Tichys Einblick
Schranken gegen Chinas neuen Merkantilismus

Erste Anzeichen von Donald Trumps neuer Handelspolitik: Was hat Deutschland zu befürchten?

Robert Lighthizer wird erneut als Trumps Handelsberater gehandelt. Er setzt auf „strategisches Decoupling“, das auch die Europäer befürchten. Aber vielleicht ist alles nur ein Trick, um den besten Deal herauszuholen. Das läge in der Logik der Sache.

Robert Lighthizer, Washington D.C., USA, 12. April 2018

picture alliance / abaca | Pool/ABACA

Das Repräsentantenhaus bleibt anscheinend republikanisch. Damit deutet sich eine Fortsetzung der Wirtschafts- und Handelspolitik der ersten Amtszeit Trumps an. Der neue Innenminister, Doug Burgum, bisher Gouverneur von North Dakota, hat einen BWL-Abschluss aus Stanford und leitete einst ein milliardenschweres Unternehmen. Andere Benennungen wie die von Robert F. Kennedy zum Gesundheitsminister zeigen, dass das Kabinett Trump II noch klarer „out of the box“ besetzt sein könnte als Trump I. So könnte der Bitcoin-Fan und Investor Scott Bessent Finanzminister werden. Bessent ist Hedgefonds-Manager, hat von 1991 bis 2000 und wieder von 2011 bis 2015 sogar für George Soros gearbeitet. Zusammen mit der Abteilung für effizientes Regieren (Vivek Ramaswamy und Elon Musk) formiert sich so die neue Wirtschaftspolitik der zweiten Amtszeit Trump.

Hinzu kommt wohl erneut der Handelsberater Robert Lighthizer, der schon die Handels- und Zollpolitik der ersten Regierung Trump maßgeblich geprägt hat. Er soll, so raunt es derzeit europaweit durch den Medienwald, Zölle in Höhe von zehn bis 20 Prozent des Warenwerts für europäische Importe einführen wollen und saftige 60 bis 100 Prozent auf chinesische Waren. Selbst Marine Le Pen und Jordan Bardella stehen hier auf ihren Zehenspitzen und lugen angespannt über den großen Teich. Man weiß, dass man nun auch europäische Interessen zu vertreten haben wird. In dieser Frage wächst in Frankreich fast schon der große Graben zwischen Macron und Le Pen zusammen.

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Dabei ist anzunehmen, dass Trump sich zunächst auf die Einführung weniger, dafür aber besonders schlagzeilenträchtiger Zölle beschränken wird. Das dürften zunächst die nach China sein. Wie man weiß, werden auch diese Druckmittel immer nur mit dem Ziel eines besseren „Deals“ eingesetzt. Die EU kann die gegen sie angekündigten Zölle genauso verstehen. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel hat dementsprechend gelassen auf Trumps Wahlsieg reagiert, ihn gar als Vorbild ihrer Partei bezeichnet und darauf hingewiesen, dass die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands vor allem „hausgemacht“ seien.

Wie schlimm werden diese Handelsschranken sich wirklich auf die europäische Wirtschaft auswirken? Ökonomen gehen derzeit von mindestens 0,2 Prozentpunkten weniger Wachstum aus – kommen die Zölle, soll die Einbuße noch höher ausfallen. Die USA sind das wichtigste Exportland für die deutsche Wirtschaft, ein Schadenspotential existiert ohne Frage. Aber all das bleiben Prognosen, und auch die USA bleiben vorerst auf deutsche Maschinen und Pharmaprodukte angewiesen. Die deutschen Maschinenbauer merken an, dass gerade ihre Produkte für die Reindustrialisierung der USA gebraucht werden. Zudem könnten sich Steuersenkungen bei der Körperschaftssteuer positiv auf ausländische Betriebe auswirken – aber natürlich nicht für die deutschen Betriebsstandorte.

Lighthizer: Interessen fremder Regierungen wurde Vorrang eingeräumt

In jedem Fall ist Lighthizer kein Neuling in der US-Handelspolitik. Er ist auch kein Trump-Loyalist der ersten Stunde. Es gibt Bilder, auf denen er Ronald Reagan die Hand schüttelt oder im vertrauten Gespräch mit Bob Dole ist, den er vor Trump beraten hat. Er war auch mit der Biden-Administration zufrieden, weil sie die Zölle nicht senkte, die er unter Trump verhängt hatte.

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In seinem Buch „No Trade Is Free“ hat er seine Ideen dargestellt. Auf Deutsch müsste der Titel „Es gibt keinen freien Handel“ heißen, oder vielleicht noch eher: „Es gibt keinen Gratis-Handel“. „Free“ kann im Englischen beides bedeuten. Lighthizers Grundthese lässt sich so zusammenfassen: Die USA und der legendäre „Westen“ insgesamt haben auf „freien Handel“ gesetzt, weil sie glaubten, davon – wie alle anderen – zu profitieren. Doch das sei ein Irrtum. Seit einiger Zeit hätten westliche Länder, die die Industrialisierung ursprünglich hervorgebracht haben, in der Produktion zurückstecken müssen.

Andere Länder übernahmen ihren Platz. „Millionen normaler Amerikaner zahlten den Preis“, heißt es in der Buchbeschreibung. Das ist der Grund, warum Lighthizer den Glauben an den „freien“, den „Gratis“-Handel in seinem Titel verabschiedet. Natürlich spielt er damit auf die Redewendung „There is no such thing as a free lunch“ an – im Leben gibt es nichts umsonst, nicht einmal den Welthandel. Letztlich fallen auch hier Kosten an, die aus den Tricks und Strategien der anderen resultieren können. Bei China geht es hier insbesondere um die extravagante Mischung aus Staatswirtschaft und Kapitalismus, die noch immer viele Regierenden und Handeltreibenden verwirrt.

Eine noch einfachere Erklärung für die amerikanischen Verluste im Handel mit China und der Welt ist, dass den Regierenden in Washington schlicht die Gewinne großer Unternehmen, günstige Importe und die Forderungen anderer Regierungen (!) wichtiger gewesen seien als die Interessen der normalen US-Bürger. Das ist Lighthizers Auffassung. Daneben gefährden auch Krisen die Profitabilität des globalen Handels, man denke nur an die Covid-Krise.

Chinas Beitritt als Erfolg des Westens?

Blicken wir kurz zurück auf das vergangene Vierteljahrhundert: Lange galt der Beitritt oder die Zulassung Chinas zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 als Meilenstein und vorteilhaft für alle Beteiligten. Doch die Folge war vor allem ein rasantes Wachstum der chinesischen Exporte in die Welt. Dagegen ließ die KP in China selbst nicht alle Initiativen zu, die zu einer freien Marktwirtschaft westlichen Gepräges gehören. Ausländische Unternehmen wurden dazu verpflichtet, Jointventures mit chinesischen Betrieben einzugehen. Der Marktzugang nach China ist noch immer nicht frei, wie zahlreiche offizielle WTO-Beschwerden zeigen.

20 Jahre nach dem WTO-Beitritt und der damit einhergehenden Öffnung der Märkte ist es Zeit für eine Bilanz: China hat zweifellos profitiert. Hunderte Millionen Chinesen wurden der Armut entrissen. Das Land exportiert heute rund fünf Mal so viel wie noch vor 20 Jahren und ist seit 2009 der weltgrößte Exporteur, inzwischen auch die zweitgrößte Wirtschaftsmacht. Doch die USA konnten nur teilweise profitieren: Hier machten zwar Unternehmen, die in China investieren durften, Gewinn. Die Konsumenten erhielten Zugang zu niedrigpreisigen Waren aus China. Aber zugleich schrumpfte die US-Industrie und vielerorts gingen Arbeitsplätze verloren. Die Unzufriedenheit der amerikanischen Arbeiterklasse sammelte Donald Trump für die Republikaner ein.

Die Evaluation der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und den USA fällt weniger eindeutig aus: Die Europäer sind freilich Konkurrenten wie andere auch. Deutsche Autohersteller sind auf dem amerikanischen Markt vertreten, auch wenn sie gerade eher schwächeln. Das heißt aber nicht, dass sie nicht anderen Konkurrenten noch immer Filetstücke wegnehmen.

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In der ersten Amtszeit Trump werkelte Lighthizer von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt an der Zoll- und Handelspolitik des Präsidenten. Die Ergebnisse machten durchaus Schlagzeilen, aber der Berater selbst – im Gegensatz zu einem Steve Bannon oder anderen – erzeugte keine. In den Medien ging es aber schon damals um die weitreichenden Folgen von Trumps Zollpolitik gegen China, das bis dahin fast ungehindert seine Waren in die Welt exportieren konnte. Lighthizers Strategie – von manchen wird ihm abgesprochen, dass er eine habe – wird auch als radikales Decoupling erklärt.

Lighthizers Vorschläge zielen auf die US-Bürger ab, die Interesse an einer Wirtschaft mit eigener Produktion haben. Das gilt für die produzierende Industrie ebenso wie etwa für die Landwirtschaft. Man kann all das ohne Zögern auf jedes andere Land übertragen. Immer liegt es im Interesse jedes einzelnen Einwohners eines Landes, dass Produkte, die er braucht oder erwerben will, nicht aus weiten Fernen herangeschafft werden müssen, sondern im besten Fall vor seiner Haustür produziert werden. Die Produkte werden dadurch günstiger. Zwischenhändler und Transportkosten fallen weg. Qualitätssicherheit steigt.

Die einseitige Orientierung auf Welthandel und Globalisierung hat dieses grundlegende Interesse in den Hintergrund treten lassen, nicht zuletzt, weil von den aufgeblasenen Lieferketten viele profitieren. Dem wird Trumps Politik womöglich ein partielles Ende machen. Das behagt jenen Ländern nicht, die ihrerseits versuchen, möglichst viele möglichst hoch verarbeitete Produkte ins Ausland zu exportieren.

Natürlich gibt es trotz alledem auch Argumente für den Welthandel: Durch den Austausch von verhältnismäßig seltenen, in ihrer Bedeutung einzigartigen Produkten wird Mehrwert erzeugt und können weit gestreckte Lieferketten gerechtfertigt werden. Daneben können auch Unwuchten im Arbeitsmarkt so überwunden werden: Die Nordseekrabben pulenden Marokkaner sind ein Beispiel, wenn auch vielleicht nicht das repräsentativste.

Alles am Ende nur Teil der „Art of the Deal“

In seiner ersten Amtszeit errichtete Trump gemäß Lighthizers Rat eine Spezial-Handelsmauer zwischen den USA und China, erhöhte Zölle und verhinderte so längst geplante US-amerikanische Investitionen. Lighthizer könnte damit als grundsätzlicher Gegner der Globalisierung erscheinen. Letztlich geht es ihm aber um die unfairen Dynamiken, die der halbherzige Eintritt einer fremdartigen Macht – wie es China nun einmal ist – in den Weltmarkt auslöst. Seine Kritiker sagen freilich, dass er auf den chinesischen Merkantilismus mit einer US-amerikanischen Variante desselben Programms antworte.

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Im historischen Merkantilismus der Kolonialzeit ging es für die europäischen Mächte darum, möglichst viel – vor allem verarbeitete Produkte – zu exportieren und möglichst wenige Waren einzuführen. Es ist ein Wirtschaftsmodell mit Gefälle. China hat immer wieder in der Geschichte so agiert. In der Kolonialzeit brauchte es kaum etwas von den Europäern, nur das südamerikanische Silber war in China rar und gesucht genug, um einen Anreiz für Importe zu bilden. Das Reich der Mitte war daneben, auch wegen seiner kulturellen Eigenart, autark. Erst die Opiumkriege der Briten brachen diese Unabhängigkeit von der Welt so recht auf.

Heute geht es für Lighthizer nicht so sehr um Gefälle denn um „strategisches Decoupling“, das man aber auch schlicht als Antwort auf Handelshindernisse in China sehen kann. Daneben versucht sich ein Land mit hohen gegen eines mit geringen Arbeitskosten zu verteidigen. Es könnte für Europa mehr Zukunft in dieser Politik stecken, als viele heute ahnen. Es muss ja nicht bei China bleiben, auch andere Länder bereiten sich auf den Tigersprung vor oder sind schon am Zuge, ihn zu wagen. Die Europäer, die wohl weniger eine Strategie haben, als vielmehr ihrem direkten Nahinteresse folgen, dürfen sich Gedanken darüber machen, ob sie auch langfristig von einem immer engeren „Coupling“ mit dem „Reich der Mitte“ profitieren. Anzeichen sind da, dass China die europäischen Investitionen nur so lange gutheißt, bis es die dahinterstehenden Techniken und Patente ausreichend studiert hat. Dann geht es zur Phase Nachahmung über und flutet die einstigen Partner mit eigenen Produkten. Das mag etwas holzschnittartig gezeichnet sein, aber weit weg von der Realität war es bisher nicht.

Für Lighthizer ist der Merkantilismus „eine Schule der nationalistischen politischen Ökonomie, die die Rolle von staatlichen Eingriffen, Handelsschranken und Exportförderung beim Aufbau eines wohlhabenden, mächtigen Staates betont“. Unklar bleibt, ob er den Begriff kritisiert oder ihn anwenden will. Es kann durchaus sein, dass er schlicht das Geschäftsmodell Chinas erkannt hat und selbst nachahmen will. Wie das ausgeht, kann nur der Versuch erweisen. Aber insgesamt geht es wohl eher um ein Muskelspiel, ganz im Sinne der „Art of the Deal“. Auch der mögliche neue Finanzminister Bessent spricht von einem „Instrument für Verhandlungen mit unseren Handelspartnern“. Und gegen Handel und Wandel im Zeichen des Neuen ist ja an sich nichts einzuwenden. Deutschland und die anderen Europäer müssten sich an diese Logik des Wettbewerbs erneut gewöhnen, anstatt bei jedem Washingtoner Kurswechsel in das Wehklagen der Vasallen zu verfallen.


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