Tichys Einblick
Reisekostenerstattungen noch und nöcher

Wie die EU die privaten Reisen ihrer Hof-Parlamentarier zahlt

Die Wahlen zum EU-Parlament rücken näher. Grund genug, sich auch mit den Lebensbedingungen der EU-Parlamentarier zu beschäftigen. Können sie unter diesen Umständen produktiv arbeiten? Das vielleicht nicht. Sie werden aber immerhin sehr gut dafür bezahlt.

IMAGO / Panama Pictures

Die Wahlen zum EU-Parlament rücken näher. Und niemand weiß so genau, wozu es gut ist. So wunderte sich auch Markus Söder heute in Berlin, anscheinend etwas auf Entzug, dass sich einfach kein „Flimmern“ in der deutschen Öffentlichkeit herstellen wolle, wo doch der Wahltermin schon in 33 Tagen sei. Ihm gefiel auch nicht, dass einige sich partout nicht für diese Wahlen interessieren wollen. Das kam – Achtung, Markus – schon wieder ein bisschen scheltend herüber, Wählerbeschimpfung light. Aber der Fall ist schnell erklärt.

Denn eigentlich handelt es sich um ein PINO, ein „Parliament in name only“, oder auf Deutsch: Parlament nur dem Namen nach. In Brüssel und Straßburg tagen sie, aber zu entscheiden haben sie kaum etwas, schon gar nicht besitzen sie irgendeine Art von Initiativrecht. Es ist ein Parlament der Resolutionen, die beachtet werden können oder auch nicht. Und so lesen sie sich auch: „In Erinnerung daran, dass soundso …“, „… eingedenk unserer Verpflichtung, dass wir …“, sollten andere dies oder jenes tun. Die letztgültigen Entscheidungen trifft die Kommission darüber, welche Gesetze und Verordnungen für die EU nötig sind oder nicht.

Eines kann man allerdings sagen: Dieses Parlament ist kein Bettelorden. Das beginnt mit den monatlichen Diäten der Abgeordneten, die vor Steuern und Abgaben aktuell bei satten 10.000 Euro liegen. Zusätzlich zu diesem Gehalt, das nach EU-Steuern und Abgaben auf gut 7.800 Euro sinkt, gibt es aber Belohnungen dafür, dass die Parlamentarier auch wirklich in Straßburg oder Brüssel anwesend sind. Für jeden eingehaltenen Sitzungstag – bezeugt durch eine Unterschrift – gibt es 338 Euro. Damit sollen Hotel- und Verpflegungskosten gedeckt sein. 4.778 Euro im Monat fließen als Pauschale für diverse Aktivitäten wie die Unterhaltung eines Wahlkreisbüros oder Telefonrechnungen. Die Abgeordneten profitieren außerdem von einer automatischen Teilübernahme medizinischer Kosten (zu zwei Drittel) durch die EU, falls dafür noch nicht gesorgt ist.

Pendeln für eine Unterschrift

Hinzu kommen nun aber auch noch Reisekosten. Und das, obwohl etwa deutsche EU-Parlamentarier eine Bahncard 100 besitzen sowie das belgische Äquivalent. Trotzdem fließen auch hier weitere Unterstützungszahlungen in Höhe von 539 Euro für eine Fahrt von Brüssel nach Berlin oder umgekehrt (also insgesamt 1078 Euro). Aber bei einem Trip mit dem Mietauto sind es sogar gut 1.300 Euro. So ein Trip hin und her kann sich also leicht lohnen, denn nur bei Unterschrift gibt es die Tages- und Monatspauschalen in voller Höhe.

All das erfährt man von Nico Semsrott (parteilos), einst für die satirische Partei „Die Partei“ ins Parlament gewählt und inzwischen wegen eines Witzes von Martin Sonneborn aus „der Partei“ ausgetreten. Das hat immerhin Konsequenz, aus einer Satirepartei wegen Humorverschiedenheit auszutreten.

Im EU-Parlament gefangen wie in einem goldenen Käfig

Semsrott beklagt das fehlende Initiativrecht des EU-Parlaments und hat sich deshalb kürzlich als „seit fünf Jahren Gefangener im EU-Parlament“ bezeichnet. Nun ja, Satire darf ja fast alles, auch die Realität etwas drehen und wenden. Daneben bot er die genannten Einblicke in die mögliche Verbesserung seiner privaten Finanzsituation durch die Mitgliedschaft im Parlament.

Doch es geht noch weiter. Denn die Reisen nach Berlin war ja eine an Semsrotts Wohnort. Wie schaut es aber mit Urlaubsreisen aus? Angeblich war die Erstattung auch hier möglich. Semsrott probierte es auf ein Gerücht hin aus. Bei einer privaten Reise von Brüssel nach Paris bezahlte Nico Semsrott 92 Euro für den Fahrschein, erhielt aber 597,20 Euro von der Parlamentsverwaltung, nämlich 169 Euro für die Dauer der Hin- und Rückreise sowie 83,60 Euro für die Entfernung bei Hin- und Rückreise. (Diese Zulagen dienen angeblich der Abdeckung von Autobahngebühren, Übergepäckgebühren oder Reservierungsgebühren, wie ein EU-Dokument mitteilt.

Und sogar eine Urlaubsreise nach Palma de Mallorca bekam Semsrott ohne lästige Nachfragen erstattet, plus „100 Euro Trinkgeld obendrauf“, und das obwohl er selbst bekundet hatte, privat von Brüssel nach Mallorca geflogen zu sein. Angeblich werden sogar Dienstreisen außerhalb der EU bis zu einem Deckel von 4.886 Euro übernommen.

Neues Ethikgremium kommt

Übrigens sind all das im Einzelfall noch kleine Fische, wenn man die Kosten des regelmäßigen Umzugs aller Parlamentarier zwischen den beiden Parlamentssitzen Brüssel und Straßburg bedenkt, die laut verschiedenen Berechnungen zwischen 114 und 180 Millionen Euro pro Jahr kosten. Auch dazu gibt es ein unterhaltend daherkommendes Video mit dem Ex-Kollegen Sonneborn.

Nun muss man gar nicht erst mit den Skandalen im Skandal beginnen. Denn natürlich lassen sich die großzügigen Regelungen leicht ausnutzen. Der polnische EU-Abgeordnete Ryszard Czarnecki (PiS) musste 2021 Reisekosten in Höhe von rund 100.000 Euro zurückzahlen, weil er seine Reisen zwischen Brüssel und Polen jeweils auf dem Papier um viele hundert Kilometer verlängert hatte. Er fuhr dabei angeblich in Autos, die ihm nicht gehörten, eines davon war schon 11 Jahre verschrottet, wie die Website Follow the Money berichtet. Die radikal linke Irin Clare Daly nutzte ihre Reisegelder für eine nationale Kampagne ihrer Partei.

Aber es sind nicht nur diese Einzelfälle, sondern das System selbst ist offenbar korrupt und öffnet der Verschwendung von Steuergeldern die Türen. Da hilft auch kein Ethikgremium, wie es jetzt eingeführt wurde, in dem sich die EU-Institutionen (Parlament, Kommission, EZB und Rechnungshof) dann gegenseitig kontrollieren sollen, wegen Qatargate und so weiter. Aber wo das Licht der Öffentlichkeit fehlt, wird auch das wenig bringen.

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