Der Tod des Schwarzen George Floyd in Minneapolis sorgt weltweit für Entsetzen. Nachdem ihm ein Ladenbesitzer den Gebrauch von Falschgeld vorgeworfen hatte, wurde er von der Polizei verhaftet und zu Boden gestoßen. Ein weißer Beamter presste ihm das Knie für mehrere Minuten auf den Hals, bis Floyd ohnmächtig wurde. Er verstarb bald darauf im Krankenhaus.
In den USA kam es zu Ausschreitungen, bei denen bislang 21 Personen starben. Hunderte Personen wurden verletzt, zahlreiche Autos und Gebäude in Brand gesteckt. Auch in Europa gingen zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen den Rassismus in den USA und in ihren eigenen Ländern zu protestieren.
Den Demonstrationen liegt die Annahme zugrunde, dass Floyds Tötung nur Teil eines grundlegenden Missstands sei, nämlich des Rassismus innerhalb der US-amerikanischen Polizei, und dass diese weißen Kriminellen oder Verdächtigen gegenüber rücksichtsvoller und weniger brutal auftrete. Doch stimmt diese These?
In den vergangenen fünf Jahren starben in den USA die Weißen Joseph Hutcheson, Marcus Sexton und Tony Timpa. Polizisten hatten ihnen das Knie bei der Festnahme auf den Hals gepresst. Basierend auf den vom britischen Guardian aufgelisteten Fällen der Jahre 2015/16 kommt man bis zum Jahr 2020 auf etwa 50 Weiße, die infolge von Fixierungsmaßnahmen erstickten oder einen Herzstillstand erlitten.
Wie steht es um erschossene Personen?
Die Washington Post rief im Jahr 2015 eine Datenbank ins Leben, die alle Todesfälle durch Schusswaffengebrauch bei Polizeieinsätzen dokumentieren sollte. Die folgenden Tabellen und Grafiken beziehen sich auf diese Daten. (Eine Analyse der Jahre 2015 und 2016 wurde bereits hier veröffentlicht.) In den 5 Jahren von 2015-2019 erschoss die Polizei in den USA demnach insgesamt 4931 Personen.
Anmerkung: Wir verwenden im Folgenden den im amerikanischen Englisch gebräuchlichen und in offiziellen Statistiken verwendeten Begriff „Race“, übersetzt als „Rasse“. Ob der Begriff im Deutschen gerechtfertigt ist oder nicht, soll hier nicht erörtert werden. Die „Sonstigen“ sind meist Hawaiianer oder Personen mit Herkunft aus dem Nahen Osten.
Die absoluten Zahlen sind jedoch nicht aussagekräftig, wenn sie nicht in Relation zur Bevölkerungsverteilung gesehen werden. Im Zeitraum von 2015-2019 sank der Anteil der Weißen an der amerikanischen Bevölkerung, während der Anteil der Nicht-Weißen anstieg. Als Vergleichsmaßstab wird daher die Bevölkerungsverteilung im Jahr 2017 – die genau in der Mitte liegt – gewählt.
Bevölkerungsverteilung
Demnach setzt sich die US-Bevölkerung wie folgt zusammen:
Damit lässt sich für jede Race die Todesrate pro 1 Million Einwohner berechnen:
Da die Sonstigen nur schwer zu definieren sind und nicht immer einheitlich statistisch erfasst werden, werden sie in dieser Berechnung nicht aufgeführt.
Die meisten von Polizisten Erschossenen waren bewaffnet. Hierfür finden sich folgende Angaben:
Sonstige Waffen umfassen meist Schlaggegenstände (Baseballschläger, Hämmer, Metallrohre, -stangen), andere spitze Gegenstände (Schwerter, Macheten, Äxte, in Einzelfällen auch Kettensägen) aber auch Armbrüste (9 Fälle).
Schwarze werden also von der Polizei mit etwa 2,45-fach höherer Rate erschossen als Weiße. Hispanics werden mit 1,25-fach höherer Rate nur geringfügig häufiger erschossen als Weiße, die wiederum 2,95-fach häufiger als Asiaten erschossen werden.
Ist die Polizei also gegenüber Weißen rassistischer als gegenüber Asiaten? Natürlich nicht!
Die amerikanische Polizei erschießt in den meisten Fällen Kriminelle oder Verdächtige. Und deren Anteil ist in der schwarzen Bevölkerung höher als bei den Weißen, die wiederum häufiger kriminell sind als Asiaten.
Kriminalitätsraten
Schwarze sind im US-Justizsystem 5,1-fach häufiger inhaftiert. Ein anderer Indikator ist die Rasse von Polizistenmördern. Von 2009 bis 2018 töteten 302 Weiße und 201 Schwarze Polizisten. Die Rate der Schwarzen beträgt also auf die Anteile an der Gesamtbevölkerung umgerechnet das 3,9-fache der Rate der Weißen. (Die FBI-Statistik fasst Weiße und weiße Hispanics zusammen, sodass für die Berechnung der weiße Bevölkerungsanteil von 77,6% statt des nicht-hispanischen weißen Bevölkerungsanteils von 62,5% aus dem Jahr 2013 angenommen wurde.)
Altersstruktur
Aus der Tatsache, dass die Polizei unter Schwarzen anteilig mehr junge Männer erschießt als unter Weißen, wird von den Medien oft geschlussfolgert, dass die Polizei junge, schwarze Männer als besonders gefährlich wahrnimmt. Aber zum einen ist der Anteil der jungen Männer unter schwarzen Amerikanern höher als unter weißen und zum anderen sind Männer unter 30 überall die am häufigsten kriminelle demographische Gruppe. Stellen sie einen größeren Teil unter den erschossenen Schwarzen, legt dies nahe, dass Kriminalität und nicht Rassismus Ursache für die vielen Toten ist. Würde die Polizei willkürlich Schwarze erschießen, würden Kinder, Alte und Frauen einen größeren Anteil unter den Erschossenen ausmachen.
So sind 543 erschossene Schwarze (46,2%) unter 30 Jahre alt, hingegen nur 561 der erschossenen Weißen (25,2%). In der US-Bevölkerung sind 15,0% aller Schwarzen zwischen 20 und 30 Jahren alt, hingegen nur 12,6% der Weißen.
46 der erschossenen Schwarzen sind weiblich (3,9% ±0,25%), hingegen 122 der erschossenen Weißen (5,5% ±0,43%). Dieser Unterschied ist zwar klein, aber signifikant (d.h. keine Zufallsschwankung).
38 erschossene Schwarze (3,2% ±0,24%) trugen eine Waffenattrappe mit sich, hingegen 99 erschossene Weiße (4,4% ±0,39%). Die These, die Polizei würde einen Schwarzen mit einer (ungefährlichen) Waffenattrappe eher als Gefahr einstufen als einen Weißen, erscheint damit ziemlich fragwürdig. (Um diese Frage zu klären, müsste aber feststehen, ob Weiße häufiger eine Waffenattrappe bei sich tragen.)
Gefährliche Täter
Waffenattrappen, wie beispielsweise Airsoft-Waffen, sehen täuschend echt aus, verfügen jedoch meist über eine farbliche Markierung, um sie sofort als Fälschung zu offenbaren. Wird diese Markierung übermalt, lässt sich kein Unterschied zum Original mehr feststellen. In den meisten Fällen wurden die Waffenattrappen bei Raubüberfällen benutzt, um die Opfer einzuschüchtern. Es ist daher nur verständlich, dass die Polizei eine reale Gefährdungssituation annahm.
103 von der Polizei Erschossene saßen in einem Fahrzeug, als sie erschossen wurden. In den meisten Fällen hatten sie sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert. Einige der Erschossenen hatten versucht, Polizisten zu überfahren oder Polizeiautos zu rammen. Andere Personen wurden erschossen, nachdem sie während einer Verkehrskontrolle das Fahrzeug gestartet hatten und die Polizisten befürchteten, vom Auto mitgeschleift zu werden, weil sie sich in die Fahrerkabine hinein gebeugt hatten.
Oft heißt es, die höhere Zahl unbewaffneter Schwarzer sei ein Beleg für Rassismus. Dazu sei angemerkt, dass unbewaffnet nicht unbedingt ungefährlich bedeutet. Viele erschossene Personen hatten die Polizisten mit bloßen Händen attackiert. Immer wieder werden Polizisten erschossen, weil ihnen im Handgemenge die Dienstwaffe entrissen wurde. Andere unbewaffnete Personen wurden erschossen, nachdem sie sich unkooperativ verhielten. Ein Krimineller, der nicht augenblicklich den Anweisungen der Polizei folgt, riskiert eher, erschossen zu werden. Ein plötzlicher Griff in die Jackentasche oder das Handschuhfach könnte auch der Griff zur Waffe sein – schließlich sind Schusswaffen in den USA weit verbreitet.
Unschuldige Opfer?
Das erklärt aber nicht, warum unbewaffnete Schwarze häufiger erschossen werden als unbewaffnete Weiße. 104 erschossene Schwarze (8,9% ±0,40%) waren unbewaffnet, aber nur 126 erschossene Weiße (5,7% ±0,44%). Das Ungleichgewicht der von Polizisten erschossenen Schwarzen (insgesamt 2,45-fach häufiger als Weiße) erhöht sich bei den Unbewaffneten auf das 3,87-fache. Vermutet die Polizei also bei einem Schwarzen eher als bei einem Weißen, dass er jeden Augenblick eine Waffe ziehen könnte und schießt daher schneller? Möglich. Aber genauso wäre möglich, dass schwarze Verdächtige seltener eine Waffe bei sich tragen – also häufiger unbewaffnet sind. Auch ist möglich, dass schwarze Verdächtige sich häufiger unkooperativ verhalten als weiße – denn darauf deutet eine Analyse der Daten hin: Von den unbewaffneten Erschossenen hatten 46 Schwarze (44,2% ±0,25%) und 54 Weiße (42,8% ±0,29%) die Polizisten attackiert. Diese Werte sind etwa gleich hoch. Würde die Polizei unkooperative Schwarze häufiger erschießen, weil sie in ihnen eher eine Gefahr sieht, wäre der Anteil der attackierenden Schwarzen geringer als der der attackierenden Weißen.
Es scheint also, dass die US-Polizei unter vergleichbaren Umständen Weiße sogar häufiger erschießt als Schwarze. Denn die oben erwähnten Differenzen sind teils zu groß, um reine Zufallseffekte zu sein. Gibt es also einen Rassismus gegenüber Weißen? Natürlich nicht. Über die Ursache dieses Unterschieds lässt sich nur spekulieren. Peter Moskos, Kriminologe und ehemaliger Streifenpolizist vermutet, dass die Berufserfahrung der Beamten die entscheidende Rolle spielt: Geht ein Notruf aus einem als gefährlich bekannten, meist überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtteil ein, werden die fähigsten, erfahrenen Beamten losgeschickt. Zu einem Einsatz in einem von Weißen bewohnten Viertel werden auch Neulinge abkommandiert. Gerade die erfahrensten Beamten können auch in einer brenzligen Situation die Nerven bewahren und greifen seltener zur Waffe.
Gefälschte Beweise?
Die Verlässlichkeit der genannten statistischen Angaben über die Erschossenen wird oft infrage gestellt. Schließlich hat man schon mehrfach in Hollywood-Filmen gesehen, wie Polizisten einem Unschuldigen eine Waffe und einen Drogenbeutel unterjubeln. So wird im Handumdrehen aus einem gesetzestreuen Bürger ein gefährlicher Dealer.
Tatsächlich ist möglich, dass sich derartige Einzelfälle ereignet haben, doch lässt sich wohl ausschließen, dass systematisch eine solche Manipulation erfolgt. Angenommen, derartige Manipulationen ließen sich nachweisen, hieße das nicht, dass man mit diesem Vorgehen Rassismus vertuschen wollte – womöglich wurde die betroffene Person nur versehentlich erschossen. Außerdem müsste man nachweisen, dass derartige Manipulationen nicht nur schwarze Personen betreffen, sondern zudem weiße Personen nicht betreffen.
Auch fällt auf, dass nicht in einem einzigen Fall gezeigt werden konnte, dass einer der 1.175 erschossenen Schwarzen nachträglich durch gefälschte Beweise zum Kriminellen umstilisiert wurde. Der Verweis darauf, dass dies nur zeige, wie perfekt die Manipulationen seien, ist nicht sehr überzeugend. So wurde beispielsweise öffentlich, dass die US-Regierung manipulierte Beweise verwendete, um die Invasion des Irak 2003 zu rechtfertigen. Ebenso wurden die Misshandlungen von Kriegsgefangenen in Guantanamo Bay und Abu Ghraib bekannt, die geheim bleiben sollten. Dass der durchschnittliche amerikanische Streifenpolizist besser im Vertuschen ist als Pentagon und CIA darf man bezweifeln.
Statistische Indizien
Zudem gibt es gute statistische Indizien, die diese These widerlegen. Würde die Polizei neben straffälligen Schwarzen bewusst auch unschuldige Schwarze erschießen, müssten sie in noch höherem Maße erschossen werden, als ohnehin schon. Denn wie oben gezeigt, liegt die Rate der erschossenen Schwarzen niedriger als es die Kriminalitätsstatistik vermuten ließe. Auch müssten dann auffällig viele erschossene Schwarze über keine Einträge im Vorstrafenregister verfügen. Dieser Umstand wird von der Statistik nicht erfasst, in fast allen Einzelfällen, die besondere Medienbeachtung erfuhren, waren die erschossenen Schwarzen aber bereits vorbestraft. Ein langjähriges Vorstrafenregister zu fälschen, ist zudem ungleich schwieriger, als einem Toten belastende Beweismittel unterzuschieben.
In mehreren Fällen liegen zudem Aufnahmen von Überwachungskameras oder der Bodycams der beteiligten Polizisten vor, die die Taten des Erschossenen beweisen. In anderen Fällen können Familienangehörige oder Nachbarn bestätigen, dass der Polizeieinsatz korrekt geschildert wurde.
Werden unliebsame Aufnahmen gelöscht oder fallen Bodycams „zufällig“ genau dann aus, wenn ein Schwarzer erschossen wurde? Die Daten sprechen eine andere Sprache. Von 180 erschossenen Schwarzen (15,3% ± 0,52%) liegen Videoaufnahmen vor, jedoch nur von 215 Weißen (9,6% ± 0,57%). In diesem Fall müsste der schwarze Anteil niedriger liegen, um einen Anfangsverdacht zu rechtfertigen.
Dealender Professor
Zudem entspricht auch der soziale Hintergrund der Erschossenen im Wesentlichen dem kriminellen Profil. Zwar wird dieser Umstand nicht statistisch erfasst, aber auch hier sprechen die Einzelfälle, die besondere Medienaufmerksamkeit erfuhren, eine deutliche Sprache. Würde die Polizei wahllos unschuldige Schwarze erschießen, würde es auch einen schwarzen Professor, Firmenbesitzer oder Chefarzt treffen. Und wer würde glauben, dass dieser Personenkreis sein üppiges Gehalt in der Freizeit durch das Dealen mit Drogen aufbessert?
Würde die Polizei erschossene Schwarze nachträglich mit einer Waffe versehen, müsste die Zahl der unbewaffneten schwarzen Toten unter der Zahl der unbewaffneten weißen Toten liegen – das Gegenteil ist der Fall. Zudem sind Schusswaffen in den USA oft auf ihren Träger registriert. Es müsste sich also zeigen lassen, dass bei erschossenen Schwarzen Registrierung und Waffe seltener übereinstimmen als bei erschossenen Weißen.
Für das kriminelle Profil der Erschossenen sprechen zudem, wie weiter oben beschrieben, Alter und Geschlecht.
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Besonderes emotionales Gewicht hatte der Fall des 12-jährigen schwarzen Jungen Tamir Rice, der 2014 erschossen wurde, als er in der Öffentlichkeit mit einer Airsoft-Waffe gespielt hatte. Rassismus als Motiv ist hier aber unwahrscheinlich. Der Polizist, der ihn tötete, galt als generell inkompetent und er hatte für den verletzten Rice noch einen Krankenwagen herbeigerufen. Zudem gibt es einen ähnlichen Fall, bei dem ein weißer Teenager erschossen wurde, weil eine Polizistin seinen Spielkonsolen-Controller mit einer Waffe verwechselt hatte.
Betrachtet man nur erschossene Kinder, stellt man fest: Die jüngsten Erschossenen im Datensample waren zwei weiße 6-jährige Jungen und ein weißes 12-jähriges Mädchen. Der jüngste erschossene Schwarze war ein 13-Jähriger, der bei einem Raubüberfall eine Waffen-Attrappe verwendet hatte.
Gänzlich Unverdächtige machen nur einen kleinen Bruchteil aller von der Polizei Erschossenen aus. Meist standen sie neben oder hinter einem Verdächtigen, auf den die Polizei das Feuer eröffnete. 2015 und 2016 wurden insgesamt drei unverdächtige Schwarze auf diese Weise erschossen, für die Jahre danach weist die Datenbank keine Kurzbeschreibungen der Fälle mehr auf. Ihre Zahl dürfte für den Gesamtzeitraum nicht zwölf übersteigen, d.h. unter einem Prozent liegen.
Fazit: Aus der Datenbank der Washington Post über Tötungen durch Polizeibeamte ergeben sich keine Ansatzpunkte für einen weit verbreiteten oder gar institutionalisierten Rassismus bei der US-Polizei.
Lukas Mihr