Tichys Einblick
Dr. Donald und Mr. Trump

Die USA, die Politik und gespaltene Persönlichkeiten

Der US-Präsident lenkt unseren Blick auf lauter gespaltene Persönlichkeiten: auf sich selbst, auf die Amerikaner, auf die Europäer, auf uns Deutsche. Es könnte heilsam sein, all die Widersprüche zu erkennen – aber dazu muss man sie aushalten.

Jim Watson/AFP/Getty Images

„Mit jedem Tage, sowohl vom Standpunkte der Moral als der Vernunft, näherte ich mich der unumstößlichen Wahrheit (…): dass der Mensch nicht aus einem, sondern in Wirklichkeit aus zwei Wesen besteht.“
(Robert Stevenson – „Der seltsame Fall des Doktor Jekyll und des Herrn Hyde“)

Donald Trump macht es niemandem leicht.

Seinen Gegnern sowieso nicht – aber auch seinen Anhängern beschert er immer wieder gemischte Gefühle. Klar, es gibt die tausendprozentigen Trump-Fans, die auch dann noch unverbrüchlich zu ihm stehen würden, wenn er öffentlich kleine Kinder äße. Und es gibt die vernagelten Trump-Hasser, die sich auch dann noch vor ihm ekeln würden, wenn er sein gesamtes Vermögen der Wohlfahrt spendete.

Beide Extreme sind – wie alle Extreme – nicht wirklich hilfreich. Für halbwegs nüchterne und neutrale Beobachter gilt: Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika entzieht sich jeder eindeutigen Bewertung.

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Einerseits: der amerikanische Samson in Chinas Löwengrube. Trump stemmt sich gegen den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch einer skrupellosen, staatskapitalistischen Diktatur. Er verfolgt eine nachvollziehbare (und – anders, als seine Feinde behaupten – auch keineswegs irrationale) Politik, die verhindern soll, dass Peking weiterhin dank aggressivster Praktiken und westlicher Blauäugigkeit weltwirtschaftliche Geländegewinne erzielt.

Andererseits: der Verräter treuer Verbündeter. Trump lässt erst die Kurden in Nordsyrien die blutige Drecksarbeit gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ machen – und wirft sie dann Erdogan zum Fraß vor, ohne mit der Wimper zu zucken.

Einerseits: das Bollwerk gegen die Politische Korrektheit. Trump macht dieses elende Das-darfst-du-nicht-sagen-Spiel einfach nicht mit. Er ist damit einer der Wenigen im Westen, der sich der schleichenden Erosion der Rede- und Meinungsfreiheit entgegenstellt. Das hat positive Auswirkungen bis über den Großen Teich, bis zu uns.

Andererseits: das chauvinistische Großmaul. Trump führt sich regelmäßig auf wie ein unterbelichteter Schulhofschläger. Politisch unkorrekt zu formulieren, ist eine Sache – schlicht sexistisch und rassistisch zu reden, ist etwas ganz Anderes. Aggressive Respektlosigkeit ist keine unkonventionelle Tugend. Stil ist nicht das andere Ende des Besens.

Einerseits: der Enthüller demokratischer Heuchelei. Trump hat der Welt vorgeführt, mit welcher Verachtung Hillary Clinton in Wahrheit auf die einfachen Leute herabschaut und wie selbstherrlich sie meint, Regeln und Gesetze umgehen zu können. Dank Trump wird allmählich auch klar, dass unter einer vermeintlich sauberen demokratischen Regierung recht unsaubere Geschäfte ganz in der Nähe zu politischer Korruption vorkamen: Joe Biden hat wohl ebenfalls ziemlich konsequent US-Außenpolitik für Familieninteressen eingesetzt.

Andererseits: der korrupte Lügner. Trump sagt so oft (und so erbärmlich plump) die Unwahrheit, dass es eigentlich nur noch pathologisch zu erklären ist. Er wollte allen Ernstes einen internationalen Gipfel im eigenen Resort abhalten. Selbst altgediente Republikaner beklagen, das Trump-Hotel in Washington sei im Prinzip eine amtliche Anlaufstelle für Korruption: Wer dort eine Etage miete, bekomme einen Termin beim Präsidenten. Sagen wir mal so: Selbstloser Verfassungspatriotismus ist ganz offensichtlich nicht Trumps Kernkompetenz.

Es gäbe noch viel, viel mehr Dinge, die man gegen Donald Trump ins Feld führen könnte. Und genauso viele für ihn.

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Die politisch wie persönlich also irgendwo zwischen zwiespältig und schizophren oszillierende Figur „Donald Trump“ fordert dem Beobachter alles ab. Meinungsbildung mit herkömmlichen Methoden des rationalen Abwägens wird da schnell extrem anstrengend. Das verleitet hier und da zur Einseitigkeit – auch Journalisten und deren Publikum, sogar manche Leser von „Tichys Einblick“. Das zeigt sich in völlig atypisch wütenden und aggressiven Kommentaren unter Artikeln, in denen der US-Präsident zwar auch gelobt, aber nicht ausschließlich bejubelt wird.

Wer bei Trump differenziert, kommt schnell in Teufels Küche.

Wer sich trotzdem und ungeachtet politischer Sympathie oder Antipathie nicht dazu hinreißen lässt, sich selbst entweder nur als Fan oder nur als Feind des US-Präsidenten zu definieren, der ist womöglich offen für eine spannende Idee: Die Trumpsche Zwiespältigkeit ist nicht einzigartig.

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Die USA sind politisch schizophren. Amerika beklagt überall Korruption – und ist selbst korrupt: Kaum irgendwo kann man politische Entscheidungen so offen für Geld kaufen wie in den USA. Die US-Medien beklagen sich über Trumps Angriffe auf die Medien – und verraten selbst alle journalistischen Grundsätze: CNN, die Washington Post, die New York Times und Fox News sind bessere (manchmal auch schlechtere) Parteiorgane. Die US-Wirtschaft beklagt chinesische Politik – und wirft sich vor China in den Staub: Apple ist gegen Strafzölle, die sind zwar gut fürs Land, kosten den Konzern aber Geld; die Basketball-Liga NBA inszeniert sich als Hort der Freiheit, bestraft aber harmlose Unterstützungsadressen für die Unabhängigkeitsbewegung in Hong Kong.

Politische Schizophrenie auch in Europa: Man beklagt wortreich US-Zölle auf europäische Autos – erhebt selbst aber noch höhere Zölle auf US-Autos. Europa beklagt die US-Klimapolitik – und ignoriert seit Jahren praktisch alle selbstgesteckten Ziele in diesem Bereich. Europa beklagt die außenpolitische Unzuverlässigkeit der USA – und bricht selbst eiskalt einstmals hochheilige Versprechen an Albanien und Nord-Mazedonien.

Die Meister der politischen Schizophrenie sitzen freilich in Deutschland. Wir beklagen den „militaristischen US-Imperialismus“ – und rufen dann nach US-Truppen in Syrien. Wir beklagen den US-Führungsanspruch in der NATO – und verweigern unseren eigenen angemessenen (und zugesagten) Beitrag. Wir beklagen eine angebliche Verrohung der politischen Kultur durch Trump – und sehen bei uns selbst achselzuckend der kaltlächelnden Demontage der Meinungsfreiheit zu (Lucke, Lindner, de Maizière, …).

Ja, Donald Trump ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde: ein Held und ein Schurke. Er ist sympathisch und unerträglich. Seine Politik ist gut und schlecht. Aber er ist damit als Person so wie insgesamt Amerika, wie Europa, wie Deutschland.

Die Welt ist eben schwarz und weiß – und auch noch grau.

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Wenn überall Widersprüche sind, dann hilft es niemandem, nur eine Sichtweise zuzulassen und alles andere zu verdammen. Freunde sind eben nicht immer nur Freunde – Feinde nicht immer nur Feinde. Mit blinder Gefolgschaft und intellektueller Einseitigkeit wird nichts besser – nicht in den USA, nicht in Europa, nicht in Deutschland.

Und wenn es nur diese Einsicht wäre, die nach Donald Trump übrig bliebe – dann hätte sich seine Präsidentschaft alleine dafür schon gelohnt.

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