Tichys Einblick
Die Romantisierung der Natur

Der Bauer als Buhmann und die Ökobourgeoisie im Kuschelzoo

Die urbane Ökobourgeoisie muss lernen: Die Natur ist kein Kuschelzoo. Die moderne Landwirtschaft versorgt die Menschen mit gutem und bezahlbarem Essen, nicht mit Bauernhof-Fantasien aus dem Bilderbuch.

© Bettina Hagen

Wie aus dem Nichts brachen sich die Bauernproteste Bahn. Graswurzel-Demonstrationen, basisdemokratisch organisiert, ganz so wie die Ökobourgeoisie sich das wünscht. Leider haben die Bauern aber das „falsche Bewusstsein“, das so gar nicht ins Denken veganer Großstadtjournalisten passt. Ähnlich wie das schon bei den Gelbwesten in Frankreich war, vermieden die Medien ängstlich den jubelnden Kontakt zum Protest, so ganz anders als bei Fridays For Future.

Die Romantisierung der Natur

„Wir möchten Milch von glücklichen Kühen. Weiden sollen sie auf Blumenwiesen, begleitet von Bienensummen. Saftige Erdbeeren bitte den ganzen Sommer lang. Das Gemüse üppig, alle Produkte regional und natürlich günstig.“ (SWR) Das Bild, das die urbane Ökobourgeoisie vom Bauern hat, ähnelt dem des Alm-Öhi. Natur wird verkitscht und romantisiert, nur mit der Realität hat das leider nichts zu tun.

Tiere werden heute zu Menschenersatz: Sie werden verkindlicht, romantisiert. Der Hund ersetzt die Frau, die Katze das Kind, der Hamster das Geschwisterchen und der Bauernhof wird zum Streichelzoo, in dem Großstädter ihre Neurosen auskurieren wollen.

Und wenn die Realität diesen Fantasien nicht entspricht, wird nicht etwa die Fantasie der Realität angeglichen, nein, die Realität soll der Fantasie angepasst werden. Und wenn dies nicht klappt, werden die Fantasten rabiat. Dann wird der Landwirt zum ideologischen Feind der Ökos.

Die Landwirtschaft als Projektionsfläche von Öko-Romantikern

Presseschau
Bauern protestieren: Für die Presse sind Lederhosen und Arbeitsoveralls eben noch keine gelben Westen
Vom Steuerzahler finanzierte NGOs, radikale Tierschützer und von der urbanen Ökobourgeoisie dominierte Öko-Parteien (Grüne, im Gefolge SPD, CDU, CSU) haben es mithilfe der Medien geschafft, hoch emotionalisierte Kampfbegriffe wie Bienensterben, Klimakatastrophe und Massentierhaltung als verdammenswerte Alltags-Realität der industriellen Landwirtschaft an den Pranger zu stellen. Das Wort „Chemie“ reicht heutzutage, um Landwirte schlagwortartig abzuwerten. Für die öffentlichen Medien sind Landwirte oft genug nur noch ein Synonym für unromantische Massentierhalter und Umweltsünder.

Aber nur die industrielle Landwirtschaft ermöglicht das Sattwerden einer sprunghaft wachsenden Erdbevölkerung. Gegen die Bevölkerungsexplosion in Afrika protestiert keiner, dabei trägt genau diese zu kommenden Katastrophen wesentlich bei.

Der Bauer als Buhmann

Der Bauer fühlt sich aber nicht nur von der Politik und den Medien an den Rand gedrängt. Zunehmend wird er auch zum Buhmann in der Gesellschaft, deren Bewusstsein natürlich von Medien und Politik geprägt wird. Seine Kinder werden in der Schule beschimpft und gemobbt. „Tierquäler“ und „Umweltvergifter“ sind Schlagworte, die sich Bauernkinder heute anhören müssen.

Dagegen werden heute Haustiere auf Teufel komm raus romantisiert. Hund- und Katzenvideos sind populär. Kein youtube-Film ist rührselig genug, nichts ist im Fernsehen zu kitschig, als dass es nicht vermenschlichte Tiere gäbe. Und danach das Schnitzel zum Mittagessen. Von der Über-Empathie der wahnsinnigen Art in die Verdrängung!

Die Schizophrenie der westlichen Gesellschaft

Früher konnte man sich im Supermarkt noch einen Fisch im Aquarium aussuchen, und ihn schlachten lassen. Heute ist selbst das nicht mehr möglich, weil man noch Fisch essen, aber nicht die Verantwortung für den Tod eines Tieres, das man gerade noch sah, übernehmen will. Fleisch darf nicht wie totes Tier aussehen, sondern ist rosa Schwabbelmasse und darf auf keinen Fall mit Tier assoziiert werden.

Wie kam es nun zu dieser Bewusstseinsspaltung der westlichen Gesellschaft, in der die Natur idealisiert werden, aber Tier, Tod und Fleisch nichts mehr miteinander zu tun haben?

Nun ist es nicht so, dass Tod und Leid in der westlichen Gesellschaft keine Rolle mehr spielen. Im Gegenteil, Tod und Gewalt sind so sichtbar wie nie zuvor. Durch die Hintertür kommen sie wieder in die Gesellschaft. Durch Krimis, Action- und Horrorfilme werden sie massenweise „genossen“. Dort wird der Tod und das Töten von Menschen täglich in allen Details überdimensional und en detail gezeigt.

Bilder vom Schlachten werden dagegen nicht ertragen. Selbst wenn in einer Doku ein Löwe eine Antilope reißt, wird schnell diskret weggeblendet. Tod und Gewalt bei Menschen spielen heute eine riesige Rolle in der medialen Fantasiewelt der westlichen Gesellschaft, bei Tieren wird schnell ausgeblendet.

Je mehr Töten als Machtausübung und Gewalt politisch korrekt tabuisiert und vom Alltag verdrängt werden, desto mehr kommt es als Fiktion wieder in das Leben der Menschen.

Persönliches:
  1. In meiner Tätigkeit als Lehrer habe ich mit Klassen Landschulheime besucht. Dort war es mir wichtig, mit den Schülern den Kreis des Lebens zu durchlaufen.

Mit dem Landwirt fütterten wir jeden Tag Hasen. Am Ende des Aufenthalts schlachtete der Landwirt die Tiere und die Klasse schaute zu. Ein besonders mutiger Schüler zog einem Hasen sogar das Fell ab. Am nächsten Tag gab es das Hasenragout – und tatsächlich, alle Schüler aßen davon. So gelang es mir als Lehrer mit pädagogischer Vorbereitung der Schüler, die Entfremdung der westlichen Kultur zwischen Töten eines Tieres und dem Fleischessen aufzuheben.

  1. Ein Ausschnitt aus meinem Buch So fremd, so vertraut, die Reise durch Indien. Hier besuchte ich im entlegenen Nordosten Indiens den Stamm der Zomi. Ich lebte einige Monate mit dem Stamm und teilte seinen Alltag. Um in dieses Stammesgebiet zu kommen, braucht man eine spezielle Einreisegenehmigung, die ohne Beziehungen nahezu nicht zu bekommen ist. So war ich wahrscheinlich der einzige Weiße im Umkreis von 1.000 km.

Natürlich haben die Zomis eine ganz andere, nicht idealisierte Sichtweise auf die Natur. Sie wissen aus ihrem Alltag, dass Töten und Fleischgenuss zusammengehören. Und auch die Idee, welche Tiere gegessen werden, unterscheidet sich kulturell bedingt, ganz von der unseren.

Aber lesen sie selbst:

Sais Vater kündigt nun an, der Clan wolle ein Ehrenmahl für mich ausrichten, Am nächsten Tag zur Mittagszeit wird ein Jutesack herbeigeschleppt und voller Stolz vor mir geöffnet: Unser Festmahl fällt heraus – ein toter schwarzer Hund. Mir stockt der Atem, fast wird mir schlecht, aber ich heuchele Dankbarkeit für diese ganz besondere Ehrerbietung.

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Bald beginnen die Vorbereitungen zum Festessen. Dem Hund wird das Fell abgezogen. Derweil verlesen die Frauen frische Kräuter und Gemüse. Alle sind beteiligt, jeder hat seine Aufgabe, selbst die Kleinsten tun mit und sind stolz und zufrieden, zum Feste beitragen zu können. Wissbegierig stehen die Kinder dabei, wenn aus dem Hund die Innereien gelöst werden. Derweil mischen die Männer eine Masse aus Blut, Innereien, frischen Kräutern und füllen sie in die Därme und dann wird sie im Kessel gekocht.

So wurde auch bei uns Blutwurst auf dem Bauernhof gemacht. FRÜHER war ich als KIND auch dabei, wenn man dies aber heute sieht, ist es eine andere Sache.

Wenn es mir gelingt den Hund aus meinem Kopf zu schlagen, dann schmeckt sie nicht übel, die Hunde-Blutwurst. Aber es gelingt mir nicht und da wird mir bewusst, wie entfremdet ich als Fleischesser in Deutschland lebe. Denn all das, was ich jetzt sehe, ist normal und notwendig für den Fleischgenuss. In Deutschland aber wird der Mantel des Schweigens darübergelegt: Ich weiß es, aber ich will es nicht wissen. Der Tod wird in Schlachthäuser ausgelagert. Und so komme ich in die paradoxe Situation, dass mir die Zomis, für die das alles ganz normal ist, fremd und grausam erscheinen. Dabei bin ich der Entfremdete, sie sind es nicht.

Und abends findet das große Festmahl statt. Als Ehrengast sitze ich an der Stirnseite des Tisches. Vor mir liegt der gekochte Hundekopf, das Maul ist noch offen und die Zähne blecken mich an.

Mir ist schlecht, aber jetzt ergreift der Häuptling das Wort: Wir essen nicht oft Hund, aber für besondere Anlässe bereiten wir dieses Festmahl nach unserer Väter Sitte. Hundefleisch ist sehr gesund und die meisten Nährstoffe sind im Kopf des Hundes.

Unser Freund Klaus kommt von weit her zu uns. Er ist kein Jäger, aber er ist unser Ehrengast, so steht ihm der Kopf zu. Alle nicken zustimmend und die Blicke der ganzen Runde ruhen auf mir. Auch der Hundekopf glotzt mich an – ich glotze zurück und bin schon vom Angucken satt, sehr satt sogar. Hungrige Augen erwarten, dass ich mir das erste Stück Fleisch herunterschneide, aber ich bin wie gelähmt.

Schließlich beugt sich mein Nachbar vor, reißt beherzt Fleisch vom Kopf und will es mir ins Maul stopfen. Zaghaft klappe ich meine Kiefer auseinander und ein süßlich intensiver Geschmack erfüllt meinen Mund. Schnell stopfe ich Reis hinterher und kaue mit Todesverachtung. Nun nimmt mein Nachbar eine Machete zur Hand, spaltet das Hundehaupt und spricht zu mir: Das Innere des Kopfes ist das Beste. Es ist uns eine Ehre, wenn du nun das Gehirn isst. Ein Würgen überkommt mich, als mir die weiße Masse entgegenschlabbert. Hilfesuchend blicke ich zu Sai und sie ergreift das Wort: Klaus möchte euch allen für die Ehre danken, die ihr ihm erweist. Leider hat er ein altes Magenleiden, so dass er heute nur Reis und Gemüse essen kann. Wenn er zu seinem Stamm nach Deutschland zurückkehrt, wird er berichten, dass ihm vom Volk der Zomi alle Ehre zuteil wurde. Er wird erzählen, dass als Zeichen der Freundschaft ein Hund geschlachtet und Klaus als besondere Wertschätzung das Gehirn verehrt wurde. Alle nicken begeistert und sind dann doch enttäuscht, dass ich mir das Hundehirn nicht einverleibe. Mitleidig erkundigt sich mancher nach meinem Magenleiden und versteht meine Abstinenz nicht, denn zur Heilung wäre ja gerade das Hundehirn die beste Medizin.

Aber bald kreist der Reiswein, die Stimmung wird ausgelassen und meine neuen Freunde stimmen ihre Lieder an. Irgendwann werde ich gebeten, auch etwas zum Besten zu geben und ich ergreife die Gitarre: Dann singe ich „Ein Jäger aus Kurpfalz“, immerhin lebe ich hier ja in einer alten Jagdgesellschaft. Alles trifft auf großen Beifall und alle sind erstaunt, dass es jenseits amerikanischer Popsongs noch andere Musik im Westen gibt. Ein Prost darauf und dann erklingen wieder die alten Stammeslieder von Liebe, Leid und Hundehirn.


Der Film zum Buchausschnitt:
Im Internet unter gadamers-reisen.de

Zum Buch gibt es dort 19 Fotoshows und Filme.

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