Vorweg die aktuellen News zum Syrienkonflikt und zur Lage der syrischen Asylbewerber bei uns: Vor einigen Wochen hat Syriens Präsident Assad eine Generalamnestie erlassen, für alle, die sich vor dem Kriegsdienst gedrückt haben und sich stattdessen ins Ausland abgesetzt hatten, und das sind nicht wenige. Die meisten fanden ihren Weg nach Deutschland, junge, wehrfähige Männer.
Von der Amnestie ausgenommen allerdings sind jene, die Verbrechen begangen oder sich dem Gegner, dem IS, angeschlossen haben. Nicht wenige von ihnen haben sich im Flüchtlingsstrom ebenfalls in Deutschland eingefunden. Damit blieben uns, eine Rückkehr aller Gutwilligen in die Heimat vorausgesetzt, die harten und kompromisslosen Islamisten.
Mittlerweile fordert auch die Kandidatin um den CDU-Parteivorsitz Annegret Kramp- Karrenbauer eine Rückkehr der Syrienflüchtlinge in das zum größten Teil befriedete Land. Und sie hat recht, zum Wiederaufbau braucht Syrien all die jungen kräftigen Männer, die nach Deutschland geflohen sind. Ich habe mich selber davon ins Bild setzen lassen, vor Ort.
Vor einigen Wochen erreichte mich die Einladung des Patriarchen der syrisch-melkitischen Katholiken, um das „Fest der Kreuzes-Erhebung“ im aramäischen Maalula mit ihm zu feiern. Ich folgte dieser Einladung mit großer Neugier und gegen die Proteste meiner Ehefrau, die um mich Angst hatte.
Es sollte ein Trip voller Überraschungen werden. Hier meine Erlebnisse.
Zunächst die Grenze: Da sind diese stechenden, nah beieinander liegenden Augen im schmalen Schädel, die hohe Stirn, das Bärtchen unter der Nase. Die Augen verfolgen dich schon in der Grenzbaracke zwei Autostunden von Beirut, mitternachts, und noch weißt du nicht, bei allem, was du über ihn gelesen hast, wann dieses Gesicht schrecklicher wirkt, wenn es ernst blickt oder wenn es lächelt: Doch eines, das werden uns der Patriarch und viele andere berichten, haben diese ernsten Augen auch überwacht: die Sicherheit der Christen und anderer Minderheiten im Lande.
Willkommen in Baschar Al-Assads Syrien. Ein Gruselfilm?
Nein, eine Pilgerreise! Wir wissen, dass der Angriff auf die Terroristen in Idlib im Norden unmittelbar bevorsteht, wo die schwarzen IS-Horden nach 7-jähriger Besetzung und Zivilistenquälerei ihren letzten Unterstand gefunden haben und sich geschworen haben, „bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen“, wie ein Al Quaida Sprecher gerade versicherte.
Aber wir haben uns das Datum nicht ausgesucht, der Anlass liegt 1700 Jahre zurück – damals war Helena, die christliche Frau Konstantins, sicher, dass sie das Kreuz Jesu gefunden hatte, worauf sich die Jubelnachricht durch den ganzen christlichen Orient buchstäblich wie ein Lauffeuer verbreitete – von Gipfel zu Gipfel wurde mit großen Feuern gefeiert.
Und seitdem bis heute. Immer am 14.September im syrischen Maalula.
Maalula. Ein Teil Galiläas, Jesus mag seinen Fuß hierhergesetzt haben, der Apostel Paulus hat hier gewirkt, seine Schülerin Thekla ist Schutzpatronin dieses geschützten Gebirgstals, in dem man immer noch aramäisch spricht, die Sprache Jesu. Maalula: Die Wiege der Christenheit. Eine solche Reise werde ich mir als Katholik doch nicht entgehen lassen.
Wir, das sind Abdo Haddad, der Assistant des Patriarchen, sowie Jan und Eva von „Kirche in Not“ in Polen, das italienische katholische Hippie-Pärchen Stefano und Roberta, er der Typ Roberto Begnini, sie eine rassige Schwarzlockige aus einem neorealistischen Film, dazu der Identitäre Sebastian Zeilinger mit seinem Kumpel. Zeilinger hat ein, nein, nicht von der IS, sondern von deutschen Vandalen umgeholztes Kreuz in den bayrischen Bergen eigenhändig ersetzt und hochgeschleppt. „Wozu brauchen wir überhaupt Gipfelkreuze“, fragte die SZ höhnisch. Die Kreuzfrage stellt sich in Syrien, in Deutschland auch, aber anders.
„Wozu Kreuze“ fragte sich eigentlich die ganze deutsche Amtskirche, deren Kardinal Marx sein Kreuz versteckte, um die muslimischen Gastgeber auf dem Tempelberg in Jerusalem nicht zu verstören. Das Kreuz der Christen und ihre Qual kam in den Jahren des islamischen Gemetzels an ihnen eher selten in den Predigten bei uns vor. Wohl aber, paradoxerweise, das Leiden der Flüchtlinge im deutschen Wohlfahrtsstaat, unter die sich nicht wenige IS-Kämper gemischt hatten.
Lieber stellte sich Kardinal Woelki in ein Flüchtlingsboot, um in einem theatralischen Jesus-Stunt wie auf dem See Genezareth Sanftheit und Verständnis zu predigen, besonders im Umgang mit jenen islamischen Bodybuildern, die in der Silvesternacht auf seiner Domplatte Jagd auf Frauen machten.
Nun, die deutsche Kirche hat ohnehin ausgespielt als moralische und bekennende Autorität, sie ist ein ideologischer, staatlich gefütterter Karneval-Verein, der gerade dabei ist, in seinem Missbrauchssumpf zu versinken, nicht ohne über seinen Ältestenrat, den sogenannten Zentralrat der Katholiken (ZdK), die erprobten Warnungen vor der AfD auszusprechen, kaum noch brauchbar, auch nicht als Entlastung für Kanzlerin Merkel und ihre autoritäre Entgrenzungspolitik, die auf zunehmende Widerstände bei den Wählern stößt.
Ich meine, wer nimmt noch eine Kirche mit einem immerhin 2000-jährigen Kult ernst, wenn es die Priester selber nicht mehr tun, wie jener im Ruhrgebiet, der aus Protest gegen diese Oppositionspartei am Altar im Kopftuch zelebrierte?
Wir schlafen in einem Kloster 500 m von der einstigen Frontlinie entfernt, hören beim Frühstück mit Fladenbrot und Oliven das Lachen und die fröhlich leiernden Wiederholungen der ABC-Schüler durchs offene Fenster, durch einen Limonenbaum schaut uns die Büste des Gründerpatriarchen zu.
Damaskus‘ Altstadt hinter dem Bab Sharqi liegt friedlich in der Morgensonne, die Motorengeräusche der Vespas und Taxis verebben hier im Christenviertel, der Bäcker schiebt frische Fladenbrote aufs Auslagebrett, in den Gesichtern liegt müde Entspanntheit, wir wollen hin zum Haus des Hananias, in dem Paulus sein Augenlicht wiedergewann, nachdem er vor Damaskus geblendet von seiner Jesus-Vision vom Pferd gestürzt war.
Auf dem Weg treffen wir Jorge, einen blassen Ästheten mit Kinnbart, eine Tschechow-Figur, am Tor seines kleinen Riad, eines Stadtpalais mit Innengarten, er betrieb eine Brokat- und Teppich- und Kunst-Handwerk-Fabrik. Sein Stadtpalais, erklärt Jorge einschränkend in unsere Bewunderung hinein, sei erst seit 1730 im Familienbesitz. Erst?! Historische Zeit wird hier mit anderem Atem bemessen.
Kleiner Brunnen mit Bäumchen im Innenhof, Tee wird serviert, schwerfällig bewegt sich eine Schildkröte über die Marmorfliesen, sie hebt den Kopf und von einem Balkon oben ertönt das Kläffen eines kleinen weißen Hundes. „Die beiden sind verliebt“, erklärt Jorge lachend, und tatsächlich kommt der Kleine kurz darauf schwanzwedelnd zum Schnüffeln runter.
Na bitte, geht doch alles in einem geordneten polyreligiösen Gemisch, selbst die Arten hier verstehen sich untereinander.
„Früher hat es niemanden interessiert, welcher Religion du angehörtest, Shiiten, Sunniten, Drusen, Christen, Assad ist Alawit, er hat seine Hände über alle gehalten.“ Zigaretten werden gereicht, Paffen ist hier eine schöne würdige Gastgebertradition.
Der Innenhof hat der Bombardierung standgehalten, die Mauern, die ihn umgeben, sind meterdick. „Man wusste nie, wenn man ausging, ob man zurückkehren würde.“ Doch diese Stadt, soviel ist spürbar, hat keine Angst mehr.
Am Ende der Straße ein Gebäude aus weißem strahlenden Sandstein hinter schwarzem Gitter, ein Relief zeigt die Taufe des bekehrten Christenjägers Shaul.
Im Souvenirshop über der ebenfalls bombardierten Kirchen-Katakombe, der ältesten der Christenheit, eine laminierte Karte, und die zeigt die unmittelbare Konsequenz der Konversion: die Reisen des Völkerapostels aus Antiochien nach Jerusalem hin- und her, und dann eine Explosion aus Punkten und Strichen, aus Land- und Seereisen, Ephesus, Kolossa, Korinth, Athen, den Gottessohn verkünden, schließlich Kreta, Syracus, das Weltreich unter drei Kaisern, der Märtyrertod in Rom unter Nero.
„Dreimal schiffbrüchig, fünfmal ausgepeitscht, gesteinigt, verhöhnt, ständig in Gefahr durch Räuber und falsche Freunde, dazu in Sorge um die Gemeinden“. Dieser Mann brannte, weil er eine Wahrheit gesehen hatte, die unter die Menschen musste, egal, was die Jupiter- oder Bacchusgläubigen damals davon hielten.
Natürlich zwischendurch Blicke auf die Heimatfront in den Smartphones, einem rundum abgesicherte Gebiet, in dem die Moral hochgehalten wird wie anderswo trotzig das Kreuz.
Am nächsten Morgen das erhoffte Gespräch mit Yousseff Absi, dem melkitischen Patriarchen von Antiochien und dem ganzen Orient, Oberhaupt der melkitischen Griechisch-Katholischen Kirche, die mit Rom uniert ist.
Youssef I. also, graue Haare, silberne Brille, auf der Brust eine Jesus-Ikone, seit vierzig Jahren Priester, seit siebzehn Bischof, seine lächelnde Kultiviertheit vermag den Ärger über die sogenannten Christen im Westen kaum verhehlen.
„Ihr Volk wird belogen über die Zustände hier“, sagt er, „die sogenannten moderaten Rebellen unterscheiden sich kaum von den Kopfabschneidern des IS.“
Er lässt Tee reichen. Auch er hat von dem Familienvater in Chemnitz gehört, der von einem Syrer erschlagen wurde. Und er kann nicht verstehen, dass die deutsche Regierung unterschiedslos jeden Syrer als Flüchtling über die Grenze lässt. „Es gibt bei uns gute und schlechte Menschen, wie überall auf der Welt“.
Besonders empört ihn, dass die deutschen Bischöfe auf das Leiden der syrischen Katholiken in ihren Predigten kaum eingingen, dafür aber ständig Toleranz von den deutschen Gläubigen forderten für ausnahmslos alle, die behaupteten, aus Syrien zu stammen. „Sie unterschlagen, dass kaum einer von ihnen von Assad verfolgt wurde, sofern sie nicht dem IS angehörten.“
Er erteilt mir seinen Segen, für ihn eine Deutschlandreise zu organisieren. „Ich möchte unsere syrischen Schwestern und Brüder auffordern, zurückzukommen, und sich am Wieder-Aufbau unseres Landes zu beteiligen.“
Seine Mahnungen an unsere deutschen Katholiken erinnern sehr an die seines irakischen Amtskollegen, des Bischofs von Mossul Amel Shimon Nona, der anlässlich eines Besuchs im prächtigen Kölner Dom schon vor drei Jahren sagte: „Unser heutiges Leiden ist ein Vorgeschmack darauf, was ihr Europäer und Christen in naher Zukunft erleiden werdet. Ich habe mein Bistum verloren. Die Räumlichkeiten meines Apostolates wurden von islamistischen Radikalen besetzt, die uns entweder konvertiert oder tot sehen wollen. Doch meine Gemeinde ist noch am Leben.“
Und er fügte Warnungen hinzu, der Art, die dem muslimfreundlichen Kölner Kardinal Woelki ganz bestimmt nicht gefallen haben dürfte: „Bitte versucht uns zu verstehen. Eure liberalen demokratischen Prinzipien sind hier nichts wert. Ihr müsst die Realität im Nahen Osten bedenken, denn Ihr heißt eine stetig wachsende Anzahl von Muslimen in Euren Ländern willkommen. Doch auch Ihr seid in Gefahr. Ihr müsst feste und mutige Entscheidungen treffen, auch um den Preis, Euren Prinzipien zu widersprechen.“
Immerhin, die Basilika des Patriarchen Youssef I. konnte auch dank der kämpfenden Christen und der syrischen Streitkräfte unversehrt erhalten werden. Aber auch er berichtet über Granaten, in den Ess-Saal gegenüber schlug eine ein, hundert Priester waren dort versammelt, ein Assistent bringt das Mordsstück herbei, im gebrochenen Metallmantel haben sich offenbar Samen eingenistet, kleine Blümchen sprießen hervor.
„Natürlich muss Idlib befreit werden“, sagt er. „Für die Zivilbevölkerung sind Flucht-Korridore eingerichtet worden.“
Anschließend zeigt uns Bruder Christopher noch die Kathedrale mit der uralten Ikone von Mariä Himmelfahrt, großartige Akustik, ich soll die Kanzel testen, die sich in einer Spirale um eine Säule nach oben windet.
Schöner als eine Bierkiste am Bahnhof, denke ich mir, ergreife die stilisierten Holzärmchen an der Rostra, beuge mich hinunter und gefalle mir als Prediger, als Mahner in der Wüste des deutschen Gewissens und des deutschen Halbwissens. Ich beschwöre eine unsichtbare Gemeinde: schreibt unserer Regierung, dass die syrischen Christen ihre Landsleute zum Wieder-Aufbau brauchen, ich gerate in Fahrt, lauter nun: und übrigens, was den Papst angeht, der wiedermal sehr allgemein und öffentlich um Frieden betete, das alles ohne ein einziges Mal die islamistischen Terroristen zu erwähnen – er sollte sich besser zu den Skandalen in seiner Heimatdiözese erklären!
Der Papst nämlich, der sonst eher redselig ist, schweigt in diesem Punkt. Schweigt vernehmbar zu allen Anschuldigungen. Irgendein jesuitisches Schlitzohr hatte das jüngst mit den „ignatianischen Exerzitien“ begründet.
Nach dem Besuch beim Patriarchen bummeln wir durch den lebendigen Bazar dieser geschunden Stadt hinter der gewaltigen Ummayyaden-Moschee, fahren hinaus zu einer „Internationalen Messe“, die unweit von Al Gouta liegt, das 2013 einem Giftgasanschlag mit rund 1.000 Toten zum Opfer fiel. Jener Anschlag, für welchen Assad verantwortlich gemacht wurde, um Präsident Obama zu einem militärischen Gegenschlag zu bewegen. Die Westpresse übernahm nahezu geschlossen die Vermutung, dass der Diktator dahinterstecke. Allerdings verdichteten sich schnell die Anzeichen dafür, dass es Dschihadisten waren, die diesen Massenmord, der mit Sarin aus der Türkei verübt wurde, nutzen wollten, um Assad zu treffen.
Mittlerweile hat der langjährige Nahost-Korrespondent der Zeit Michael Lüders all das in dem Buch „Die den Sturm ernten: Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“ (C.H.Beck-Verlag) gründlich recherchiert und so spannend aufgeschrieben wie einen Krimi. Doch nach wie vor halten die westlichen Medien an der Lüge einer „moderaten“ Opposition gegen Assad fest – die es sicher auch gab, die aber längst von den Dschihadisten einverleibt wurde – und sie ignorieren das Spiel der Amerikaner und der Türken um Einfluss in der Region komplett.
Ausgebrannte Panzer, Zerbombte Häuser in einem nahen Luna-Park, in den sich die ersten Damaszener wieder, zwischen Wänden mit Einschusslöchern im Restaurant, der kleinen Springbrunnen im Garten erfreuen. Al Guta wurde erst vor einem halben Jahr wieder zurückerobert aus der Hand der „moderaten Rebellen“. Gleich gegenüber dem Eingang steht ein ausgebrannter Panzer, die grauenhafte Dekoration für ein Picknick, aber gleichzeitig auch das Denkmal für den Überlebenswillen einer kriegsgebeutelten Kultur-Nation, die eine der ältesten der Menschheitsgeschichte ist.
„In Saudi-Arabien ist jetzt das Autofahren für Frauen erlaubt worden“, sagt Abdo Haddad bei Tisch. Er lacht, und zeigt eine Abbildung auf seinem Handy herum. Eine Tonskulptur, ca. 5000 v.Chr. Eine Frau, die ein Ochsengespann führt. „Bei uns dürfen Frauen schon seit 7.000 Jahren ans Steuer!“
In Teil 2 erlebt der Autor das „Fest der Kreuzeserhebung“ in Maalula, das als lärmendes und jubelndes nächtliches christlichen Befreiungsfest aus brennenden Kreuzen gefeiert wurde.