An dieser Stelle können Sie den offenen Brief von Katarina Barley, Daniel Freund und Moritz Körner in voller Länge lesen.

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