Es ist eine spanische Eigenschaft, die Karten in einer Verhandlungen nie auf den Tisch zu legen. Das führt leider meist zu Verwirrung und selten zu Gewinnern auf beiden Seiten. Entscheidungsprozesse werden dadurch zudem künstlich verlängert. So erklärt sich auch das Chaos, das in den vergangenen Tagen um das Schiff der katalanischen Hilforganisation „Proactiva Open Arms“ zwischen der spanischen und der italienischen Regierung sowie der Hilfsorganisation entstanden ist. 17 Tage rührte die Madrider Regierung unter dem Sozialdemokraten Pedro Sánchez keinen Finger, um die Situation vor der italienischen Küste zu entschärfen, denn immerhin ist „Proactiva Open Arms“ eine spanische Organisation. Als nichts mehr geht, schickt die spanische Regierung ihr eigenes Rettungsschiff nach Lampedusa. Aber alles umsonst, Italien regelt den Fall auf seine Weise. Spanien beschimpft Italiens Innenminister Matteo Salvini – und verhält sich selbst inhuman.
Die Rolle von Open Arms in dem Drama ist fragwürdig. Der 56jährige Gründer der NGO Òscar Camps gilt als immer umstrittener, weil er nicht nur Sogeffekte erzeugt, sondern auch politische Konflikte zwischen den europäischen Ländern. Das hat nur einen guten Effekt: Es wird klar, dass eine gemeinsame europäische, ehrlich kommunizierte Strategie her muss. Derweil wird jetzt von allen Seiten auf Sánchez geschossen, nur nicht aus EU-Europa, wo man froh ist, dass Südeuropa die Drecksarbeit macht. Aber in den eigenen Gefilden wird es eng für den aufstrebenden Politiker, der nach der gewonnen Wahl im April immer noch keine Regierung gebildet hat. Die rechte Partei VOX wirft ihm Unfähigkeit vor und Open Arms gemeinsame Sache mit Schlepperbanden. Die linke Partei Podemos dagegen kritisiert das zu harte Vorgehen der Regierung und ihre angeblich gemeinsame Sache mit dem als Hardliner bekannten italienischen Innenminister Matteo Salvini. Und gerade wurde der Fall Open Arms gelöst, da wartet schon das nächste Schiff aus Norwegen, die „Ocean Viking“, mit 365 illegalen Immigranten an Bord auf einen sicheren Hafen in Europa. Und alles geht wieder von vorne los. Spanien wartet und beschimpft Italien dafür, dass es wartet. Am Ende wird Italien irgendwie handeln und Spanien hat geschimpft.
Spaniens Regierung geht auf Konfrontation mit Open Arms
Am Anfang, als durch die von Deutschland vorangetriebene Öffnung der EU-Grenzen 2015, Europa von einer Flut von Migranten überrrollt wurde, mögen Hilfsorganisationen wie Open Arms ihre Berechtigung gehabt haben. Jetzt geraten sie aber immer mehr in den Verdacht, ungewollt, oder wie andere sagen gewollt, den Schlepperbanden zuzuspielen. Spaniens Regierung geht auch deswegen immer mehr auf Distanz zu Open Arms und weist in diesen Tagen darauf hin, dass sie keine Zulassung haben, mit ihrem Boot in den Gewässern vor Italien aktiv zu werden. Nachdem das Schiff Anfang des Jahres Monate lang im Hafen von Barcelona festgehalten wurde, weil es angeblich sicherheitstechnisch nicht mehr auf dem neusten Stand war, bekam es im April eine Zulassung ausschliesslich vor den griechischen Insel Samos und Lesbos für Frachttransporte aktiv zu werden.
Weil Open Arms die Kompetenzen schon seit einigen Monaten überschritten hat, droht der Organisation eine Strafe von 901.000 Euro, wenn sie wieder in spanische Häfen einlaufen. Das soll nach einigen Spekulationen der Grund sein, warum sie das Angebot von Sánchez vor einigen Tagen, auf den Balearen oder im Hafen von Algeciras anzulegen, nicht annehmen wollten. Camps könnte seine Lizenz als Seenotretter für 5 Jahre verlieren. Da er auch eine private Unternehmung in diesem Bereich unterhält, dürfte das für ihn schwerwiegende Folgen haben. Ob die Strafe jedoch tatsächlich anfällt oder ob alles nur ein Bluff ist, dazu schweigt die spanische Regierung. Die rechte spanische Opposition fordert in jedem Fall, dass Sánchez dem Parlament erklärt, was in den vergangenen Wochen passiert ist und wie seine weitere Strategie aussieht.
Open Arms ist keine Lösung für die illegale Immigration
Derweil wachsen die Anschuldigungen gegen Camps, der als Unternehmer eher durch ausbeuterische Methoden aufgefallen ist. 2016 gingen 80 seiner Mitarbeiter in den Streik wegen schlechter Arbeitsbedingungen bei seiner Firma „Proactiva Serveis Aquàtics“. Umstritten ist auch die Öffentlichkeitsarbeit der Hilfsorganisation, welche die Bürgermeisterin von Barcelona an Bord genommen hat und immer wieder Platz macht für Journalisten aus der ersten Reihe. Das wirkte vor allem in den vergangenen Tagen befremdlich, weil eine Synergie zwischen Medien, NGO und illegalen Immigranten entstand, die nicht wirklich gesund ist im Zeitalter, wo jeder der Immigranten an Bord ein Smartphone besitzt und aufgrund von zahlreichen Interviews wieder einmal falsche Anreize in die Heimat geschickt werden, statt jeden zu warnen, sich erst gar nicht auf den Weg zu machen. Wie fragwürdig Open Arms vorgeht, Show-Effekte inszeniert um die öffentliche Meinung zu beeindrucken, ja geradezu „Seenot“ vom Schlauchboot aus vortäuscht, zeigt ein Video der italienischen Küstenwache.
Aber es gibt auch immer wieder Zweifel über die Finanzierung von Open Arms. Gemäβ der spanischen Zeitung El Mundo hat Open Arms zwischen September 2017 und 2018 Spendengelder in Höhe von 3,5 Millionen Euro erhalten. Das spanische Unternehmen Grupo Ibaizabal schenkte der Hilfsorganisation Anfang 2017 auβerdem ein neues Schiff. Sara Ouchen ist eine Journalistin, die in Melilla tagtäglich die Misere der Immigration erlebt und auch ihre Komplexität: „Natürlich gibt es Schlepperbanden“. Menschen retten ist menschlich notwendig, „aber es tritt auch immer wieder neue Wellen von Flüchtlingen los“. Die Spanier sind für ihre enorme Solidarität und ihre Toleranz gegenüber Ausländern bekannt. Die spanische Exklave Melilla ist eine der Standorte, wo das Zusammenleben von verschiedenen Religionen und Kulturen erfolgreich zelebriert wird. Aber auch dort wird deutlich, wieviel kriminelle Energie hinter einigen Auswanderungsstrategien stecken, wie zum Beispiel dem Aussetzen marokkanischer Minderjährigen auf der anderen Seite der Grenze, um so Europa zur Aufnahme zu zwingen.
Menschenrettung völlig losgelöst von europäischen Interessen
Der Gründer von Open Arms bringt immer wieder vor, dass Menschenrettung nicht illegal sein kann. Als Seerettungsunternehmen habe er auf dem Meer die Verpflichtung, Personen vor dem Ertrinken zu retten. Allerdings erinnert ihn die spanische Regierung daran, dass er nicht aktiv nach Opfern suchen darf, wie es derzeit der Fall ist, weil dadurch ein Sogeffekt entsteht, der nachweislich auch den Schlepperbanden zuspielt. “Man muss alles im Kontext sehen und der ist kompliziert“, sagt Ouchen. Wenn Migranten monatelang unterwegs seien, gefoltert und vergewaltigt werden, bis sie es in ein Boot nach Europa schaffen und dann auch noch gefährdet sind zu ertrinken, sei es menschlicher, alles zu machen, damit diese Migranten erst gar nicht losziehen. Solche Argumente waren in Deutschland auch aus den linken Reihen zum Beispiel jüngst von Sahra Wagenknecht zu hören. In Konfliktregionen wie Syrien ist das schwierig, aber viele der Migranten auf dem Mittelmer kommen aus Nord- oder der Subsahara, wo es viele Konflikte gibt, aber wer die Gefahren des Weges abwägt, der ist in keinem Fall besser dran, wenn er sich auf den Weg nach Europa macht. Auf viele, vor allem auf die Frauen, warten in Ländern wie Lybien Torturen, Vergewaltigungen und Versklavung.
Camps, dessen Boot wieder mal von Italien beschlagnahmt wurde, muss sich fragen, ob seine Strategie wirklich die richtige ist. Derweil läβt die spanische Regierung mitteilen, dass ihr Rettungsschiff Audaz immer noch zur Verfügung stehe, um Migranten nach Spanien zu bringen und die spanischen Medien hören im Sommerloch nicht auf, über das Drama Open Arms und Italien zu berichten. Nachdenklich stimmt einer der ersten Immigranten, der auf italienischem Boden im Gespräch mit dem öffentlichen spanischen Fernsehsender 24h kurz und knapp zugibt, was seine Mission ist: „Ich bin Algerier, Friseur und will nach Deutschland.“