Tichys Einblick
Frankreich

Die Wiedergeburt der Grande Nation

Europas neuer Kaiser. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Bundeskanzlerin Angela Merkel als mächtigsten Inhaber eines politischen Amts in der EU abgelöst. Sein Ziel: ein souveränes Europa unter französischer Führung auf den Gebieten Militär, Wirtschaft und Energie.

Paris, 14. Juli 2019, Präsident Emmanuel Macron nimmt die Militärparade ab. Erinnerung an die Revolution oder Machtdemonstration?

LIONEL BONAVENTURE/AFP/Getty Images

Angela Merkel sah aus wie ein verliebtes Mädchen, Mark Rutte grinste wie immer, und Jean-Claude Juncker gab den ehemaligen Staatsmann, der sich freut, wenn er auch noch mal eingeladen wird. Das Fest, das am 14. Juli auf der Ehrentribüne an den Pariser Champs-Élysées zur Teilnahme an der Militärparade im Gedenken an den Sturm auf die Bastille (1789) stattfand, war für den neuen Kaiser Europas eine Demonstration von Macht und Pomp.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger François Hollande fuhr Präsident Emmanuel Macron in einem offenen Militärwagen vor, um den Jubel der Massen huldvoll entgegenzunehmen. Dann inspizierte er zunächst die Truppen vor der Ehrentribüne und danach die politischen Truppen auf den Rängen – die anderen Regierungschefs, die als Gäste der Parade beiwohnten. Macron schüttelte allen die Hand und küsste Männer wie Frauen besitzergreifend auf beide Wangen. Er trug einen perfekt geschnittenen Anzug, stand im Zentrum des Geschehens, parlierte hier, scherzte dort.

Vor ihm rollte die Militärparade ab. Von alters her ist sie mehr als nur das
Defilee der Soldaten, die Waffenschau, die Erinnerung an die Französische Revolution. Sie trägt vielmehr eine klare Botschaft: Die Franzosen sichern durch Innovation ihre strategische Autonomie und sind bereit, dabei mit europäischen Partnern zusammenzuarbeiten – sofern die sich hinten anstellen.

Nation auf der Suche seit Napoleon

„Autonomie“ oder „Souveränität“ und „europäische Partner“, das waren die Schlüsselwörter, die Macron bereits benutzte, als er mit seiner neu gegründeten Partei La République en Marche für die Präsidentschaft kandidierte. Die Militärparade in Paris gab nun eine Vorstellung davon, was dies in der Praxis bedeutet: Mit Frankreich als Kernland muss (West-)Europa eine Weltmacht werden.
Es ist ein alter Wunsch. Seit Clovis I. im Jahr 481 zum ersten katholischen König der Gallier gekrönt wurde, versteht man sich als Nachfolger des Weströmischen Reiches. Frankreich, der älteste Staat in Europa, wurde 843 gegründet und hat diesen Ehrgeiz übernommen und verinnerlicht. Ludwig XIV. und Napoleon hätten es beinahe geschafft, Kontinentaleuropa unter ihrer Führung zu einem Imperium zu vereinen.

„Wenn Napoleon gewonnen hätte, wäre Europa eine Weltmacht“, konstatierte einmal Zbigniew Brzezínski, der 2017 verstorbene Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Frankreich erneut die Hoffnung auf die Verwirklichung von Napoleons Traum. Charles de Gaulle (der „Gallier“) wollte mit Westdeutschland, Italien und den Beneluxstaaten eine westeuropäische Macht zwischen den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich einerseits und der Sowjetunion andererseits bilden. Natürlich mit Frankreich selbst als Kern.
Diese Hoffnung scheiterte. Kleine Länder wie (West-)Deutschland und die Niederlande wollten sich wirtschaftlich, aber nicht politisch und militärisch integrieren, vertrauten sicherheitspolitisch mehr auf Amerika als auf Frankreich. De Gaulles Vorschlag zur Schaffung einer Europäischen Verteidigungsunion und einer politischen Union wurde zuerst von den anderen beteiligten europäischen Ländern im Jahr 1954 und dann sogar vom französischen Parlament abgelehnt. Frankreich verließ frustriert die NATO und versuchte allein mit den Supermächten mitzuspielen. Mit gewaltiger Kraftanstrengung, einer eigenen Atombombe und immer noch großem Einfluss in Afrika zeigte Frankreich Stärke.

Trotzdem blieb Frankreich zweitrangig und drohte weiterhin machtpolitisch zu verdunsten. François Mitterrand, Präsident von 1981 bis 1995, verstand die Zeit, als er sagte, er sei der letzte französische Präsident, der eine solche Macht besitze. Die Sowjetunion brach zusammen – und damit Frankreichs Zwischenposition. Amerika wurde die einzige Supermacht.

Mitterrand musste auch mit ansehen, wie es der britischen Premierministerin Margaret Thatcher gelang, Frankreich im EU-Binnenmarkt zu isolieren: Der angelsächsisch geprägte Freihandel setzte sich gegen den französischen Protektionismus durch. Immer weiter ging es bergab: Deutschland ist nach der Wiedervereinigung das größte EU-Land geworden. Zwar beschlagnahmte Mitterrand 1991 in Maastricht noch schnell die mächtige D-Mark und ersetzte sie durch den Euro, trotzdem aber wurde im Zuge der EU-Osterweiterung und der Eurokrise ab 2009 Deutschland geografisch, wirtschaftlich und politisch die zentrale EU-Macht.

Macrons schwankende Renaissance

Frankreich wurde langsam auf die Rolle Italiens reduziert, ein zwar großes, aber politisch schwaches Land. Nicolas Sarkozy bombardierte 2011 mit dem britischen Premierminister David Cameron Libyen, um noch etwas Macht zu zeigen. Die Hinterlassenschaft aber ist furchtbar: ein mafioser Staat als Dreh- und Angelpunkt für den Menschenschmuggel nach Europa. „A shit show“ kommentierte der damalige US-Präsident Barack Obama die Militäraktion.

Sarkozys Nachfolger François Hollande war dann hauptsächlich mit seiner Geliebten beschäftigt und ließ das Land auf der internationalen Bühne genauso wie im globalen Wettbewerb weiter verfallen. Nach jedem Straßenprotest zog er die zuvor eingeleiteten oder angekündigten, dringend notwendigen Reformen zurück.

Aber dann kam im Jahr 2016 Emmanuel Macron. Vom ersten Moment an setzte sich Macron als der Mann durch, der Frankreich und Europa vom globalen Status zweiter Klasse befreien will, als der Mann, der den Niedergang Europas, der mit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt hat, stoppen wird. Eine „europäische Renaissance“ – eine Wiedergeburt – ist seine Standardformel.

Er demonstrierte sofort seine Absichten, indem er US-Präsident Donald Trump während eines NATO-Gipfels in Brüssel umarmte, um ihn anschließend mit der Parade vom 14. Juli 2017 zu beeindrucken. In einer Welt starker Männer mit Donald Trump, Xi Jinping (China), Narendra Modi (Indien) und Wladimir Putin (Russland) will Macron gestützt auf Frankreichs Stärke und stellvertretend für Europa mitreden. Im September 2017, unmittelbar nach den Bundestagswahlen, präsentierte er in einer Rede an der Sorbonne-Universität mehr als 40 Einzelpläne für mehr EU-Integration: ein Paket, das so gar nicht durch schmale deutsche Türen passt.

Chinesische Produkte sollen verboten, europäische Unternehmen über europäische Aufträge gestützt, Europa von der amerikanischen Verteidigung ebenso wie von arabischem und russischem Öl und Gas unabhängig werden und mit einer eigenen Außenpolitik die europäischen Interessen verteidigen sowie die unkontrollierte Einwanderung verhindern. Er möchte, dass die EU-Länder in weniger Bereichen ein Vetorecht gegen gemeinsame Beschlüsse erhalten und EU-Länder, die sich schneller integrieren wollen, nicht auf die langsamen warten müssen.

Er will Steuern für den EU-Säckel, eine europaweite Mindestgewinnsteuer für Unternehmen, neue EU-Institutionen mit großen Budgets, einen EU-Arbeitslosenfonds, einen Haushalt für die Eurozone und eine Vielzahl „sozialer“ Systeme, die Gelder vom Norden Europas in den Süden umleiten. Der „Spiegel“, sonst durchaus integrationsfreundlich, nannte ihn zutreffend einen „teuren Freund“.
Angela Merkel schwieg dazu, zögerte, finassierte und taktierte. Das ist nicht ungewöhnlich. Merkel wartet in der Regel darauf, dass der öffentliche Konsens ihr die Entscheidung abnimmt. Dieser Konsens kam jedoch nicht zustande. Es dauerte allein sechs Monate, bis sie eine neue Regierung bilden konnte.

Merkel öffnet Tür zu mehr Transfers

Im Sommer 2018 erzielte Macron schließlich erste Erfolge. Im Juni 2018 verpflichtete sich Merkel während eines Treffens mit Macron auf Schloss Meseberg bei Berlin zu einem Budget für die Eurozone. Zwar hatte sie vor dem Hintergrund zugestimmt, dass die Niederlande und andere nordeuropäische Länder versuchen würden, Macrons Wunsch zu sabotieren, aber trotzdem wurde die Tür zu mehr Transfers geöffnet.

Die Beziehung zwischen den beiden ist nicht sehr gut. Macron ist ein Mann der Tat, der nicht gern wartet. Merkel wartet, bis sich ein Deal anbietet und Handeln nicht mehr zu vermeiden ist. Die EU integriert sich zwar in Krisenzeiten immer weiter, aber Macron möchte dem voraus sein.

Im Oktober 2018 trat Angela Merkel dann als CDU-Vorsitzende zurück, um Annegret Kramp-Karrenbauer Platz zu machen. Macron nutzte das Interregnum, um seine Pläne mit Reden in Athen, vor dem EU-Parlament in Straßburg und in einem offenen Brief in mehr als 40 europäischen Zeitungen beliebt zu machen.

Gleichwohl schien Merkels Taktik aufzugehen, denn als die Gelbwesten wochenlang Frankreich lahmlegten und Teile der Pariser Prachtmeilen verwüsteten, erschien Macron nur noch wie ein Möchtegernpräsident, der zwar viel Wind machte, aber sein eigenes Haus nicht eingerichtet bekam. Tatsächlich konnte Macron den Aufstand
nur mithilfe militärischer Einheiten niederschlagen – mit Sondervollmachten, Beschränkung der Pressefreiheit und unter Inkaufnahme hunderter schwer verletzter Demonstranten.

Nach dieser Schwächephase wendete sich das Blatt wieder zugunsten Macrons, der zudem von zwei Entwicklungen unterstützt wird. Da ist einerseits US-Präsident Donald Trump, der darauf besteht, dass EU-Europa die militärische Verantwortung selbst übernehmen muss. Frankreich will das sehr; denn als einziges kontinentales Mitglied des UN-Sicherheitsrats und einziges Land auf dem Kontinent mit noch funktionsfähigen Streitkräften wird Paris automatisch zum Dreh- und Angelpunkt der Sicherheit Westeuropas.

Außerdem haben die europäischen Hauptstädte endlich verstanden, wie gefährlich der chinesische Diktator Xi Jinping ist. Er hat bereits viele Kooperationen mit osteuropäischen Ländern und ein Investitionsabkommen mit Italien vereinbart. Chinesische Unternehmen kaufen sich in großer Zahl in Europa ein.

Dazu kommen die beständige russische Machtdemonstration an der Ostgrenze, auf der Ostsee sowie die anhaltenden Unruhen in Nordafrika und im Nahen Osten, die bedeuten, dass die europäischen Länder „die Wagen in einen Kreis stellen“ müssen, wie der niederländische Premierminister Mark Rutte die buchstäbliche Wagenburgmentalität angesichts der wachsenden Bedrohungen nennt. Der außereuropäische Druck sorgt für Einheit.

Darüber hinaus verändert sich die EU zugunsten Frankreichs. Während die Erweiterung der EU um das Vereinigte Königreich die marktliberalen Wirtschaften förderte und die Osterweiterung Deutschland Absatzmärkte und billige Werkbänke bescherte, hat inzwischen eine umgekehrte Bewegung eingesetzt. Das Vereinigte Königreich verlässt die EU, Osteuropa bleibt außerhalb der Eurozone und vertritt politisch andere Ansichten als der Westen. Damit fällt die EU auf das alte kontinentale Westeuropa zurück – sagen die Recken der sechs Gründungsnationen und nehmen gerade noch Spanien, Portugal, Österreich und Skandinavien dazu. Man rückt in kleinerer Besetzung wieder näher zusammen.

Das bedeutet automatisch, dass Frankreichs Gewicht zunimmt. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez und in geringerem Maße der bisherige italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte unterstützten großteils Macrons Pläne. Macron hat die außenpolitisch notorisch unsicheren, führungslosen und ungeschickten Deutschen in der EU isoliert.

Das EU-Budget wird kommen

Mittlerweile wird klar, dass sich Merkel in einem zentralen Punkt verkalkuliert hat: Ein Budget für die Eurozone wird kommen. Zwar waren „einige Länder dagegen, aber wir haben die Tür geöffnet“, konstatierte jüngst der jubelnde französische Finanzminister Bruno Lemaire. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte den niederländischen Finanzminister Wopke Hoekstra gezwungen, einen Kompromiss zu akzeptieren.

Auch die Verschärfung der CO2-Emissionsanforderungen spielt Macron in die Hände: Frankreich produziert mit seinen Kernkraftwerken schon heute seinen Strom überwiegend CO2-neutral. Deutschland wird dagegen höchstwahrscheinlich Strafzahlungen leisten müssen; und Macron kann den Druck auf die frühere „Klimakanzlerin“ beliebig erhöhen, die angesichts des Wahlerfolgs der Grünen und der Klimabegeisterung der Deutschen ohnehin angreifbar geworden ist.

Macron versucht aber auch, den bestehenden Steuerwettbewerb zwischen den Ländern zugunsten der hohen französischen Abgabenlast zu beseitigen. Die Niederlande, Irland, Luxemburg und andere kleinere Länder sind zwar dagegen, aber immer neue „Panama Papers“ und Leaks über angebliche Steuerhinterziehungen bringen sie in die Defensive. Darüber hinaus wird es eine EU-Haftungsgemeinschaft, die sogenannte „Banken­union“, mit einer Garantie von bis zu 100.000 Euro für Sparer geben, ein alter französischer Wunsch. Da vor allem südeuropäische Banken in Konkurs­gefahr sind, zahlt Nordeuropa.

Primat der Politik

Vielleicht am wichtigsten für Macron ist, dass der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die französische Tradition des Primats der Politik über die Wirtschaft und den Glauben an die Heilkraft des Protektionismus über­ nommen hat. Das ist im Nachkriegs­deutschland geradezu revolutionär. Es ist eine Reaktion auf die widerstands­lose chinesische Übernahme des baye­rischen Roboterherstellers Kuka.

Macron fordert eine europäische Ab­wehrfront, will deutsche und franzö­sische Unternehmen fusionieren, um sie zu globalen Akteuren zu formen. So durfte die französische PSA den formal amerikanischen, mit seinen Fabriken aber fast rein deutschen Wettbewerber Opel kaufen. Merkel und Macron wol­len, dass die Eisenbahn­-Abteilungen der deutschen Siemens und der fran­zösischen Alstom zusammengelegt werden, und Trumps Slogan „Ameri­ca First“ wurde von Macron informell übernommen: „Europe First“ – mit Frankreich als Fahnenträger.

Jedes Mal wenn Macron innerhalb der EU nicht zurechtkommt, gibt es im­mer noch zwei Routen. Erstens: einen Alleingang. Eine Steuer auf Flugtickets, eine Steuer auf amerikanische Techno­logieunternehmen. Ist er auf EU­-Ebene nicht erfolgreich, führt er sie einseitig ein. Nach Trump, Putin, Modi und Xi Jinping stellte auch er im Juli eine Ver­teidigungstruppe für den Weltraum auf. Laut Macron sind 260 Mitarbeiter in der Hightechstadt Toulouse statio­niert, um „die Autonomie Frankreichs
im Weltraum zu verteidigen“ – zum Ärger von Merkel, die eigentlich auf EU­-Ebene operieren will. Aber das dau­ert Macron zu lang, und zudem will er mit dem Alleingang die französische militärische Dominanz auf dem euro­päischen Kontinent stärken. Ein souve­ränes Europa braucht die militärische Stärke Frankreichs, lautet die unzwei­deutige Botschaft.

Führung durch Handeln ist das Mot­to von Macron. Der andere Weg führt über ein Europa der zwei Geschwin­digkeiten oder sogenannte Koalitionen der Willigen – manchmal sogar außer­halb der EU. Auf der Parade in Paris am 14. Juli marschierten auch Truppen aus acht anderen EU-­Ländern mit, die seit 2018 auf Initiative Macrons eine Euro­päische Interventionsinitiative (EII) bil­den. Die Europäische Verteidigungsge­meinschaft, die de Gaulle bereits wollte, bringt Macron in Schwung; selbst fuß­lahme Bundeswehrsoldaten durften mitlaufen.

Der niederländische Pilot Guido, der während der Parade mit einer F­16 über Paris donnerte, notierte: „Die Tribüne mit Präsident Macron war direkt un­ter der Nase des Kampfjets.“ Apropos Kampfjets: Frankreich baut ein neues europäisches Kampfflugzeug, bei dem es die technologische Führung über­ nimmt, Deutschland den Löwenanteil bezahlen darf und Spanien mitbastelt.

Macrons Truppen sind bereit

Der sichtbarste Triumph Macrons ist jedoch, dass er die Französin und Ex­-Ministerin Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentral­bank durchsetzen konnte, dazu die gleichermaßen gefällige wie schwache Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU­-Kommission und den Belgier Charles Michel als Ratspräsidenten. Alle drei teilen Macrons Ideen, alle drei sprechen Französisch und werden hel­fen, Englisch als Sprache der EU wieder zu verdrängen. Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra be­sucht bereits brav einen Kurs, um sein Französisch aufzupolieren. Auch, da­ mit er mehr als nur „non“ sagen kann bei Forderungen nach mehr Transfers nach Südeuropa. Er wird einsam damit sein: Bundeskanzlerin Merkel ist längst politisch so geschwächt und steht un­ter dem Druck der SPD, dass sie die Macron­-Agenda mittlerweile weitge­hend durchwinkt.

Ebenfalls nicht unwichtig: Macron hat es geschafft, das EU-Parlament unter Kontrolle zu bringen. Das von den Deutschen beförderte Spit­zenkandidatensystem wurde von ihm wie mit der Guillotine geköpft. Und Macrons Partei spielt als größte Grup­pierung innerhalb der linksliberalen Fraktion eine zentrale Rolle. Bisher war das Parlament durch die weitgehende Einigkeit von CDU/CSU und SPD eher ein deutscher als ein französischer Machtblock.

Einer von Macrons Vorgängern, Valéry Giscard d’Estaing, hatte dies bei den ersten Parlamentswahlen 1979 sehr gut verstanden. Aus Angst vor übermäßigem deutschem Einfluss auf das Parlament forderte er damals er­folgreich, dass die Kontrolle aller Ent­scheidungen bei den Regierungschefs bleiben solle. Macron hat nun auch das EU­-Parlament im Griff.

Frankreich hat eine uralte politische Kultur, die auf gloriosen Entwürfen ba­siert. Zum Beispiel zeigt der Franzose Michel Barnier, EU­-Verhandlungsfüh­rer für den Brexit, keine Flexibilität ge­genüber Großbritannien, was Merkel är­gert. Sie möchte die engen Beziehungen auch nach dem Brexit aufrechterhalten. Doch dafür ist im französischen Modell kein Platz; Merkel ist längst isoliert.

Macron hat noch zweieinhalb Jahre bis zur nächsten Präsidentschaftswahl. Sie soll ihn als modernen Kaiser bestätigen. Der französische Philosoph Eric Zem­mour drückte es so aus: „Mit dem Han­del der Benelux-­Staaten, der Industrie der Deutschen und Norditaliener sind wir (Frankreich) eine Weltmacht.“

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