Während die Bundesrepublik auf das kaum regierbare Berlin schaut, ereignet sich in Italien das eigentliche Wahlbeben in Europa – mal wieder. In der Lombardei, der demographisch wie wirtschaftlich bedeutendsten Region des Landes, sowie der Hauptstadtregion Latium haben die italienischen Wähler ein deutliches Votum abgegeben. Nach jetzigem Stand gewann das Mitte-Rechts-Bündnis von Attilio Fontana (Lega) mit 54,4 Prozent in der Lombardei; in Latium errang Francesco Rocca (FdI) 52 Prozent. Das Linksbündnis kam dagegen nur auf 34 Prozent in der Lombardei und auf 35 Prozent in Latium.
Damit verteidigen die bürgerlichen und konservativen Parteien die Lombardei mit der Wirtschaftsmetropole Mailand. Schon 2018 hatte das Lager dort annähernd 50 Prozent erreicht. Latium dagegen war in den letzten Jahren zum umstrittenen „Swing state“ geworden. Rocca, der früher als Präsident des Italienischen Roten Kreuzes fungierte, verbesserte das Gesamtergebnis der bürgerlich-konservativen Parteien um rund 20 Prozentpunkte.
Denn ein „Meloni-Faktor“ wohnt den Ergebnissen inne. Das gilt nicht nur für Latium, wo die Nationalkonservativen nach fast 20 Jahren wieder den Ministerpräsidenten stellen. Die Lombardei war bis zur Parlamentswahl im Herbst 2022 kein gutes Pflaster für die als süditalienisch wahrgenommene Meloni und ihre Partei. Stattdessen gilt sie als Stammland von Matteo Salvinis Lega, die dort 2018 rund 30 Prozent errang.
Doch die verliert jetzt wie schon im Herbst wichtige Stimmen. Nach jetzigem Stand kommt die Partei von Infrastrukturminister Salvini nur noch auf rund 16 Prozent. Melonis FdI erreicht rund 23 Prozent. Das ist für lombardische Verhältnisse eine Revolution. Zwar wird die Lega mit Fontana den Ministerpräsidenten behalten. Aber Melonis Partei hat damit ein Standbein in Norditalien aufgebaut, das in dieser Größe ein Novum ist.
Möglicherweise hat am lombardischen Debakel auch die Corona-Politik ihren Anteil, so galt das Krisenmanagement am Beginn der Krise im Jahr 2020 als mangelhaft. Nachdem Fontana zuerst der Vorwurf traf, er hätte in der Corona-Krise anfangs zu wenig getan, beklagten sich später insbesondere die mittelständischen Unternehmer, dass die Corona-Politik ihnen die Luft zum Atmen abschnüre. Die FdI hatten sich dagegen als Maßnahmenkritiker hervorgetan. Möglich, dass sich diese Vergangenheit nun rächte.
Die Popularität Melonis und der ruinöse Zustand der italienischen Linken tat ihr übriges. Doch nicht nur Salvinis Partei hat schlechter als erwartetet abgeschnitten. Das Ergebnis von Silvio Berlusconis Forza Italia halbierte sich von 14 auf 7 Prozent. Schlimmer traf es nur noch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S): Sie stürzte von 18 auf 5 Prozent ab.
Ein weiteres Thema: die verheerend niedrige Wahlbeteiligung. Gingen 2018 noch 73 Prozent der Lombarden an die Wahlurne, so waren es diesmal nur 42 Prozent. Die niedrige Wahlbeteiligung dürfte dabei aber weniger den Sieg des rechten Lagers begünstigt haben, denn vielmehr ein Grund für den Abstieg von Lega und Forza Italia sein, die ihre Hochburgen in diesem Urnengang eingebüßt haben. In Latium, das eine ähnlich historisch niedrige Wahlbeteiligung (37 Prozent) verzeichnete, litt dagegen die Linke unter der Apathie der Wählerschaft.
Aber der Wahlsieg ist nicht nur eine inneritalienische Angelegenheit. Ohne innenpolitischen Druck hat Meloni den Rücken für europäische Projekte frei. Frankreichs Präsident Emanuel Macron muss mit einem unsicheren Parlament verhandeln, die Schwäche der deutschen Ampelkoalition hat sich herumgesprochen. Dagegen kann Meloni trotz aller Unkenrufe durchregieren. In Libyen hat sie kürzlich einen Gasdeal vorangetrieben und möchte die Stabilität des Landes und dessen Rückkehr in die italienische Sphäre beschleunigen. Und in Brüssel hat die Rückkehr Italiens als Machtfaktor bereits dafür gesorgt, dass sich die Akzente in der europäischen Migrationspolitik ändern sollen.
Anders als in Berlin muss man in Italien derzeit weder knappe Wahlen, noch unbeliebte oder wacklige Koalitionen fürchten. Während die Berlinwahl nicht zuletzt ein Sinnbild für die verfahrene politische wie gesellschaftliche Lage Deutschlands ist, herrschen im politischen Italien so klare Verhältnisse wie seit 20 Jahren nicht mehr. Was Meloni aus dieser einmaligen Vorlage macht, muss sie in den kommenden Monaten zeigen.