Deutschland hängt nicht nur am russischen Gas, sondern auch an der russischen Steinkohle. Im Jahr 2021 hat Deutschland rund 18 Millionen Tonnen Steinkohle aus Russland importiert. Mehr als 50 Prozent der Steinkohleimporte stammen damit aus Russland. Auch in diesem Sektor gab es also keine nötige Diversifizierung. Die deutschen Steinkohlekraftwerke sind auf den Import angewiesen, seitdem der heimische Abbau 2018 beendet wurde – wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Etwa 8,5 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland entfallen auf die Steinkohle.
Im April hatte die EU ein Steinkohle-Embargo verhängt. Medien wie die Tagesschau oder die Süddeutsche Zeitung verwiesen darauf, dass dies ein „verkraftbares“ Embargo sei. Zudem gäbe es eine Vielzahl von Ersatzlieferanten. Weil Kohle so leicht zu transportieren ist, gilt die Verschiffung als preiswert. Das trifft allerdings nicht nur auf die Import-, sondern auch die Exportländer zu. Weil die Umstellung so problemlos sei, fragte sich auch das Münchener Blatt: Schmerzt diese Sanktion Putin wirklich?
Die Bundesregierung wusste von den Problemen, setzte sich dennoch für den Ausbau des Imports ein
Die Umstellung der deutschen Importstrategie zeigte bereits vor dem Telefonat Wirkung. So importierte Deutschland im März bereits 688.000 Tonnen Kohle aus Kolumbien – im März des Vorjahres waren es nur 113.000 Tonnen gewesen. Die Daten gehen aus einer Anfrage der Linkspartei hervor – die die Bundesregierung zugleich in moralische Bedrängnis bringt.
Denn die Linken stellen die berechtigte Frage, ob der Bundesregierung die menschenrechtlichen Dimensionen des kolumbianischen Kohleimportes bewusst sind. International ist der Kohleabbau im Werk El Cerrejón alles andere als unumstritten. Die Linkspartei fragt: „Welche konkreten Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Menschenrechtsverstöße und Umweltverschmutzung im kolumbianischen Steinkohleabbau?“ Die Antwort verblüfft. Denn die Bundesregierung ist sich bewusst, dass es sich bei der propagierten „Blutkohle“ tatsächlich um ein schmutziges Geschäft handelt:
„Aus Berichten von Nichtregierungsorganisationen und indigenen Einzelpersonen geht hervor, dass sich betroffene Gemeinden […] in ihren Menschenrechten verletzt sehen und sich ihre Lebensbedingungen und spirituellen Verbindungen durch die Bergbauaktivitäten oft radikal ändern […]. In den letzten Jahren hat der Bergwerksbetreiber erste Maßnahmen zur Wiedergutmachung und Verbesserung der Lebensqualität der örtlichen Bevölkerung eingeleitet […]. Derzeit laufen Gerichtsprozesse gegen ehemalige Manager des Bergwerksbetreibers Drummond wegen einer möglichen Finanzierung paramilitärischer Aktivitäten und Ermordung von Gewerkschaftsführern.“
Die grüne Devise gilt: Was man nicht sieht, gibt es nicht
Die Bundesregierung verweist auf ausführliche Berichte, unter anderem „The Dark Side of Coal“, der die Verbindungen der Bergwerkgesellschaften mit paramilitärischer Gewalt zeigt. Ein Zitat (Seite 56) daraus:
„Im Rahmen von Gerichtsverfahren […] haben verschiedene Ex-Paramilitärs, Kommandeure und Mitarbeiter […] unter Eid Erklärungen über die Beteiligung von Bergbauunternehmen an paramilitärischer Gewalt abgegeben. Eine wichtige Art der Beteiligung betrifft die mutmaßlich finanzielle Unterstützung. Die Aussagen der Ex-Paramilitärs legen nahe, dass es sich um beträchtliche Geldbeträge handelte, und dass sie für die Versorgung und Bewaffnung der Männer wichtig waren.“
Das ist aus mehreren Gründen pikant. Statt die heimische Kohle unter deutschen Standards zu einem höheren Preis abbauen zu lassen, importieren wir lieber billige Kohle unter menschenrechtlich fragwürdigen Bedingungen und schüren Konflikte. Von einer grünlackierten Regierung, die sich sonst für weltweite Menschenrechte einsetzt – „Außenpolitik als Weltinnenpolitik“, lautet bekanntlich die Devise von Annalena Baerbock –, hätte man anderes erwartet.
Ermordete Umweltschützer, Zusammenarbeit mit Paramilitärs und Menschen ohne Trinkwasser
Während hierzulande selbsterklärte Klimaretter ein Verkehrschaos verursachen können und vom Staat mit Samthandschuhen angefasst werden, wurden nach Angaben des Spiegels allein im Jahr 2020 65 Umweltschützer in Kolumbien getötet. Auch die Bundesregierung weiß um die „prekäre“ Lage der Aktivisten, verweist aber zugleich auf eine „Verbesserung der Menschenrechtslage vor Ort“ sowie das ab 2023 bzw. 2024 greifende „Lieferkettensorgfaltpflichtgesetz“. Damit sollen Unternehmen in die Verantwortung genommen werden. Die Bundesregierung thematisiere indes „Menschenrechte und die Bedrohung von Aktivistinnen und Aktivisten kontinuierlich, wo angezeigt, und stets im Rahmen des entwicklungspolitischen Dialogs“.
Der Fall zeigt damit nicht nur das Sicherheitsfiasko der Energiewende auf, sondern auch die moralisch zweifelhafte Argumentation, die Putins Angriffskrieg ächten will – das aber auf dem Rücken südamerikanischer Bauern und Eingeborener. Es ist zudem bemerkenswert, dass Deutschland ausgerechnet seine südamerikanischen Importe aus fragwürdiger Produktion ausweiten will – und nun auch mit dem Gedanken spielt, Kohle aus Mosambik einschiffen zu lassen. Alternativen gibt es eigentlich genügend. Man mag einwenden, dass derlei Sache deutscher Energieunternehmen ist; aber die Kanzlertelefonate sprechen eine eigene Sprache.
War die heimische Förderung besser als ihr Ruf?
Dass die deutsche Steinkohle nicht mehr wettbewerbstauglich ist, hängt nicht zuletzt an den hohen Standards, die in den Ländern der Dritten Welt nicht gelten. Der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, hat deshalb beim Ausstieg aus der Steinkohle genau diese Diskrepanz bemängelt. Im letzten Jahr der Steinkohleförderung lag der Weltmarktpreis bei rund 70 Euro pro Tonne, in Deutschland hätte die Eigenmarke subventionsbereinigt weit mehr als 100 Euro gekostet (2010 waren es 160 Euro).
Im Zuge der Energiekrise hat sich der Preis drastisch erhöht: Zu Beginn des Jahres lag der Preis bereits bei 120 Euro, im Frühling erreichte er ein Spitzenhoch von 439 Euro. Seitdem hat sich der Kohlepreis stabil bei über 300 Euro eingependelt, am 12. Juli lag der Preis pro Tonne bei 397 Euro. Experten und Regierungen sprechen von einem vorübergehenden Trend, der mit den Umstellungen von Lieferketten und Warenströmen zusammenhinge. Allein aus sicherheitspolitischen Erwägungen könnte man jedoch bei den Preisen leicht auf die Idee kommen, dass die heimische Förderung aus Gründen energetischer Unabhängigkeit ihren Reiz hätte.
Zwar lag der Steinkohle ähnlich wie den „Erneuerbaren“ eine unrühmliche Subventionsgeschichte zugrunde. Dass die Energiekonzerne Schindluder damit trieben, war schon damals ein Skandal. Es gibt jedoch einen bezeichnenden Vorteil, den die Steinkohleförderung im Gegensatz zur Förderung der „Erneuerbaren“ hat: Steinkohle brennt, ob bei Windflaute oder bedecktem Himmel.