Nach den elf Tagen Krieg vom Mai, in dem die islamische Terrororganisation Hamas tausende Raketen abschoss und Israel mit Luftschlägen auf die Angriffe antwortete, versuchen die Parteien, eine Endlinie zu ziehen. Die Hamas wünscht sich – so vermelden Zeit, Spiegel und Tagesschau – einen Austausch der Gefangenen bzw. eine Rückgabe der ihrigen. Doch zugleich droht Hamas-Anführer Jahja Sinwa laut Welt mit neuen Angriffen, falls »der heilige Boden der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem noch einmal verletzt« würde. Was sich bisher ereignete, würde dann als bloße »Übung« erscheinen, »im Vergleich zu dem, was Israel dann erwartet«, so Sinwa. Am Ende muss das aber eine neu gewählte israelische Regierung über das weitere Vorgehen entscheiden. Angeblich schicken sich der Liberale Lapid und der konservative Siedleranführer Naftali Bennett an, ein Bündnis zu schmieden – an Netanjahu vorbei, so unwahrscheinlich das auch klingen mag: Bennett ist strikt gegen die Zweistaatenlösung, die zum Credo von Lapids Zukunftspartei gehört. Netanjahu dürfte aber noch nicht ganz aus dem Rennen sein.
Noch komplizierter scheint das Bewusstsein der westlichen Welt von diesen Ereignissen zu sein. Eine ideologische Brille hindert viele daran, den Konflikt als das zu sehen, was er heute ist: das Ringen eines demokratisch verfassten Staates mit verschiedenen, ihn belagernden terroristischen Vereinigungen. Das politische Spektrum scheint an dieser Stelle verrückt zu spielen. Ein Verständnis für nationale und ›religiöse‹ Gefühle taucht plötzlich bei Gruppen auf, die man solcher Dinge nie für fähig gehalten hätte – ähnlich wie im Fall des Nordirland-Konflikts, wo für einige die katholischen Nationaliren zu den Guten wurden, auch wenn sie Terror ausübten. Der Film Hunger mit dem Halbiren Michael Fassbender weist deutlich auf dieses Vexierbild hin.
Daraus spricht natürlich der typische Anti- und Underdog-Geist vieler Linker, die allemal gegen die staatliche Autorität sein zu müssen glauben. Nichts leichter als das, leben wir doch – in Westeuropa ebenso wie in Israel – in rechtsstaatlich verfassten Demokratien. Dennoch gibt es eine merkwürdige Toleranz für und sogar Solidarität mit denen, die den Frieden zugunsten der Gewalt brechen und – wie im Fall der Palästinenserorganisation – am Fundament derjenigen Freiheitsrechte sägen, auf denen sie selbst stehen sollten.
Ein Beispiel für »Islamo-leftism«
Frühe Beispiele dessen, was man in Frankreich heute »islamo-gauchisme« nennt, also im Grunde »Islamo-leftism«, hat sich an US-amerikanischen Universitäten schon länger entwickelt. Ein zehn Jahre altes Video, das im Grunde nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, kann den Konflikt, der sich im Heiligen Land abspielt, auch heute noch kundig ausleuchten.
Es handelt sich um einen Dialog zwischen dem amerikanischen Konservativen David Horowitz, der früher ein ziemlicher Junglinker war, bevor er allerhand Aufbauarbeit in der konservativen Publizistik der Staaten leistete, und einer muslimischen Studentin an der University of California San Diego (UCSD). Horowitz hat kürzlich ein neues Buch mit dem Titel The Enemy Within. How a Totalitarian Movement Is Destroying America veröffentlicht und wird inzwischen auch als Trump-Unterstützer angegriffen. Sein Dialog mit der muslimischen Studentin sorgte schon vor gut zehn Jahren für ein Rauschen im Websitewald.
Was war geschehen? Nach einem Vortrag unbekannten Inhalts – es ging um den israelisch-palästinensischen Konflikt und eine kontrovers betitelte Themenwoche der Universität – wollte die Studentin Jumanah Imad Albahri eine Frage an Horowitz stellen. Sie trug ein rotes Kopftuch in Kombination mit einem Palästinensertuch, das als Kufiya ursprünglich das Kopftuch der arabischen Männer war. Albahri trug es um den Hals, als Accessoire mit unübersehbar politischer Implikation. Umgehend bekannte sie sich auch als Vertreterin der Muslim Students’ Association (MSA) an ihrer Universität und trat mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein auf. Ihren Namen skandierte sie, trotz sonst fließendem, muttersprachlich beherrschtem Englisch, mit charakteristischer Aussprache und Gestik.
Von Horowitz wollte Albahri – nachdem sie festgestellt hatte, dass seine Bücher interessanter gewesen seien als sein Vortrag – wissen, wie er darauf komme, dass die MSA mit dschihadistischen Terrornetzwerken in Zusammenhang stehe. Die Beziehung ist an sich wohlbekannt und auch nicht verwunderlich, wenn man von der stringenten Organisation des internationalen politischen Islams weiß: In den sechziger Jahren gründeten Muslimbrüder die ersten MSA-Verbände an amerikanischen Universitäten. Das war der Moment, in dem sich die Muslimbrüder in den USA etablierten. Heute gibt es 150 MSA-Verbände an amerikanischen Universitäten.
Horowitz antwortete mit einer Gegenfrage: »Würden Sie die Hamas als Terrororganisation verurteilen?« Albahri wusste offenbar, dass Horowitz derlei Fragen stellte, und erwiderte, ohne zu zögern: »Sie verlangen also von mir, mich selbst ans Kreuz zu schlagen?« Die als Muslimbruderschaft gegründete Hamas und die iranisch unterstützte Schiitenmiliz Hisbollah gelten in den USA seit 1995 als terroristische Vereinigung. Auch wenn diese Einstufung zunächst nur die Finanzen der betroffenen Gruppen einfriert, könnte Albahri Recht gehabt haben, dass ein offenes Bekenntnis zur Hamas, ihr nicht nützen würde. Allerdings schadete ihr ein indirektes Bekenntnis damals nicht wirklich. Da sie sich weigerte, sich von der Hamas zu distanzieren, nahm Horowitz richtig an, dass sie – ebenso wie die MSA der University of California – die Terrorgruppe Hamas unterstützte.
Was Horowitz in Santa Barbara gelernt hatte
Dann erzählt Horowitz von einem Erlebnis an der Universität von Santa Barbara, wo einige dutzend Vertreter der dortigen Muslim Students’ Association in einem seiner Vorträge saßen (hier ein Presseecho von damals). Deren Vorsitzender weigerte sich, die Hamas oder die Hisbollah zu verdammen. Das sei eine zu komplexe Frage für ein Ja oder ein Nein. Doch dieses Erlebnis diente Horowitz nur als Vorbereitung seiner Schlussfrage an die Studentin in San Diego. Er erklärte, dass er Jude sei und dass der Anführer der Hisbollah einmal gesagt habe, es wäre sehr praktisch, wenn sich alle Juden in Israel versammelten. So müsse man sie zumindest nicht mehr auf dem ganzen Globus jagen, um sie zur Strecke zu bringen.
Und nun wollte Horowitz es von der muslimischen Studentin wissen. Urplötzlich platzte ein heftiges Forte aus seinen Stimmbändern hervor, wo seine Stimme zuvor kaum hörbar war: »Dafür oder dagegen?« Jumanah Imad Albahri senkte ihren Kopf gravitätisch zum Mikrophon und sagte mit vollem Bewusstsein: »Dafür.«
Es war, wie wenn sich Schwerter kreuzten. Stimmen erhoben sich, doch auch ein verlorenes Händepaar klatschte ein paar mal. Horowitz hatte seine Beweisführung abgeschlossen: Die Studentin hatte allen Anwesenden offenbart, worum es ihm ging.
Und daran änderte auch ihr Rechtfertigungsschreiben nichts, in dem sie im üblichen larmoyanten Ton der Identitätspolitik von sich als Opfer der Situation spricht, das zu seiner Antwort »genötigt« worden sei und dabei von Ärger, Zorn, Groll oder Ressentiment überwältigt worden sei, weil Horowitz sie als Terroristin, Antisemitin und Befürworterin eines Genozids gezeichnet habe.
Doch nichts davon lässt sich in dem Video wiederfinden. Vielmehr war sich Albahri sehr bewusst, dass ihre Aussagen in dieser öffentlichen Situation politisches Gewicht hatten. Die Reaktion der muslimischen Studentin, so eindeutig und verstandesmäßig kontrolliert sie nach außen erscheinen mag, ist Ausweis jener trüben Mischung, die nun seit vielen Jahren und Jahrzehnten die Lage Israels erschwert und Juden ebenso wie Araber in Geiselhaft nimmt. Albahri versuchte im Nachhinein, ihre im Dialog eindeutige Unterstützung der Hamas zurückzunehmen: »Ich weigerte mich, das Kind (die unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes) mit dem Bade (Hamas) auszuschütten.«
Doch niemand hatte sie dazu aufgerufen oder gar »genötigt«. Vielmehr hat David Horowitz selbst eine sehr tolerante Einstellung gegenüber Muslimen wie auch den arabischen Einwohnern Israels oder der Palästinensergebiete (vgl. sein Leserbrief an den Daily Bruin von 2015). Er hat nur verständlicherweise etwas gegen radikale Gruppierungen wie die Muslimbrüder und die Hamas und ihre Aggression gegen Israel.
In derselben Fragestunde an der Universität San Diego verglich eine weitere Studentin die Pilgerväter mit religiösen, genozidalen Terroristen – was Horowitz natürlich als ebenso absurd ablehnte. Das Video ist etwas schmerzhaft beim ersten Ansehen, gewinnt aber zum Ende hin, wenn Horowitz den ganzen Zorn des Konvertiten gegen seine alten, linken Überzeugungen entfaltet.