Am 12. Februar absolvierte der neue polnische Ministerpräsident Donald Tusk seinen Antrittsbesuch in Paris und bei der deutschen Ampel. Die konservative Echokammer im Westen des Kontinents jubilierte, als Tusk vor dem Treffen mit Olaf Scholz polnischen Pressevertretern gegenüber klarmachte, dass es bei der Zusammenkunft auch um die Frage nach der Migration nach Europa gehen würde. So erklärte er: „Wir müssen aufwachen und verstehen, dass wir unsere Grenzen schützen müssen. Wenn wir offen für alle Formen der Migration sind, wird unsere Welt zusammenbrechen. […] Dies ist eine Frage des Überlebens der westlichen Zivilisation.“ Was ist davon zu halten? Haben sich die oft geäußerten Sorgen um eine linke Kehrtwende Polens in Sachen Migrationspolitik nun doch als überzogen herausgestellt? Ich würde hier mit einem klaren „Nein“ antworten – und das aus mehreren Gründen.
Ferner ist zu beachten, dass Donald Tusk zwar Ministerpräsident, letztlich aber nur ein Mitglied in einer komplexen und widersprüchlichen Koalition ist und sich entsprechend ein Spiel nach Art von „Good cop – bad cop“ leisten kann, um seine Partei in Stellung zu bringen für die baldige Ablösung von Präsident Duda, der letzten Bastion der PiS. Während der liberale Regierungschef also, je nach Gelegenheit, hier und da migrationsskeptische Akzente setzt, kann der Parlamentspräsident Hołownia vom Parteienbündnis „Dritter Weg“ sich lächelnd mit mehrfach zurückgewiesenen illegalen Migranten ablichten lassen und eine Kehrtwende in der polnischen Willkommenspolitik zelebrieren, während die linksradikale Partnerpartei Lewica, das Zünglein an der Waage der Koalition, eine radikal migrationsfreundliche Linie fährt und in allen Belangen den deutschen Linksgrünen nacheifert.
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die polnische Migrationspolitik drei grundverschiedene Facetten aufweist, je nachdem, ob es um die ukrainische Arbeits- und Flüchtlingsmigration, die illegale Zuwanderung über Belarus oder schließlich um die Einwanderung der muslimischen und afrikanischen Armutsmigranten über den innereuropäischen Raum geht.
Problematisch ist allerdings die Zuwanderung über Belarus: Putin ebenso wie Lukaschenko importieren seit Jahren per Flugzeug viele Zehntausende weitgehend muslimische Asylanten, um sie gegen entsprechende Zahlungen über die nordostpolnischen Wälder nach Westen eindringen zu lassen und somit einen Zankapfel zu schaffen, der nicht nur die Beziehungen zwischen Polen und der obsessiv migrationsfreundlichen EU vergiftet hat, sondern auch innerhalb der polnischen Öffentlichkeit mit ihren weitgehend linksliberalen Medien für Ärger sorgte. In dieser Hinsicht ist es hochinteressant, dass gerade Tusks Partei in den letzten Jahren immer wieder die Grenzpolitik der Vorgängerregierung kritisierte, flüchtlingsfreundliche NGOs unterstützte und die Präsenz von Medien an der Grenze anforderte, um durch Dokumentation der entsprechenden „unschönen Bilder“ Stimmung gegen PiS zu machen – nur kurz vor den Wahlen begab sich Tusk auf Stimmenfang im rechten Lager, als er einzelne Grenzdurchbrüche kritisierte.
Vor der Reise nach Deutschland allerdings äußerte sich Tusk wieder überaus sibyllinisch, als er sagte: „Pushbacks sind aus völkerrechtlicher Sicht illegal, aber ich werde keine Entscheidung treffen, die unbedacht dazu führt, dass unsere Grenze weniger dicht wird als sie es derzeit ist.“ Dazu passt, dass kürzlich Dutzende migrationsfreundliche linke NGOs in einem offenen Brief an die neue Regierung eine Kehrtwende im Bereich der Asylpolitik „forderten“. Das bedeutet im Klartext wohl, dass zwar die militärische Sicherung der hochgefährlichen Grenze nach Belarus weiter aufrechterhalten werden soll, die Migranten aber nun eben an den Grenzübergängen ganz ordnungsgemäß in das Land und somit die EU eingelassen anstatt zurückgewiesen werden sollen – eine Botschaft, die man in Belarus aufmerksam vernommen haben wird.
Schließlich war Donald Tusk einer der Hauptverantwortlichen bei der Erstellung des sogenannten „Asylkompromisses“, der nicht nur einen obligatorischen Verteilungsschlüssel bei der geographischen Zuweisung der Mittelmeer- und Balkanflüchtlinge beinhaltet, sondern alle Staaten, die diesen Vorgaben nicht entsprechen, mit einer Strafe von 20.000 Euro pro nicht aufgenommenem Migrant belegen soll – gerade für osteuropäische Staaten eine enorme Summe. Die konservative Vorgängerregierung weigerte sich immer wieder, die entsprechenden Verträge zu unterzeichnen. Die Tusk-Regierung, gerade einmal sieben Tage im Amt, unterzeichnete ihrerseits am 20. Dezember 2023 bereitwillig den provisorischen „Asylkompromiss“.
Damit sind auch in Polen die nötigen Weichen gesetzt, um trotz aller historischen Erfahrungen genau dieselben Fehler zu begehen, welche die westeuropäischen Staaten ihrerseits schon vor vielen Jahrzehnten begangen haben.