Tichys Einblick
Plötzlich will man wieder mit Assad reden

Die greifbare Wende in der Syrienpolitik als Vorspiel zum Waffenstillstand in der Ukraine

Der deutsche Ex-Botschafter in Syrien fordert von der Bundesregierung eine außenpolitische Wende. Peter Gauweiler donnert gegen die „durchgeknallten Europäer“ und verschreibt ihnen „ethische Hallo-Wach-Tabletten“ angesichts der ukrainisch-syrischen Sackgasse. Italien geht auf Tuchfühlung mit Assad. Und Faesers Ministerium intrigiert bei der Abschiebungsfrage gegen Baerbock.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Wenn sich Peter Gauweiler zurückmeldet, dann scheppert es. Der frühere CSU-Politiker, der sich gegen den Irak-Krieg 2003 einsetzte, sprach sich für einen Kurswechsel in der Syrien- und Ukraine-Politik aus. Er geißelte die Außenpolitik der „durchgeknallten Europäer“ und verordnete ihnen stattdessen die Worte des Papstes als „ethische Hallo-Wach-Tabletten“. Er nahm Bezug auf die vermittelnde Position von Papst Franziskus. Evangelisch meets Katholisch meets Wagenknecht.

„Die politische Klasse bestimmt eine Mischung aus Medien und Jurisdiktion, in wechselseitiger Abhängigkeit“, so der Münchner Rechtsanwalt gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Sie sei „am Urteilen und Richten mehr interessiert als am Problem-Lösen“. Das habe zu den Flüchtlingsströmen der vergangenen Jahrzehnte geführt. Gerade die päpstliche Außenpolitik habe dagegen in den letzten beiden Jahrhunderten diese gesinnungsethische Außenpolitik zugunsten eines pragmatischen Ansatzes abgelehnt. Die Päpste hätten das „damit verbundene Elend immer ziemlich klar gesehen und die Unmoral einer solchen Politik beim Namen genannt“, so der überzeugte Lutheraner.

„Ethische Hallo-Wach-Tabletten“ für „durchgeknallte Europäer“

Syrien ist angesichts des Ukraine-Konfliktes in den Hintergrund gerückt. Laut der christlichen Hilfsorganisation CSI International leben 90 Prozent der Bevölkerung nunmehr unter der Armutsgrenze. „Der Hunger ist allgegenwärtig. Über zwei Millionen Kinder erhalten keine Schulbildung. Wiederaufbau kann nicht stattfinden. Dabei verschärft das aktuelle Sanktionsregime von EU und USA die Not der Zivilbevölkerung wesentlich. Die allermeisten Menschen möchten daher das Land verlassen“, so CSI.

Umso überfälliger ist eine Wende in der Syrienpolitik. Sie wird dabei immer greifbarer. Denn Gauweilers Einlassungen bauen auf einer Stellungnahme von Andreas Reinicke auf, dem letzten deutschen Botschafter in Syrien. „Syrien ist ein wichtiger Staat südlich des Mittelmeerraums, dessen Instabilität den Migrationsdruck auf Europa erhöht“, hatte dieser zuvor ebenfalls gegenüber der KNA gesagt. „Europa hat jedes Interesse, über eine Neuorientierung seiner Politik nachzudenken.“

Er forderte deswegen die Bundesregierung dazu auf, den – wenn auch schwierigen – Prozess einer Überprüfung der aktuellen Syrien-Politik durch die EU zu unterstützen und nicht blockieren. Die Sanktionen gegen Syrien verschärften die humanitäre Lage, ohne das syrische Regime nachhaltig zu schwächen. Zugleich kehrten geflohene Syrer – vor allem aus dem Libanon und Jordanien – tage- und wochenweise zurück in ihre Heimat. „Das deutet darauf hin, dass die Sicherheitslage nach deren eigener Einschätzung zumindest in einigen Gebieten wieder so stabil ist, dass sie eine Rückkehr für möglich halten.”

China als Mittler zwischen Fatah und Hamas

Reinicke warnte davor, dass andere Akteure, etwa China, in das syrische Vakuum drängten. Der Einfluss Russlands sei stärker als zuvor gewachsen. Peking habe erst jüngst eine Vermittlerrolle zwischen der Hamas und der Fatah eingenommen. „Dies kann nicht im deutschen und europäischen Interesse sein”, so der Ex-Botschafter.

Diese Vorstöße stehen nicht alleine. Die europäische Politik hat sich in der Ukraine und in Syrien in die Sackgasse manövriert. Vor der Ukraine könnte Syrien deswegen zu einem Experiment werden. Seit 2012 hatten die westlichen Staaten Bashar al-Assad verurteilt und ihre Hoffnungen in die Opposition gesetzt. Dass diese nicht nur scheiterte, sondern der syrische Bürgerkrieg dem IS die Möglichkeit gab, Fuß zu fassen, war ein Déjà-vu angesichts sehr ähnlich verlaufener Konstellationen wie im Nachbarland Irak. Dort hatte man einen säkularen Führer gestürzt und dafür den radikalen Islam bekommen. Dass auch die restliche syrische Opposition alsbald ebenfalls mehr denn je von Dschihadisten unterminiert wurde, ignorierte man.

Als erstes europäisches Land hat deswegen Italien diese Woche einen bemerkenswerten Vorstoß unternommen und wieder einen Botschafter für Syrien ernannt. Es ist damit der erste G7-Staat, der aus der Reihe der Anti-Assad-Koalition tanzt. Außenminister Antonio Tajani hat Stefano Ravagnan zum Botschafter ernannt, den bisherigen „speziellen Gesandten“ für Syrien.

Italien benennt als erstes G7-Land wieder einen Botschafter in Syrien

Giorgia Melonis Regierung hat zudem einen Brief an die Europäische Union gesendet, indem sie Josep Borrell zu einer aktiveren Syrienpolitik auffordert. „In einer Zeit, in der die Spannungen in der Region hoch sind und die Gefahr neuer Flüchtlingswellen besteht, strömen weiterhin viele Syrer aus, was die Nachbarländer zusätzlich belastet“, heißt es darin.

Neben Italien wurde der Brief von Österreich, Zypern, der Tschechischen Republik, Griechenland, Kroatien, Slowenien und der Slowakei unterzeichnet. Der Brief beklagt „die humanitäre Lage“ im Land, die sich „weiter verschlechtert“ habe, da Syriens Wirtschaft „in Trümmern“ liege. Reinicke hat diese Initiative explizit begrüßt. Die acht EU-Staaten verträten eine pragmatische Politik gemäß den Realitäten.

Das Manöver zeigt, dass man beiderseits des Tibers – also im Vatikan wie im Palazzo Chigi – eine Lösung sucht, um den Gordischen Knoten zu zerschlagen. Papst Franziskus hat schon in der Vergangenheit häufiger in der Kritik aufgrund seiner ausgleichenden Position im Ukraine-Krieg gestanden; dass dahinter auch immer ein Stück weit die andere Tiberseite ihre Fühler ausstreckt, wie weit man gehen kann, ist kein Geheimnis. In Syrien hat der Heilige Stuhl eine ähnliche Politik verfolgt, bei der das säkulare Rom nun nachzieht.

Dass Melonis Regierung die syrische Frage mit der Migrationskrise verbindet, schlägt einen Bogen zu anderen EU-Ländern. Allen voran Deutschland. Man sollte den Fehler vermeiden und das Bundesinnenministerium zu sehr mit einer reinen Schaltstelle von Nancy Faeser verwechseln. In seiner jahrzehntelangen „schwarzen“ Prägung haben sich im Mittelbau Beamte festgesetzt, die mit Sicherheit nicht die Ideen der SPD-Ministerin teilen.

Dort dürften schon länger Überlegungen bestehen, wie man Abschiebungen nach Syrien durchsetzen kann, ohne das heikle Thema des Kriegszustandes im dortigen Land zu berühren. Um abzuschieben, bedarf es zudem Verhandlungen mit der Assad-Regierung, mit der man sich tunlichst nicht an den Tisch setzen will. Nach Jahren der Stagnation braucht es in diesen Fragen Antworten. Die Kontakte zu Syrien sind zwar nicht abgebrochen, aber die Botschaft in Damaskus geschlossen und die Sanktionen in Kraft. Die syrische Botschaft in Berlin ist zwar geöffnet, der syrische Botschafter dagegen ausgewiesen.

Faeser und Scholz intrigieren in der Syrien-Frage gegen Baerbock

Deswegen kommt die überraschende Ankündigung Faesers, sie wolle Straftäter nach Afghanistan oder Syrien abschieben, weniger überraschend als man denken mag. „Deutsche Sicherheitsinteressen stehen für mich ganz klar an erster Stelle. Wir wollen insbesondere islamistische Gewalttäter konsequent abschieben“, erklärte sie der Bild am Sonntag. „Wer kein Recht hat, in Deutschland zu bleiben, muss unser Land deutlich schneller wieder verlassen.“

Dahinter stehen nicht nur die bloßen Ankündigungen, wie man sie von Faeser gewöhnt ist. Es ist nicht so sehr das Innenministerium, das sich gegen Abschiebungen wehrt denn das Auswärtige Amt von Annalena Baerbock. Spätestens mit der Visa-Affäre steht die Einwanderung insbesondere afghanischer Straftäter in einem neuen Licht. Eines, das sehr schlecht auf Baerbock fällt. Offenbar will das BMI die Situation nutzen, um Nägel mit Köpfen zu machen.

Faeser fungiert hier als Schachfigur von Olaf Scholz. Bekanntlich wird die Außenpolitik im Bundeskanzleramt gemacht. Annalena Baerbock hat immer wieder in ihrer Amtszeit bewiesen, dass sie sich nicht an diese Regel hält. Ihre Alleingänge und insbesondere ihr Auftreten gegenüber Russland dürfte den Genossen aufgrund ihrer eigenen, eher ausgleichenden Position missfallen. Wenn Scholz nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim ankündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen, dann ist das eine Machtprobe. Eine, bei der Kanzleramt und Innenministerium das Auswärtige Amt in die Mangel nehmen.

Es geht mehr ums Prinzip als um die Sache. Die Frage nach Koch und Kellner hat Scholz gegen Baerbock, wenn es hart auf hart ging, immer wieder gewonnen. Es könnte demnach sein, dass sich die Syrien-Frage aufgrund von Partei- und Machtpolitik hierzulande löst. Da Assad immer noch als ein enger Verbündeter Wladimir Putins gilt, wäre es zugleich ein bemerkenswertes Tauwetter in Richtung Moskau. Womöglich braucht es in der Ukraine keine zwölf Jahre, um einen Kompromiss zu finden – oder geopolitische Realitäten anzuerkennen.

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