Tichys Einblick
Reisereportage Syrien Teil 2

Die Schlacht um Maalula

Im 2. Teil der Reisereportage nach Syrien eine Beschreibung über das „Fest der brennenden Kreuze“ im Bergnest Maalula, in dem Katholiken und Orthodoxe die Befreiung von den Todesschwadronen der Al-Nusra-Front feiern.

A general view shows a statue of the Virgin Mary overlooking the ancient Christian town of Maalula, 56 kilometers northeast of the Syrian capital Damascus, on May 6, 2016, two years after the battle for Maalula ended. The battle for Maalula lasted seven months, with the Syrian army finally expelling opposition forces, including Al-Qaeda affiliate Al-Nusra Front, in mid-April 2014.

STRINGER/AFP/Getty Images

Vor dem Aufbruch nach Maalula noch ein gemeinsames Essen im Restaurant Nadfa Alayam in der Altstadt von Damaskus, ein riesiger bepflanzter Raum mit Tonkrügen auf der Treppe, an einem langen Tisch vierzehn vergnügte Muslimas nur teilweise mit Kopftuch, drei rauchen Shisha, das alles ohne Ehemänner? Eine tolle schwarzhaarige Unverhängte lacht: „No husband, no cry“.

Zu uns stößt Derawan Ghouffran, eine 30-jährige Shiitin mit Kopftuch, großes Hallo mit den Italienern, man kennt sich vom letzten Frühjahr, da hatte eine am Boden zerstörte Derawan gerade ihre Schwester und deren kleinen Sohn in einem Bombenangriff der IS verloren, nun ist ihr Lachen zurück, nun endlich kommt Idlib dran, dann ist der IS-Spuk wohl vorbei. Prustend zeigt Ghouffran die Fotos der „Zivilbevölkerung“ von Idlib, eine lange Schautafel grimmiger bärtiger Kämpfergesichter.

Ghouffran lebt im Viertel der Christen, sie feiert mit ihnen Weihnachten. War alles normal, bis der Krieg der von den USA unterstützten „moderaten“ Rebellen begann.

Ja, wir im Westen haben Erfahrung mit Diktaturen im Nahen Osten und unseren Demokratie-Exporten. Allerdings sieht die Auswärtsbilanz doch eher bescheiden aus.

In Ägypten hatte sich nach Mubaraks Sturz um ein Haar die Muslimbruderschaft mit einem Gottesstaat per Wahlzettel an die Macht geputscht, in Libyen bekriegen sich nach Gaddafis Sturz grausame islamische Clans in einem failed state um Wüste und Ölfelder, im Irak meldete der junge Bush „mission accomplished” und gab mit Saddam Husseins Sturz den Startschuss zur Rekrutierung der schwarzen IS-Todesschwadronen, die bald mit erbeuteten amerikanischen Waffen, dem Knowhow verärgerter Saddam-Generäle und dem frühmittelalterlichen Irrsinn der Wahabiten zum Magneten für junge Radikale auch aus dem Westen wurden, die auch mal einen Kopf abschneiden wollten.

Aber wir aus dem Westen meinen es doch immer gut! Licht der Aufklärung, Kosmopolitentum und so. Wir rutschen auf unseren eigenen Halbwahrheiten aus, und unsere Leitartikler haben daran einen nicht geringen Anteil.

Mal waren die Potentaten Partner, mal waren sie es nicht, dann brüllte der Westen „Regime-Change“ und „Nationbuilding“, wir backen eine neue Demokratie, wie aufregend, CNN-Reporter und andere Haudegen in kugelsicheren Westen sind dabei, denn wir haben solide Werte und genaue Vorstellungen von einer idealen Welt, besonders wir Deutschen, besonders die deutschen Politiker im Bundestag, die bei jedem politischen Problem “Nie wieder Hitler” rufen, allerdings 80 Jahre zu spät.

Nun aber wirklich weiter, Aufbruch nach Maalula, über eine längst geflickte Piste an zerstörten Siedlungen vorbei, in der Geröllwüste, nach Nordosten ins Qalamun-Gebirge. Zerbombte Wohnsiedlungen am Weg, Betongerippe wie Stapel aus leeren Schuh-Schachteln, an den unzähligen Checkpoints die gleichen kriegsmüden und friedensfrohen Gesichter.

Unser christlicher Glaube. Auch Abdo Haddad, der Assistent des Patriarchen, ist gläubig, er hat ein Buch über das Aramäische geschrieben, die Polen aus unserer Gruppe wollen es übersetzen lassen, Abdo geht mit Jesus konform bis auf die Stelle, wo der dazu aufruft, die andere Wange hinzuhalten. Abdos Devise: Wenn mich einer schlägt, schlag ich doppelt so hart zurück. „Anders hätten wir Maalula nicht halten können.“

Eine Reportage in zwei Teilen
Die Syrien-Katastrophe und die Christen
Wir erreichen den Checkpoint am Stadttor. Ein hässliches großes Loch im linken Schenkel. So lief der Angriff der Al-Nusra-Front: Erst diese Autobombe, die Abdos Bruder tötete, Verwirrung, Sturm, Abdos muslimischer Hausverwalter war vorbereitet, er trat die Tür ein, die „Rebellen“ wählten sein Haus am Dorfplatz zum Hauptquartier.

Der Terror begann am 13. September 2013. Er dauerte nur ein halbes Jahr, Zeit genug, alle Kreuze abzuschlagen, den Ikonen die Augen auszustechen, das Grab der Hl Tekla aufzureissen auf der Suche nach Gold.

Unweit des Markus-Klosters mit dem ältesten christlichen Altar der Welt, dem Opferblock des einstigen Jupitertempels mit Abflussrinne für das Blut geschlachteter Tiere, lag dieses Haus des Dorfbäckers, der aufgefordert wurde, zu konvertieren. Er verweigerte und wurde per Kopfschuss hingerichtet. Samt seinen Söhnen, die glaubensstörrisch blieben wie er.

Besuch im Haus daneben bei Daniel, querschnittsgelähmt, bleich und bärtig, eine Kugel am Checkpoint traf seine Wirbelsäule. Er liegt im Bett und dreht sich eine Zigarette. „Du weisst schon, dass Rauchen tödlich ist!“ sage ich streng. Er lacht mit den anderen und schenkt mir seine Zigarettenspitze, ich gebe ihm im Austausch eine imperialistische Marlboro.

Er studierte Jura und war 19, als ihn die Schüsse umrissen, nun hat er eine Organisation für verwundete Veteranen gegründet. Ja, sicher hat er Schmerzen, aber er lehnt Morphium ab, weil es abhängig macht.

Damals hatte sich Abdo mit Kämpfern in die Berge zurückgezogen und mit dafür gesorgt, dass sich der Terror hier nicht lang halten konnte.

Maalula, die Postkartenschönheit, liegt weiß hingewürfelt an zwei Bergflanken, ein syrisches Santorini unter blauem Himmel. Marienlieder tönen über den Marktplatz in der Lautstärke von Muezzinen, den ganzen Nachmittag über Gewehrsalven, so werden die Eintreffenden zum Fest des Kreuzes begrüsst. Eine Siegesfeier.

Ja, die Kreuze sind zurück. Und Patriarch Youssef feiert mit der Gemeinde. Eine Liturgie, die vorwiegend aus Gesang, aus vielstimmigen Chören besteht. Junge Ministrantinnen lesen aus der Apostelgeschichte.

Doch die Schlacht von Maalula beginnt erst, denn gleichzeitig mit den Katholiken endet der Gottesdienst der Orthodoxen, am Dorfplatz treffen beide Prozessionen aufeinander. Die Anrufung der Heiligen, die Hymnen auf die Helden, die Spottverse auf den Gegner sind nicht zu unterscheiden, milchige Wasserflaschen mit Araq werden geschwungen, bei den Katholiken schwingt einer eine Axt.

Doch das andere Lager trumpft auf mit – Daniel! Er wird in seinem Rollstuhl in die Höhe gestemmt, er lacht, er schwebt über den Köpfen der Menge und feuert Salven aus einer Kalaschnikoff.

Worum es geht in dieser Schlacht? Die Katholiken erklimmen den Westhügel des Ortes, die Orthodoxen den im Osten. Beide sind Steilwände, die nur von hinten zu besteigen sind. Wer auf seinem Bergkamm die meisten Feuer in Brand setzt, hat gewonnen.

Die Feuer werden nicht von Holz, sondern aus Gummireifen genährt, ein üppiger Rohstoff nach dem Krieg, vor allem aber lassen sie sich abschließend prächtig ins Tal stürzen, wobei sie blutrote Striemen in die nächtlichen Hänge reissen werden.

Schon nach hundert Metern bereue ich jede einzelne Zigarette meines Lebens. Die Schläfen hämmern, die Lungen pfeifen, in Steilabschnitten zieht mich Abdo nach oben, der seinen Nachnamen „Haddad“ völlig zu Recht trägt.

Haddad ist der arabische Name für Jupiter. Hier liegen Brocken im Weg wie von wütenden Titanen geworfen. Ausgebrannte Granaten vor riesenhaften Höhlen, Abdo kennt hier jeden Stein beim Vornamen.

Auf halber Strecke kommen uns Patriarch Youssef und Bruder Christopher entgegen, sie haben die Gebete zur Eröffnung der Feuerzeremonie bereits gesprochen. Großes Hallo. Ich versuche meine Agonie zu überspielen. Da hat der 70jährige diesen Watzmann doch offenbar mit spielerischer Leichtigkeit erobert! Nachmachen, Kardinal Marx!

Knapp unterhalb des Gipfels drückt mir einer eine Kalaschnikoff in die Hand, ich trau mich nicht abzudrücken; ich kann doch schon meine eigene Handschrift nicht lesen, das ergäbe eine Riesensauerei, wenn ich mich mit diesem Ding verschreiben würde.

Sebastian hat entschieden, hier oben auf der kahlen Fels-Kuppe die Nacht zu verbringen, jugendliche Kämpfer haben sich zu Füßen eines Neonkreuzes versammelt, sie singen, andere schauen ins Lichtertal hinab oder in die dunkle Nacht.

Was mögen sie denken? Ob der Krieg vielleicht doch einfacher ist als der Friedensalltag? Weil er Entscheidungen abnimmt, über die Berufswahl und die Zukunft in einer unberrechenbaren Welt?

Im Dunkel der Abstieg, nur schwach erleuchtet im Schein der Handys, Abdo fängt mich immer wieder auf, schließlich zurück auf der Terrasse seines Hauses das Geknatter der Kalaschnikoffs, das Zischen der Kugeln und der Feuerwerker, wir zählen die Brände auf den Bergkuppeln, die Orthodoxen liegen vorn. Ein mit Abdo befreundeter Zahnarzt schaut vorbei. Sie schwärmen von der Mittelmeer-Schönheit Beirut. Ich werfe ein: „Tel Aviv ist schöner!“ Eisige Stille plötzlich.

Tags darauf zurück nach Beirut, ins Flüchtlingslager im Bekaa-Tal, einige haben Patenschaften übernommen, helfen denen, die zurückkehren wollen, etwa der jungen Lama aus Homs, der Mutter von Hamza, 6, und Mohammed, 8. Sie weiß nicht, wo ihr Mann ist, vielleicht tot, vielleicht bei der IS, vielleicht in Europa. Die meisten Familien hier stammen aus Idlib, einige sind seit dessen Besetzung durch den IS seit 7 Jahren hier. Sie wollen zurück. Deutsche Medienunwirklichkeit trifft auf syrische Realität und bricht sich an politischer Unkorrektheit.

Zum Schluss noch ein Abstecher nach Baal-Bek, ins Gedächtnis der Menschheit, eine gewaltige Anlage, aus Bacchus Kult und Jupiter-Tempel, eine Heliopolis mit Säulen von einem Durchmesser von 2,20 m. Die Säulenreihe der Propyläen steht noch, bis hierher sind die schwarzen Kulturauslöscher nicht vorgedrungen.

Was hab ich gelernt in dieser Woche in Syrien, was lernen wir?

Hören wir Rafik Shami, den bei Buchhändlerinnen wegen seiner orientalischen Buntheit beliebten syrischen Märchenerzähler: „Die gegenseitige Lüge ist neben der arabischen Sprache eine der elementaren gemeinsamen Eigenschaften arabischer Länder.“

Das erinnert an das berühmte Paradox: “Epimedes, der Kreter, sagt: alle Kreter lügen“. Ein Satz, der seine eigene Falschheit behauptet.

Vielleicht ist dieses Paradox auch auf das deutsche Fakten-Flirren anwendbar. Vielleicht gehört zur vollen Wahrheit auch die Gegenpropaganda, eben die Notwendigkeit, Geschichten jener Seite zu erzählen, die ungehört blieben.

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