Tichys Einblick
Sunak im gefährlichen Mittelgrund

Das Ruanda-Gesetz ist noch nicht gescheitert – aber Rechte warnen vor zu großer Laxheit

In Großbritannien wurde das Ruanda-Gesetz von Rishi Sunak in zweiter Lesung durchgewunken – allerdings warnen innerparteiliche Kritiker vor zu großer Laxheit. So könnte auch das beschlossene Gesetz noch scheitern, wie auch Nigel Farage prophezeit. In Deutschland hat derweil ein Politiker eine Ghana- oder Senegal-Lösung ins Spiel gebracht.

IMAGO / SOPA Images

Konservative Parteien in Europa (vereinzelt auch Sozialdemokraten) versuchen, sich dem Wind der neuen Zeit anzupassen und die Einwanderungsgesetze und -bedingungen so zu verändern, dass der Zuzug kontrollierbar wird. Das Problem ist die ungezügelte, praktisch nicht zu kontrollierende Zuwanderung, die beginnt, wenn jeder, der eine Grenze überschreitet, automatisch Rechte hat. Das hat auch ein Teil der britischen Konservativen begriffen – der andere Teil rennt leider auch dort dem bereits überlebten woke-grünen Ungeist nach, der sicher nicht bis zu Ende durchdacht ist. Denn am Ende werden die Woken, Grünen, Linken mit ihren Werten genauso aufgefressen werden, wie die Konservativen, Liberalen und Nationalen – zugunsten eines Islams, wie in ganz Europa zu befürchten ist, der irgendwann aufgrund einer demographischen Selbstverständlichkeit die Regeln für alle vorgeben wird.

So erklärt sich auch der Widerstand von Buddhisten (wie Suella Braverman) oder Hindus (wie Rishi Sunak) gegen die illegale Massenimmigration, die auch auf den britischen Inseln vor allem muslimisch ist. Nun zerreißt es aber, wie angedeutet, auch die konservative Partei in der Mitte. Die Umfragen sind drängend und belastend für die Tories, und so suchen sie einen Ausweg – manche eben in der Anpassung an Labour, die Lib Dems und viele Medien des Landes, von der BBC bis zum erzlinken Guardian. Aber auch die einst renommierte Times hat sich zu großen Teilen der Wokeness ergeben und meint, dass die Garantien für illegale Zuwanderer einen absoluten Eigenwert haben.

Viele konservative Abgeordnete werden das nicht glauben, aber nur einige stehen dagegen auf. Zu ihnen gehörte am Mittwoch der frühere Staatsminister für Zuwanderung und heutige Hinterbänkler Robert Jenrick, der erst am Nikolaustag aus Protest gegen das aktuelle Ruanda-Gesetz zurücktrat.

„Nicht schlecht, aber nicht gut genug“

Jenrick hebt eine Erfolgsbilanz hervor: Im aktuellen Jahr habe man die Ankünfte um ein Drittel verringert, was tatsächlich in eine andere Richtung weist als der Trend in der EU, mit teils einer Verdoppelung der Ankünfte. Jenrick stellt auch klar: Dieses Thema wird nicht verschwinden, sondern zu einem der bestimmenden Themen des 21. Jahrhunderts werden. Und so sehr sich Jenrick durch den Run auf sein Land komplimentiert fühlt, hält er doch fest: Diese Zuwanderung ist nicht tragfähig, ist nicht „nachhaltig“ (um es auch den Grünen zu erklären).

Jenrick stellt dann fest: Die Migrationsabkommen, die die aktuelle Regierung zuhauf mit Ländern wie Albanien, Bulgarien, Frankreich, Italien abgeschlossen hat, reichen nicht aus. Hinzukommen muss der eigene Grenzschutz, der wiederum nur durch das „stärkste denkbare Abschreckungsmittel“ („the strongest possible deterrent“) wirksam geleistet werden könne. Jenrick berichtet von Einbrüchen in Wohnungen in Dover und von einem angeblich minderjährigen Asylbewerber in Bournemouth, der inzwischen für Mord verurteilt wurde.

Was kritisiert Jenrick am aktuellen Gesetzentwurf, den er als „nicht schlecht“, aber auch „nicht gut genug“ beschreibt? Zum einen blieben den Antragstellern zu viele individuell einklagbare Ansprüche erhalten. Denn jeder Migrant werde jedes rechtliche Mittel nutzen, das ihm in die Hand gegeben wird, um im Land bleiben zu können. (In Deutschland plädieren gerade die Grünen für ein solches Mittel, fordern einen Pflichtverteidiger für jeden Abschiebling, keine Abschiebung ohne Vorwarnung und vieles mehr.) In Großbritannien stehen zudem mächtige NGOs an der Seite der Migranten, um möglichst viele Exempel für den Fortgang des illegalen Zuzugs zu statuieren. Zum anderen erwartet Jenrick auch weiterhin Interventionen des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) per einstweiliger Maßnahme, wodurch schon in der Vergangenheit Ruanda-Flüge im letzten Moment gestoppt wurden. Ein einzelner Straßburger Richter kann solche Verfügungen aufsetzen. Jenrick verweist darauf und erntet das Nicken der Hinterbänklerin Priti Patel, die sich einst als Innenministerin damit herumschlug.

Sunak agiert an dieser Stelle unentschieden: Einerseits fordert er in seinem Ruanda-Gesetz, dass Straßburger Verfügungen ignoriert werden, andererseits will er die Zuständigkeit des Gerichts für Großbritannien aufrechterhalten. Das passt nicht zusammen, wie Jenrick richtig feststellt. Er warnt die Regierung, dass sie die „stärkste verfügbaren Schutzmaßnahmen“ ergreifen müsse. Das sei es, was die Briten von ihr und jedem Parlamentarier erwarten: „Der Ruanda-Plan ist ihnen egal. Es geht ihnen darum, die Boote zu stoppen.“ Der neue Innenminister Cleverly hörte ihm dabei die meiste Zeit aufmerksam zu, nur bei diesen überkritischen Bemerkungen am Ende nahm er anscheinend eine Gegenposition ein. Doch die ist nur durch das Nachgeben gegenüber dem woken Ungeist begründet, kaum in der Sache.

Sunak verliert sich im Mittelgrund

Die Popularität von Rishi Sunak hat derweil einen Tiefpunkt erreicht, gleich nach der Abstimmung über dieses neue, von links und rechts umstrittene Ruanda-Gesetz. Und beides könnte miteinander zu tun haben. Nach der Entlassung von Suella Braverman als Innenministerin und einem Urteil des britischen Supreme Courts wurde das Abschiebungsgesetz der Konservativen in eine neue Fassung gebracht, die vermeintlich den Bedenken beider Seiten gerecht werden sollte. Als da wären: Eine Linke, die bis in die Tory-Reihen reicht und die Neuregelung des britischen Asylrechts entweder für unmöglich hält oder die öffentliche Reaktion des Status-quo-Blocks fürchtet. Dieser dürfte neben vielen (auch öffentlichen) Medien aus „NGOs“ bestehen, die teils sehr direkt aus der Misere Profit ziehen, teils auf verborgenere Weise eine Interesse an der fortgesetzten Invasion über den Kanal haben, wie von Jenrick erläutert.

Inzwischen ist Sunak auch bei den konservativen Wählern nicht mehr mehrheitsfähig: 56 Prozent sagten in einer YouGov-Umfrage, sie hätten eine negative Sicht auf den Premier. Bei der Gesamtheit der Befragten steigt dieser Unbeliebtheitswert auf 70 Prozent. Nur 21 Prozent der Briten sehen den vor etwas mehr als Jahresfrist ins Amt gelangte Sunak noch positiv. Daraus lässt sich schließen, dass Appeasement an den woken Wahn Sunak hier nicht weiterbringt. Er müsste auf das eigene Lager setzen, tut das aber nur halbherzig.

Es war wohlgemerkt erst die zweite Lesung des Gesetzes. Nun soll es in die beteiligten Ausschüsse kommen, wahrscheinlich aber erst im Januar. Die Rechten in der konservativen Partei, die sich nun enthalten haben, hoffen die von Jenrick meisterlich vorgetragenen Punkte dann durchzubringen. Aber das ist alles andere als sicher. Großbritannien mit seinem klar aufgestellten konservativen Milieu und seiner durch britische und US-Medien ausgedehnten Wokeness-Blase auf der anderen Seite ist ein perfektes Experimentierfeld für diese Politik. Ob die Rechte in der konservativen Partei überleben wird, ist dabei offen.

Farage: Ruanda-Gesetz wird keinen Unterschied machen

Nigel Farage, der ehemalige Vorsitzende der Ukip- und Brexit-Partei, hat jüngst einen guten dritten Platz im britischen Realitäts-TV-Format „I’m a Celebrity… Get Me Out of Here!“ („Ich bin ein Star… holt mich hier raus“) gemacht und so auch sein Image aufpoliert. Gerade auf dem Flughafen von Heathrow gelandet, prophezeite er Sunak eine „katastrophale Niederlage“ bei den kommenden Wahlen, die ja spätestens im Januar 2025 kommen werden. Kurz bevor Farage sich in den australischen Dschungel begeben hatte, war Cameron zum Außenminister geworden, wozu der zwischenzeitig von den Nachrichten abgekoppelte Farage sagte: „Wenn es so schlimm geworden ist, müssen sie wirklich Probleme haben.“ Später sagte er mehr zur Sache und nannte die Frage, ob das Vereinigte Königreich Richterurteile aus Straßburg akzeptiert, die „nächste effektive Brexit-Linie innerhalb der konservativen Partei“.

Das nun in zweiter Lesung beschlossene Ruanda-Gesetz werde auch keinen Unterschied machen. Und das ist in der Tat zu befürchten, auch wenn laut dem neuen Innenminister James Cleverly „Frühlingsflüge“ nach Ruanda noch immer „glaubwürdig“ seien. 29 konservative Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Unter den Enthaltungen waren vor allem die Stimmen von fünf rechten Gruppen innerhalb der konservativen Partei, darunter die European Research Group (ERG) und die New Conservatives. Hätten diese Abgeordneten gegen das Gesetz gestimmt, wäre es gescheitert. Allerdings sind die rechten Euroskeptiker von der Research Group entschlossen, den Gesetzentwurf niederzustimmen, wenn sie nicht die von ihnen verlangten Änderungen – vor allem härtere Abschiebungsregeln – bekommen.

So ist die Partei insgesamt mehr als zerrissen, ist zugleich für die Deportation und doch etwas dagegen – das nimmt man vom neuen Außenminister Cameron an. Kann man auf diese Weise, bei solcher Zerrissenheit, einen so grundlegenden Kurswechsel durchsetzen? Schwerlich. Das Gesetz könnte sogar an der Parteirechten scheitern, wenn die ERG ihre Drohung wahrmacht. Auf der anderen Seite fordern One-Nation-Konservative die Anpassung an linke und internationalistische Forderungen, die der Brexit-Tendenz in der britischen Politik widersprechen.

CDU: Thorsten Frei bringt Ghana- oder Senegal-Plan ins Spiel

Ihre allgemeinere Lage haben die britischen Sunak-Konservativen aber mit den französischen Macronisten gemein, bei denen ebenfalls beide Antriebe – illegale Migration eindämmen und sie durch Legalisierungen billigen – bestehen. Zuletzt dürfte sich auch die deutsche CDU in derselben Lage wiederfinden, denn ihre kecken Sprüche von heute werden spätestens bei den aktuell von ihr bevorzugten Koalitionen (mit Grün, Rot, vielleicht Dunkelrot) in sich zusammenfallen.

So forderte nun der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei in der Phoenix-Runde, dass man doch statt Ruanda auch die Länder Ghana oder Senegal als anerkanntermaßen sichere Drittländer (aus deutscher Sicht) nutzen könnte, um mit ihnen das deutsche Ruanda- oder Ghana-Senegal-Abkommen zu schließen. Bei solchen Vorschlägen kommt ja beinahe schon Platz-an-der-Sonne-Vorfreude auf.

Aber auch innerparteilich dürfte das noch nicht mit allen entscheidenden Spielern abgeklärt sein. Frei ist durchaus für Individualismus in der Wortwahl bekannt. Festzustellen bleibt nur, dass das einstige Merkel-Lager gerade ziemlich still geworden ist. Es wird seinen Kopf aber noch früh genug erheben und den Linnemanns und Freis sagen, was von ihren Vorschlägen geht und was nicht. Aber im Falle solcher Vorhaben gilt leider alles oder nichts. Denn ein bisschen Abschrecken wird in Fragen der illegalen Migration nicht funktionieren. Das kann man von Jenrick lernen.

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