Die Hagia Sophia ist zum zweiten Mal in ihrer Geschichte zur Moschee geworden. Davon kündet nun ein neues Schild an ihrem Eingang. Dasselbe besagt auch die neue Innenausstattung mit großem Gebetsteppich, verhängten Ikonen, grünen Fahnen und einer Kanzel, von der wieder ein Imam predigte.
Man muss sich vor einigen Vorurteilen vorsehen, die zwar keiner heute noch laut ausspricht, die aber unbesehen im gesellschaftlichen, auch politischen Raum existieren und unsere Wahrnehmung beeinträchtigen können.
Wenn also die Hagia Sophia gestern wieder zur Moschee wurde, dann ist sie damit nur noch Moschee und nicht zwischendurch wieder Museum oder Kirche. Das sollte jeder wissen. Der neue Name am Eingang sagt es deutlich aus: »Große Moschee Hagia Sophia«. Innen wurde derweil ein großer grün-blauer Teppich ausgelegt und das Mosaik in der Apsis mit weißen Tüchern notdürftig verhängt. Wo die Schrauben für diese Stoffbahnen in das Bauwerk getrieben wurden, lässt sich von außen nicht beurteilen. Ikonen und christliche Objekte, die noch in der Kirche verblieben waren, sollen irgendwann in ein noch zu erbauendes Museum transferiert werden, wie der türkische Minister für Kultur und Tourismus Mehmet Nuri Ersoy sagte.
Auch alte osmanische Traditionen wurden wiederbelebt: So stützte sich der Imam beim Aufstieg in die Predigtkanzel auf ein altes Schwert, das nach seinen eigenen Worten symbolisch für den Eroberungsgedanken steht. Die Hagia Sophia sei ein »Symbol der Eroberung«. Auch die alte osmanische Flagge mit drei Mondsicheln wurde gehisst – drei Mondsicheln für die drei Kontinente, auf die sich das osmanische Reich einst ausgedehnt hatte. Erdogan selbst trug verschiedene Koransuren vor. Angeblich wurden auch Eroberungssuren rezitiert.
Direkt nach dem ersten Freitagsgebet in der neuen Moschee besuchte Erdogan das Grab von Sultan Mehmet II., auch bekannt als »der Eroberer« oder Fatih, der 1453 die oströmische Hauptstadt einnahm und die byzantinische Kirche erstmals in eine Moschee umwandelte.
Kurzum, die gesamte religiöse Zeremonie war mit militärischen Eroberungssymbolen gesättigt, die man in irgendeiner Weise ernst nehmen muss. Rund 2.000 geladene Gäste durften an der Zeremonie teilnehmen. Der Oppositionsführer und Vorsitzende der sozialdemokratischen CHP, Kemal Kilicdaroglu, lehnte dankend ab. Gebete seien für Gott da, nicht für politische Zwecke und Kameras. Doch auch auf den Straßen der Stadt nahmen viele Gläubige an der Zeremonie teil. Die Straßen waren überfüllt mit hockenden Betenden, zum Teil noch mehrere hundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt.
Istanbul ist damit in der Tat zur Festung des Islam geworden, wie ein euphorisierter Twitterer schrieb. Die Hagia Sophia steht so auch wieder unter der Verwaltung der staatlichen Religionsbehörde Diyanet, die mehrere Imame und Muezzine für die neue Moschee einstellte.
Lud Erdogan den Papst ein?
Selbst das Datum der Neueröffnung ist symbolisch. Am 24. Juli 1923 hatte Mustafa Kemal, genannt Atatürk, den Vertrag von Lausanne unterschrieben, in dem die Grenzen und Beziehungen der neuen, laizistischen Türkei zum Westen festgezogen wurden. Laut einem arabischen Nachrichtenportal hat sich Erdogan sogar unterstanden, den amtierenden Papst Franziskus zur Einweihung der Moschee einzuladen. Der wegen der Umwidmung »betrübte« Papst hat offenbar abgelehnt.
Für die griechisch-orthodoxe Kirche im In- und Ausland war der Freitag ein Tag der Trauer. Alle Kirchenglocken läuteten Trauer. 70 Prozent der Griechen fühlen sich durch die Umwidmung der Hagia Sophia in ihren religiösen Gefühlen verletzt. 80 Prozent meinen, dass dieses Geschehen alle Christen betrifft und angeht. Die Reaktionen der verbündeten und befreundeten Mächte finden insofern kaum Gnade vor den Augen der Griechen: 77 Prozent sind mit der Haltung Russlands unzufrieden (ein Minister hatte gesagt, nun könne man die Hagia Sophia zumindest ohne Eintritt besuchen). Gar 87 Prozent beurteilen die Reaktion der EU negativ. 68 Prozent sehen Sanktionen als ein Mittel, um Erdogan zu bremsen. 28 Prozent glauben, auch das würde ihn nicht aufhalten.
Trump steht an der Seite des Patriarchen
Im Weißen Haus traf nicht nur Vizepräsident Mike Pence auf den griechischen Erzbischof für Amerika, Elpidophoros. Auch Donald Trump bat den Vertreter der Orthodoxie für eine Viertelstunde zum Gespräch und bekundete seine Unzufriedenheit mit der Entscheidung. Trump teilte die Sorgen des Erzbischofs um die christlichen Minderheiten in der Türkei und kündigte an, umgehend die nötigen Schritte zu beginnen. Er stehe an der Seite des Ökumenischen Patriarchats und des Patriarchen Bartholomaios.
1983 hatte die griechische Schauspielerin und Sängerin Irini Pappa die Möglichkeit, den Hymnus sozusagen an Ort und Stelle in der alten Sophienkirche zu singen. Nach dem bewegenden Dokument gab die Künstlerin Auskunft über ihre Empfindungen und legte ein Gefühl offen, das für uns Deutsche vielleicht altgewohnt ist, für die Griechen aber nicht zum alltäglichen Erleben ihres Landes gehört. Was empfand sie also schon vor 37 Jahren, als sie in dem gewaltigen Tempel stand? »Dass er wüst, nackt ist … als ob er reingewaschen worden wäre, von all den Jahrhunderten, all den Kaisern und Kaiserinnen und von 1.100 Jahren Geschichte. Es tut einem leid, sehr sogar, aber man schöpft auch wieder Mut, so wie ich den Marienhymnus gesungen habe, als ob einer siegen würde. Er siegt vielleicht nicht auf der Ebene der Dinge, er siegt mit seiner Seele, so wie es die Griechen tun.«