Tichys Einblick
Visegrad

Das Visegráder Viererbündnis V4 geht wahrscheinlich seinem Ende entgegen

Nach den jüngsten Regierungsveränderungen in Tschechien und der Slowakei scheint das EU-interne Bündnis mit Ungarn und Polen zu zerbrechen.

Polish Prime Minister Mateusz Morawiecki, French President Emmanuel Macron, Hungarian Prime Minister Viktor Orban, Slovak Prime Minister Eduard Heger and Czech Prime Minister Andrej Babis (From L to R, rear) attend a joint press conference after their meeting in Budapest, Hungary, on Dec. 13, 2021.

IMAGO / Xinhua

Es zeichnete sich schon seit einiger Zeit ab: Seit ihren jeweiligen Regierungswechseln fühlten sich Tschechen und Slowaken zunehmend unwohl in der V4 genannten Visegrád-Gruppe, zu der auch Polen und Ungarn gehören. Die ideologische Dominanz Ungarns, die Größe und das Bevölkerungsübergewicht Polens sorgte in den beiden kleinen, in ihren nationalen Identitäten empfindlichen Ländern ohnehin für wachsendes Unbehagen. Aber beide hielten zum Bündnis, so lange sie von Parteien regiert wurden, die dem Globalismus ablehnend gegenüberstanden, und sie von den Abwehrschlachten Polens und Ungarns gegen die Umverteilung von Migranten profitieren konnten. Dann aber kam es zum Machtwechsel, zuerst 2020 in der Slowakei und 2021 in Tschechien, und nun scheint V4 auseinanderzufallen.

In der Slowakei gewann nach dem Mord an einem investigativen Journalisten eine Antikorruptions- Protestpartei die Parlamentswahlen. Ein Jahr später verlor auch in Tschechien die bis dahin regierende ANO Partei die Wahlen. Der tschechische Machtwechsel fand unter – milde gesagt – merkwürdigen Umständen statt. Direkt vor den Wahlen erschienen die unter dem Namen „Pandora“ bekannt gewordenen Veröffentlichungen über illegale Auslandskonten von Politikern. Darin befand sich auch ein Konto des tschechischen Premiers Babis. Perfekt getimt wurde wenige Wochen vor den Wahlen bekannt, dass er 2009 über Offshore-Firmen ein Schloss an der Côte d’Azur gekauft haben soll, darüber hinaus wurden ihm Steuerbetrug und Geldwäsche vorgeworfen. Trotzdem wurde seine Partei ANO stärkste Kraft bei den darauffolgenden Wahlen, da ihm jedoch die Koalitionspartner fehlten, konnte schließlich ODS Vorsitzender Petr Fiala die Regierung bilden.

Vor seiner Wahl vertrat Fiala ausgesprochen konservative Positionen, er war ein Gegner der Migrationspolitik der EU sowie der Ehe für alle. Zunächst zeigte er sich auch als Gegner der Klimapolitik, lenkte aber voriges Jahr plötzlich ein und begrüßte den Green New Deal. Der Grund dafür war, dass er für seine Regierungsmehrheit die links-grüne Piratenpartei brauchte, die das genaue Gegenteil von alledem fordert, was die ODS bis dahin vertrat: Sie tritt für LGBT-Rechte ein, fordert radikale Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und gehört zu den leidenschaftlichen EU-Befürwortern.

Einmal im Amt, erfolgte eine Wende Fialas auch im Verhältnis zur EU. Dies gipfelte in der Ernennung von Mikuláš Bek von der Piratenpartei zum neuen Europaminister, auf einen Posten, den es vorher so nicht gab. Damit begannen auch die Probleme mit V4. Vor wenigen Tagen erklärte Bek, ein tschechisch-slowakisches „Tandem“ müsse ein Gegengewicht zu den polnischen und ungarischen Standpunkten innerhalb von V4 bilden. Bek hat sich vorher schon negativ über die konservativen Regierungen in Polen und Ungarn geäußert. „In ihrem Konflikt mit der EU über die Rechtsstaatlichkeit werden wir einen definitiv anderen Standpunkt einnehmen als sie“, sagte er im vergangenen Jahr, und betonte, dass sein Land in diesen Fragen auf der Seite der EU stünde.

Nach einem unlängst stattgefundenen Treffen zwischen ihm und dem stellvertretenden slowakischen Außenminister Martin Klus erklärte Bek noch einmal ausdrücklich, dass in der Frage der Rechtsstaatlichkeit und der Beziehungen zur EU die tschechischen und slowakischen Vertreter Standpunkte einbringen würden, die nicht unbedingt einem einheitlichen Standpunkt innerhalb von V4 entsprächen. Die Zusammenarbeit innerhalb von V4 sei schön und gut, aber man sollte anstreben, mit allen anderen EU-Mitgliedern ähnlich intensive Beziehungen auszubauen, sagte Bek in einem Interview mit dem Medienunternehmen Bloomberg.

Gut zu dieser Wende in den tschechischen Beziehungen zu Ungarn passt ein Facebook-Eintrag der Vorsitzenden der Partei TOP 09 und Präsidentin des tschechischen Parlaments, Markéta Pekarová Adamová, in der sie den bevorzugten Weg zum Sturz Viktor Orbáns beschreibt. „Die Tschechen haben schon Babis davongejagt. Ich hoffe, dass die Ungarn damit auch Erfolg haben werden. Die Verteilung der politischen Kräfte in Ungarn ist in etwa so wie bei uns. Die ungarische Opposition hat ihre Differenzen überwunden und kämpft mit vereinten Kräften gegen die populistische Regierung von Viktor Orbán. Der zögert nicht, auf Kosten seiner Verbündeten, zu denen auch wir gehören, zwielichtige Beziehungen mit Russland und China zu pflegen.“

Die Auflösungserscheinungen innerhalb von V4 sind ein schwerer Schlag gegen Polen und insbesondere Ungarn, wo im April Parlamentswahlen stattfinden werden. Die Bemühungen der EU-Führung, diese beiden Länder zu isolieren, sie als Diktaturen hinzustellen und mit Vertragsverletzungsverfahren zu überziehen und sogar zu versuchen, sie aus der EU zu drängen, werden sich im Vorlauf zu den ungarischen Wahlen sicherlich noch verstärken. Die Sprengung von V4 ist ein großer Erfolg der EU auf diesem Wege der Isolierung der beiden letzten verbliebenen konservativ geführten Länder unter ihren Mitgliedern.

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