Tichys Einblick
US-Medien in einer »Hall of mirrors«

Ein Präsident out front: Trumps Covid schlägt Wellen

Donald Trumps positiver Corona-Test hat zu einer plötzlichen Belebung des US-Wahlkampfs geführt. Lange war nichts so Lebendiges in dieser Kampagne passiert. Doch was dabei erhalten blieb, war die Polarisierung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Extremen Zweiflern stehen die gegenüber, die an ein Wunder in Maryland glauben.

imago Images/Zuma Wire

Ein Helikopter landet auf dem Rasen des Weißen Hauses. Nach einem maskierten Offizier entsteigt ihm der Präsident selbst, leicht schwankenden Schrittes erst, doch bald schon salutierend auf der Brüstung seines Amtssitzes. Dieses Image-Video konnte natürlich nicht ausbleiben. Und wer wollte es dem Präsidenten verdenken, der wahrlich nicht geschont wird von der veröffentlichten Meinung seines Landes? Und ja, es ist nicht nur Pandemie, sondern auch Wahlkampf in den USA.

Am Montagabend konnte Trump, wie schon am Sonntag vermutet, das Walter Reed Medical Center verlassen. Er fühle sich sehr gut, ließ der Präsident in einer Mitteilung wissen. Inzwischen habe man eine Reihe von Medikamenten und Behandlungsmethoden entwickelt, die das Virus aus Trumps Sicht viel weniger furchterregend machen. Er habe viel gelernt in den vergangenen Tagen. Angeblich fühlte er sich »besser als vor 20 Jahren«. Aber das war vielleicht der Euphorie des Augenblicks und dem Willen zum Positiven geschuldet.

In einer neuen Videobotschaft versuchte Trump auch seinen Landsleuten in ähnlicher Weise Mut zu machen. Eindringlich bat er die Amerikaner: »Lasst euch nicht vom Virus beherrschen. Habt keine Angst vor ihm. Lasst es nicht euer Leben übernehmen. Wir sind das großartigste Land in der Welt. Wir werden zurückgehen an die Arbeit, nach draußen und nach vorn. Und als euer Anführer musste ich genau das tun. Ich wusste, dass es Gefahren gibt. Ich weiß, dass es immer ein Risiko gibt, aber das ist okay.« Daneben ist eine von Trumps Aussagen – aus verschiedenen Gründen – praktisch unübersetzbar ins Deutsche: »I stood out front, I lead.« Auf Deutsch etwa: »Ich führe von vorne.«

Trumps Ärzte blieben am Montagabend »vorsichtig optimistisch«. Ungewöhnlich war vor allem gewesen, wie früh Trump die Medikamente bekommen hatte, das sei – so die Mediziner – »unkartiertes Territorium«. Trumps Besserung danach war offenbar sehr weitgehend. Aber nun müsse man beobachten, wie sich sein Zustand weiter entwickelt.

Über die Medienkritik an seinem kurzen Ausflug aus dem Krankenhaus schrieb Trump: »Es wird berichtet, dass die Medien verärgert sind, weil ich mich in ein sicheres Fahrzeug gesetzt habe, um mich bei den vielen Fans und Unterstützern zu bedanken, die viele Stunden, sogar Tage vor dem Krankenhaus verbracht haben, um ihrem Präsidenten ihren Respekt zu erweisen.« Wäre er nicht gefahren, hätten die Medien ihm Unhöflichkeit unterstellt, glaubt der Präsident.

Und was war eigentlich daran auszusetzen? Das Ärzteteam hatte sein Placet gegeben. Trump hatte niemandem die Hand geschüttelt, saß sicher im Fonds eines Wagens. Ein Medienstreit entbrannte um die Sicherheit der Sicherheitsleute, doch die müssen natürlich ständig in der Nähe des Präsidenten bleiben. Ein weiterer akuter Fall von gelebter Verantwortung! Eine schöne Pointe, die eine wunderbare Schlagzeile für die New York Times abgäbe: Trump gefährdet Sicherheitsleute.

Aus den Medien etwas über die Medien erfahren 

Trumps implizite Distanzierung von den Medien ist ihm jedenfalls gelungen: Aus Medienberichten erfuhr er – etwas über die Medien. Das Selbstbezügliche des Vorgangs lässt sich dem Satz selbst entnehmen. Dem Weißen Haus wird dabei zweierlei vorgeworfen:

1. Man würde den Gesundheitszustand Trumps rosiger darstellen, als er ist.
2. Man hätte die Covid-Infektion des Präsidenten nur erfunden. Ein Wahlkampf-Gag quasi.

Und dabei hatte Trump das Virus doch in schlimmer Weise ignoriert – war das nicht der Vorwurf bis vorgestern? Und nun sollte er einen Covid-Hoax inszenieren mit ihm selbst als leidendem Protagonisten? Das klingt recht unglaubwürdig. Und überhaupt kann nur eine der beiden Annahmen stimmen.

Axios-Journalist Jonathan Swan spekulierte in einem Artikel vom Wochenende unter dem Titel im Watergate-Reporter-Stil »Covering up a cover-up in real time« (zu deutsch etwa »Echtzeit-Berichterstattung über eine Vertuschung)« über den wirklichen Zustand von »real Donald Trump«. Von Freitag früh bis zum Sonnabend hatte er angeblich durchgehend mit Insidern aus dem Weißen Haus telefoniert. Als er den Meldungen von einem fiebrigen Präsidenten aus irgendeinem Grund keinen Glauben schenkte, wurde er sogleich zur Instant-Journalistenschule erklärt.

Auch die New York Times wollte von nichts Genauem wissen und tat sich sehr schwer mit einem abschließenden Urteil. Doch während viele andere ungläubig blieben, war sich die Times zumindest sicher, dass der Präsident am Freitag Probleme hatte zu atmen. Inzwischen geht man davon aus, dass Trump auch Sauerstoff erhielt, was sein Leibarzt in seinem Auftritt vom Samstag lieber nicht bestätigen wollte. Aber auch bei leichten Atemproblemen wäre das keine unplausible Maßnahme. Vielmehr ist eine Sauerstoffgabe über eine Nasenmaske eine leicht handhabbare und unaufwendige Intervention, um einer möglichen Verschlechterung zuvorzukommen.

Das unvorhersehbare Virus

Wer sich ein wenig über die möglichen Verläufe einer Covid-Erkrankung kundig gemacht hat, weiß, dass das Virus sich unkonventionell gebärden kann. Schnelle und unvorhersehbare Auf- und Abschwünge im Wohlbefinden der Patienten scheinen zu den Charakteristika der Erkrankung zu gehören. Insofern wirkt durchaus plausibel, dass es dem amerikanischen Präsidenten am Freitag (oder schon früher?) schlechter gegangen sein soll, bevor sich sein Zustand nach der Aufnahme im Walter Reed Medical Center wieder besserte.

Als ungeschickt gelten die Äußerungen des Stabschefs im Weißen Haus, Mark Meadows, der einmal von ernster Besorgnis um den Präsidenten (am Freitag) sprach, einmal die Verbesserung seines Zustands (am Samstag) hervorhob und dann wieder behauptete, der Präsident sei noch »nicht über den Berg«. Nun mag der deutsche ebenso wie der englische Ausdruck (»out of the woods«) normalerweise für schwer Erkrankte verwendet werden. Aber tatsächlich spricht die Charakteristik von Covid-19 dafür, dass auch ein gerade noch asymptomatischer Patient sehr schnell stärker erkranken kann, so dass der erweiterte Gebrauch der Formel gerechtfertigt scheint.

Medienleute erregten sich indes auch, weil Stabschef Mark Meadows zum Teil nicht als Autor der kolportierten Äußerungen genannt wurde. Das war aber aus ideologiekritischen Motiven besonders wichtig. Man brauchte schließlich eine Angriffsfläche, so mitten im Wahlkampf. Die Art, in der Medien wie CNN und andere die Ereignisse ausschlachteten, hinkte jedenfalls dem angeblichen Wahlkampf-Kalkül der Trump-Kampagne in nichts hinterher. Immer wieder war die Rede von unverantwortlicher Maskenlosigkeit, offiziellen Freiluft-Empfängen vor dem Weißen Haus (zum Beispiel zur Nominierung von Amy Coney Barrett) und dergleichen mehr. Einem Staatschef wird das Funktionieren vorgeworfen. Man würde einen Maulwurf bevorzugen.

Anderen Post-Meta-Kritikern schien die Tatsache, dass ein Schreckensbezweifler wie Trump an Covid erkranken könnte, schon an sich aller Zweifel wert. Es musste ein Narrativ sein. Realität ausgeschlossen. Diese Kritiker sehen sich nun natürlich durch die schnelle Erholung Trumps bestätigt. Tatsächlich zeigten die Live-Bilder vom Weißen Haus einen Präsidenten, der noch einige Male kräftig einatmen musste, nachdem er die Treppen zur Brüstung genommen hatte. Aber vielleicht lag das auch an der Maske, die er kurz zuvor abgesetzt hatte? Und das war übrigens Stoff für den nächsten Skandal: Trump ohne Maske im Weißen Haus!

Aber wohnt er nicht eigentlich da? Und auf den kritisierten Bildern ist zum einen weit und breit kein Mensch zu sehen, zum anderen befinden wir uns draußen, an der frischen Luft, also auch irgendwie »out front«. Aber das hysterisierte Virtue-Signalling der US-Medien kennt in diesen Tagen offenbar keine Grenzen mehr.

Wunderglaube steht gegen Expertenglaube

Was bedeutet Trumps Erkrankung nun für den Wahlkampf? Ein vorläufiges Aussetzen der Rallyes ist wahrscheinlich, was Trump schaden könnte. Aber die gesteigerte Medienpräsenz durch die Infektion müsste Trump für diesen Verlust entschädigen. Die Verschiebung der zweiten Debatte mit Biden hat Rudy Giuliani fürs erste ausgeschlossen. Trumps Anwalt und enger Berater sagte in der ABC-Sendung »Good Morning America«, es sei »sehr gut möglich«, die zweite Debatte wie geplant stattfinden zu lassen. Alles hänge davon ab, dass Trumps Zustand sich weiter verbessert, wie bis jetzt gesehen.

Die zweite Debatte der Präsidentschaftskandidaten soll am 15. Oktober in Miami stattfinden. Immerhin wird dort wohl ein Wetter herrschen, das der Ausbreitung von Viren nicht zuträglich ist und die Abwehrkräfte durch die körpereigene Vitamin-D-Produktion stärkt. Die Biden-Kampagne hat bereits angekündigt, dass der demokratische Kandidat auf jeden Fall an der Debatte im Townhall-Format teilnehmen wird: »Biden liebt eine gute Townhall-Diskussion.« Hoffentlich ohne Drähte, aber das sind angeblich nur Gerüchte, sagen die Medien.

Noch davor werden sich Mike Pence und seine Herausforderin Kamala Harris am 7. Oktober in Salt Lake City treffen. Aufgeregte Kommentatoren sprachen schon vom Treffen zweier möglicher Präsidenten … doch so weit ist es offenbar noch nicht. Man sieht: Die Covid-Infektion des Präsidenten ist das unterhaltsamste, das dem US-Wahlkampf seit langem passiert ist. Die Religiösen unter den Trump-Anhängern glauben wohl bereits an ein Wunder, das durch die Gebete zugunsten Trumps hervorgerufen worden sei. Die New York Times glaubt lieber den Experten und natürlich – aber das auch schon seit längerem – an den sträflichen Leichtsinn eines Präsidenten.

Anzeige
Die mobile Version verlassen