Erdogan an die Taliban: Das »Land des Bruders« darf nicht erobert werden
Matthias Nikolaidis
Erdogan war auf Zypern die Besetzung des Landes vor 47 Jahren feiern, als er auch einige Sätze zum Einsatz türkischer Truppen in Afghanistan sagte, die Aufschluss über seinen islamischen Machtwillen geben. Nichts anderes bedeutete der Zypern-Besuch für das östliche Mittelmeer. Der Poker um Einflusszonen geht weiter.
Der türkische Staatspräsident und Möchtegern-Kalif Recep T. Erdogan hat sich direkt an die Taliban gewandt, deren Vormarsch er kritisiert. Das entspreche nicht dem Vorgehen von Muslimen gegenüber Muslimen. Daneben widerspricht Erdogan aber auch den Meldungen, nach denen die Taliban den Abzug der türkischen Truppen aus Afghanistan gefordert hätten. Er spricht von »eigenen Äußerungen« der Taliban in dieser Frage. Sie kännten sehr wohl die Position der Türkei in dieser Frage – also, was die Präsenz des türkischen Militärs in Kabul angeht.
Die türkische Regierung habe »einige Pläne« in Afghanistan und werde ihren Weg dementsprechend fortsetzen. Um das zu erreichen, strebt Erdogan auch direkte Gespräche mit den Taliban an, die sowohl das türkische Außenministerium als auch er persönlich führen will. Die Besetzung des überwiegend muslimischen Afghanistan durch die ultra-islamischen Taliban sei nicht richtig, so Erdogan weiter. Das »Land des Bruders« dürfe nicht kriegerisch eingenommen werden, und die Türkei habe die Taliban diesbezüglich gewarnt. Damit hat der Muslimbruder Erdogan offenbar auch die radikalen Islamschüler Afghanistans, die Taliban, die sich einst mit pakistanischer und saudischer Hilfe an die Macht putschten, zu seinen »Brüdern« erklärt.
Außerdem sagte Erdogan: »Wenn die Taliban mit den Vereinigten Staaten verhandeln konnten, dann sollte es ihnen viel leichter fallen, Gespräche mit der Türkei zu führen. Denn die Türkei hat nichts an ihrem Glauben auszusetzen.« Erdogan hegt offenbar die Hoffnung, leichter einen Konsens mit den Taliban zu finden, als es den USA möglich war. Er sieht oder inszeniert die Türkei auch hier als regionale Ordnungsmacht. Daneben verweist er auf die Gespräche der Doha-Runde und die Unterstützung durch die USA. Nicht unbedeutend war auch der Ort dieser Aussagen: Erdogan war zu Besuch in den türkisch besetzten Gebieten Zyperns.
Auf Zypern erinnerte Erdogan an den 47. Jahrestag der Besetzung Nord-Zyperns durch die türkische Armee, den er als »Feiertag der islamischen Welt« bezeichnete. Ersin Tatar, der »Präsident« der »Türkischen Republik Nord-Zypern« (die nur von der Türkei als Staat anerkannt wird), dankte auch den Vertretern Aserbaidschans, die von »derselben Nation« abstammten, für ihr Kommen. Bei dieser Gelegenheit bemühte Erdogan sich, den Graben zu kemalistischen Politikern wie dem Ex-Ministerpräsidenten Ecevit zuzuschütten, obwohl natürlich auch der Besuch einer Moschee mit einer weiteren Rede auf seinem Programm stand.
Zwei säkular-türkische Parteien haben den Erdogan-Besuch boykottiert und wurden von Ersin Tatar sogleich als Verräter bezeichnet und der Zusammenarbeit mit der griechisch-zypriotischen Seite beschuldigt. Der Sozialist Bülent Ecevit hatte 1974 türkische Truppen nach Zypern geschickt, um einen Teil der Insel für die türkische Minderheit zu vereinnahmen. Die 162.000 griechischen Einwohner des nordöstlichen Inselteils wurden vertrieben. Bis heute sind türkische Truppen dort stationiert.
Die Türkei fordert heute eine »Zwei-Staaten-Lösung« für Zypern und versucht so, die unrechtmäßige Besetzung des Nordteils zu verewigen. In Varosia, einem Stadtteil des besetzten Famagusta, der bisher gemäß UN-Statut als militärische Zone brachlag, wurden kurz vor dem Erdogan-Besuch griechische Straßenschilder und andere Aufschriften entfernt, darunter der Schriftzug »Griechisches Gymnasium« an einem klassizistischen Bau. Nun sollen griechische Zyprioten dorthin zurückgelockt werden, indem man ihnen die Rückgabe ihres Eigentums anbietet. Die griechische Regierung der Insel warnt vor solches Spielchen der türkischen Seite.
Unterdessen weitet die türkische Marine ihren Aktionsradius im Mittelmeer in provokativer Manier aus. So wurde Mitte Juli ein zypriotisches Schiff der Küstenwache von einem türkischen Schiff aggressiv angegangen, als es die zypriotischen Seegrenzen sicherte. Das Geschehen könnte mit der Ausweitung der türkischen Search-and-Rescue-Operationen zusammenhängen, die sich auf ein Gebiet bezieht, das etwa der imaginären »Blauen Heimat« der türkischen Führung entspricht, mithin weit in griechische und zyprische Gewässer eingreift. Nur eine Woche später erschienen zwei türkische Fregatten vor Kreta, als drei Handelsschiffe (eines davon unter maltesischer Flagge) dort schiffbrüchige Migranten einsammelten und teilten den Kapitänen mit, dass sie sich im türkischen Seenotrettungsgebiet befänden. Die Handelsschiffe ignorierten die türkische Ansage.
Am nächsten Tag meldete die griechische Küstenwache die Rettung von 36 der 45 Ausländer, die angeblich aus Syrien stammen. Was auch dieser Vorfall zeigt: Jede Bemühung zum Schutz der Seegrenzen lässt die Migranten auf andere Wege sinnen. Wenn Zypern seine Seegrenzen schließt, werden riskante Fahrten zum weit entfernten Kreta unternommen. Als Griechenland dasselbe in der Ägäis tat, wollten die Migranten bis nach Italien durchfahren. Gibt es dann noch einen Akteur, der nach eigenen Regeln spielt, wird der Schutz der EU-Außengrenzen zum Spielball in einem diplomatischen Poker.
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