Knapp ein Monat ist seit der Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten vergangen. Ein Monat, den die USA dazu nutzten, Tatsachen für die kommenden Jahre zu schaffen. Wer nicht gerade als Politiker dazu verpflichtet ist, die Charade mitzuspielen, wird – angesichts der dramatischen Geschehnisse der letzten Wochen, die nun im syrischen Umsturz ihren vorläufigen Höhepunkt fanden – unschwer zwei und zwei zusammenzählen können und die Fingerabdrücke des transatlantischen Welthegemons in den zahlreichen Krisenherden wiederfinden.
Natürlich sind nicht alle Geschehnisse der Weltbühne auf Geheimdienste der USA zurückzuführen und auch andere haben ihre Finger im Spiel. Ob das kriegsrechtliche Intermezzo in Südkorea einem höheren geopolitischen Interesse galt, darf bezweifelt werden. Dass aber nur kurz nach der Wahl Trumps, der wiederholt damit prahlte, die Ukraine innerhalb kürzester Zeit zu befrieden, die Waffenlieferungen an die Ukraine nochmal intensiviert wurden, ist keine mutmaßliche Tat eines Geheimdienstes, sondern irgendwo zwischen verhandlungstechnischem Säbelrasseln und einem letzten Versuch, Tatsachen zu schaffen, anzusiedeln.
Die anstehende Trump-Präsidentschaft wirft ihren Schatten voraus und während sich der neue alte Präsident am Beginn seiner ersten Legislaturperiode medial einschüchtern ließ und den Kontakt mit Putin scheute, tritt „The Donald“ noch vor seinem neuerlichen Amtsantritt mit der Selbstgewissheit auf, amerikanische Interessen global offensiv zu vertreten.
Dazu gehört auch, dass das Fell der Ukraine längst verteilt ist, denn die Verträge zum Wiederaufbau des kriegsgebeutelten Landes durch Blackrock & Co. sind längst unterschrieben. Es ist also weniger der innige Wunsch nach Friede, sondern politisch-ökonomisches Kalkül, das hinter der Beendigung des Konfliktes in der Ukraine steht. Deutlich wurde das auch in dem Aufruf Trumps auf X, Russland solle Syrien sich selbst überlassen, da dessen Truppen bereits in der Ukraine gebunden seien. Ein unmissverständlicher Wink mit dem Zaunpfahl, dass Zugeständnisse in der Ukraine ihren Preis im Nahen Osten haben.
Geschenkt das Eingeständnis Trumps, der arabische Frühling gehe auf die Kappe seines Vorgängers Barack Obama. Was zählt, ist, dass die USA, nachdem der klassische Interventionismus vergangener Jahrzehnte ineffektiv geworden ist, nun wieder vermehrt auf vermeintliche „soft power“-Strategien setzen und damit den meisten anderen Großmächten – wie Russland und China – noch etwas voraus haben.
Realpolitik oder ideologischer Fanatismus
Die Freunde von gestern können dabei ganz schnell die Feinde von morgen werden und dieses Schicksal dürfte auch die syrischen Rebellen erleiden, wenn sie – kaum sie die Welt von Assad befreit haben – ins Visier Israels gelangen. Denn die Vermutung, dass das Kabinett Trumps auf eine radikal pro-israelische, um nicht zu sagen zionistische, Politik setzt, bestätigt sich bereits vor Amtsantritt. Und damit zerschlägt sich auch die Hoffnung, der sogenannte „tiefe Staat“ könnte von Trump beseitigt werden. Vielmehr stehen in diesem Apparat vor allem personelle Umstrukturierungen bevor, die die langfristige Unterstützung der Israel-Lobby in Washington absichern dürften.
Während diese Stärkung der US-israelischen Beziehungen aus amerikanischer Sicht womöglich noch nachvollziehbar ist – und aus israelischer Sicht erst recht! –, so müssen auch andere Nationen ihre Positionen überdenken. Den Nato-Staaten stellte Trump bereits die Rute ins Fenster, die USA könnten sich bei Nichteinhaltung der Zwei-Prozent-Regel aus der Nato zurückziehen. Und auch für Russland gilt, dass ein möglicher Frieden in der Ukraine mit weitreichenden Konzessionen an Russland mit einem Einflussverlust im Nahen Osten erkauft werden musste.
Und während die USA unter Trump (zumindest in dessen erster Legislatur) pragmatisch und realpolitisch mit all jenen Geschäfte machen, mit denen sie einen guten Deal bekommen können, hat Europa sich in den letzten Jahren fanatisch in eine prinzipielle Feindschaft zu weiten Teilen des Nicht-Westens drängen lassen, die eine selbstständige Neupositionierung erschwert. Allen voran in Deutschland, wo eine Merz-Regierung nur wenig dazu beitragen würde, den Scherbenhaufen der deutsch-russischen Beziehungen nach Beendigung des Krieges in der Ukraine wieder zu kitten.
Doch nicht nur in Sachen Feindschaften ist Europa prinzipiell und träge, auch in seinen Werten – allen voran der Flüchtlingspolitik. Hier dürfte, nachdem lächerliche Gerüchte, syrische Flüchtlinge könnten nun wieder die Heimreise antreten, die Runde machten, wohl schon bald damit zu rechnen sein, dass es wieder einmal Europa – oder zumindest jene Teile Europas, die nicht bereit sind, effektiv ihre Grenzen zu schützen – sein wird, das einen Großteil der anstehenden Flüchtlingsbewegungen aufzufangen hat.
Denn sollten sich die nunmehr kolportierten Ambitionen Israels, in Syrien den nächsten Schritt zur Schaffung eines auch von israelischen Politikern geforderten Groß-Israels zu machen, dann werden wohl Migrationsströme bisher ungekannten Ausmaßes ausgelöst werden, die wie so oft wohl kaum in muslimischen Nachbarländern, sondern in den europäischen Sozialsystemen Zuflucht suchen und erhalten werden.
Royal Rumble der Regionalmächte
Inwiefern Israel das moralische Recht zu solcher Expansion hat oder nicht, sei dahingestellt. Allerdings zeichnet sich ab, dass dieser Prozess nicht nur ein paar Aufständische aus Damaskus verjagen wird, sondern regional zu großen Verwerfungen führen kann. TE-Autor Marco Gallina verwies bereits auf die prekäre und richtungsweisende Situation der Kurden in diesem Szenario und das daraus resultierende Konfliktpotential mit der Türkei. Auch der Iran, der mit Assads Syrien einen wichtigen Verbündeten verlor, dürfte bei diesen Entwicklungen nicht tatenlos zusehen.
Andererseits ist es genau jener Iran, demgegenüber auch Donald Trump sich am unversöhnlichsten zeigt und in dem die USA bereits seit langem einen „Regime Change“ anstreben. Bislang konnte Teheran eine Farbrevolution verhindern, doch angesichts der vielen Brandherde der Gegenwart dürfte die Zeit für solch einen Umsturz reifer sein, als sie es seit langem war. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben aber auch gezeigt, dass ein Umsturz nur in den seltensten Fällen zu einer Besserung der Verhältnisse oder zu Stabilität führt.
Und dann wäre da noch Saudi-Arabien. Das saudische Königreich übt sich bereits seit Jahresbeginn in Zurückhaltung. Nach dem vielbeachteten BRICS-Beitritt 2023 wurde es still um Riad. Der Mitgliedsbeitrag zu den BRICS wurde Anfang des Jahres nicht überwiesen, seitdem ist Saudi-Arabien weder vollständiges Mitglied noch hat es Anwärterstatus. Riad wartet ab und beobachtet, denn auch die Saudis hatten gute Beziehungen zu Donald Trump und so war es wenig verwunderlich, dass man auf das Ergebnis der US-Wahlen wartete, bevor man den einen oder den anderen Block beehrt. Eine ganz ähnliche Strategie scheint auch Erdogans Türkei zu fahren. Mit dem Einflussverlust der Großmächte streiten nun die Regionalmächte um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Israel hat dabei mit der Unterstützung der USA die besten Karten.
Eindämmung der Konkurrenz um welchen Preis?
Doch auch diese Unterstützung wird ihre Grenzen kennen. Man darf nicht vergessen: Auch wenn Trump außenpolitische Stärke projizieren möchte, sind die USA nach wie vor ein Imperium im Rückzug. Eine Rückkehr zur Pax Americana, gestützt von aggressivem Interventionismus, wird es nicht geben. Die Unterstützung Israels soll idealerweise über regionale Regimestürze und das daraus entstehende Machtvakuum, in das die IDF vordringen kann, gewährleistet werden. Solange sich dabei die Kräfte von Israel, der Türkei und Saudi-Arabien gegen den Iran wenden, sind auch keine Probleme zu erwarten, doch sollte sich – zum Beispiel an der Kurdenfrage – ein Konflikt unter diesen Regionalmächten entfachen, könnte ein unkontrollierbarer Flächenbrand entstehen, aus dem sich die USA tunlichst heraushalten werden.
All das mag für die USA geopolitisch von Interesse sein und auch den Einflussbereich der Konkurrenz in Moskau und Peking einschränken, doch auch Donald Trump wird sich in der Heimat erklären müssen, warum seine „America First“-Politik zwingend ein solch vehementes Engagement im Nahen Osten voraussetzt. Einige seiner Kritiker im rechten Lager werfen Trump und dessen designierten Kabinett bereits vor, „Israel First“ anstelle von „America First“ zu stellen.
Aber die Unterstützung Israels ist auch ein Garant für die Unterstützung Trumps in Washington. Und so wird Israel auch in der kommenden Trump-Legislatur auf eine nahezu uneingeschränkte Unterstützung durch die USA rechnen können. Ob das bedeutet, dass die USA sogenannte „boots on the ground“, also Bodentruppen, einsetzen würden, um Israel zu unterstützen, darf bezweifelt, aber nicht ausgeschlossen werden. Doch auch ohne den Einsatz von Bodentruppen wackelt der Nimbus von Donald Trump, dem viele seiner Anhänger bis heute hoch anrechnen, in seiner ersten Amtszeit keinen Krieg begonnen zu haben.
Nur knapp einen Monat nach der Wahl Donald Trumps und noch vor dessen Amtsantritt kann sich die Welt bereits darauf gefasst machen, dass die kommenden vier Jahre wohl von anhaltenden und schwerwiegenden Konflikten im Nahen Osten geprägt sein werden. Mit all den damit verbundenen Folgen.