Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Ecuador wurde der Anti-Korruptionskandidat Fernando Villavicencio von einem Attentäter auf offener Straße ermordet. Villavicencio kandidierte für die liberal-konservative Movimiento Construye bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen im Sommer dieses Jahres. Trotz volatiler Umfragewerte galt Villavicencio als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die finale Stichwahlrunde.
Die Wahl wurde nach der vorzeitigen Auflösung der ecuadorianischen Nationalversammlung im Mai dieses Jahres durch den amtierenden Präsidenten Guillermo Lasso veranlasst, der dadurch versuchte, einem Amtsenthebungsverfahren wegen Korruption zu entgehen. Er selbst sei über den Anschlag „bestürzt und schockiert“.
Kritiker der politischen Eliten
In der Nacht des 9. Augusts wurde Villavicencio im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in Ecuadors Hauptstadt San Francisco de Quito erschossen. Weitere Teilnehmer der Veranstaltungen wurden ebenfalls verletzt, ein Tatverdächtiger starb in Polizeigewahrsam. Die Identität dieses Tatverdächtigen wurde noch nicht bekanntgegeben. Sechs weitere sind in Haft.
Villavicencio wurde als politischer Aktivist und Investigativjournalist bekannt. Über Jahre hinweg übte er Kritik an der korrupten Regierung, warnte vor der organisierten Kriminalität in seinem Land. Größere Bekanntheit erlangte er im Jahr 2015 zusammen mit der ecuadorianischen Juristin Cynthia Viteri, mit der er eine Reihe von brisanten Dokumenten an die von Julian Assange ins Leben gerufene Enthüllungsplattform Wikileaks schickte. Den Dokumenten zufolge spionierten die ecuadorianischen Behörden eine Vielzahl von Journalisten und politische Gegner aus. Dazu gehörte zu dieser Zeit auch Assange selbst, der als Asylant in der ecuadorianischen Botschaft einer Auslieferung an die US-Behörden zu entgehen versuchte.
Besonders den ehemaligen linken Staatschef, Rafael Correa, kritisierte Villavicencio immer wieder scharf. So hatte er Correa einst vorgeworfen, dieser habe während der großen Polizeimeuterei im September 2010 einen bewaffneten Überfall auf ein Krankenhaus veranlasst. Correa zeigte Villavicencio daraufhin wegen Verleumdung an – der Journalist tauchte für mehrere Monate in der Amazonas-Region unter. Correa zeigte sich über den Mordanschlag bestürzt und erklärte, dass Ecuador ein „gescheiterter Staat geworden“ sei.
Narco-Staat Ecuador
Villavicencio versuchte bereits 2017 bei den regulären Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anzutreten, musste aber aufgrund einer Reihe von staatlichen Anklagen wegen Spionage und Beleidigung ins peruanische Exil fliehen. Im Februar 2018 wurde er dann freigesprochen. Neben der Korruption war vor allem die steigende Bandenkriminalität in Ecuador für Villavicencio eines der Hauptthemen im Wahlkampf. So hatte er Ecuador als „Narco-Staat“ bezeichnet.
Das Leben in Ecuador wird immer mehr von Gewalt und Bandenkriminalität bestimmt. Das Land ist ein Schlachtfeld verfeindeter Drogenbanden. Seit zwei Jahren explodiert in dem Land die Gewalt – vorher galt Ecuador als eines der sichersten Länder Südamerikas. Nun ist Ecuador die Drehscheibe für den Kokainhandel aus Kolumbien und Peru geworden. Erst im März wurde den Bürgern das offene Tragen von Schusswaffen erlaubt, um sich vor den Banden schützen zu können.
Die Angst vor einer weiteren Intensivierung der Gewalt und einem möglichen Scheitern der ecuadorianischen Demokratie ist groß. Die Möglichkeit weiterer politisch motivierter Anschläge ist nicht ausgeschlossen, wie beispielsweise im Falle der Parlamentskandidatin Estefany Puente, die laut eigenen Angaben am letzten Freitag nach der Ermordung von Villavicencio bei einem Schusswechsel leicht verletzt worden ist. Drohungen hatte sie zuvor keine erhalten. Präsident Lasso hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet sowie den Ausnahmezustand in seinem Land verhängt. Außerdem wurde das FBI um Amtshilfe bei der Aufklärung des Mordanschlages gebeten.
Die Wahl wird wie geplant am 20. August stattfinden. Villavicensios Partei Movimiento Construye wollte ursprünglich mit Vizepräsidentschaftskandidatin Andra González Náder den Wahlkampf fortsetzen. Am Montag entschied die Partei jedoch, mit dem Investigativjournalisten Christian Zurita anzutreten. Als Grund für den Sinneswandel gab die Partei formale Hürden an. Zurita hatte in der Vergangenheit mit Villavicencio an Berichten über die Korruptionsskandale Correas gearbeitet und war ein enger Freund des Ermordeten.