Tichys Einblick
Ein Protektorat wider Willen?

Das Mineralabkommen zwischen der Ukraine und den USA verschiebt die geopolitische Ordnung

Der neue US-Ukraine-Vertrag sichert Kiew langfristige Investitionen. Rohstoffe, Kapital und politische Einflussnahme binden die Ukraine eng an Washington. Es ist ein weiches Protektorat, das gegen Moskau schützt und die USA auf Jahre an Kiew bindet.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Ukraine Presidency

Spekulationen darüber, wie und auf welche Weise die USA das Ressourcenpotenzial der Ukraine über einen Vertrag ausschöpfen könnten, gab es in den letzten Wochen genügend. Der Daily Telegraph etwas berichtete, dass auf die Ukraine „Reparationssummen“ in einer Höhe zukommen könnten, die das Volumen überschritten, die der Versailler Vertrag der Weimarer Republik aufdrückte. Prinzipiell kursierten Schreckensmeldungen, Trump mache die Ukraine zum Kriegsverlierer – ein Grund, weshalb die europäischen Staaten einen Friedensschluss verhindern oder mindestens beeinflussen müssten.

Der Vertrag wurde am 25. Februar zwischen Kiew und Washington abgeschlossen, doch die Verhandlungen haben in den vergangenen Tagen zu Spannungen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geführt. Laut Berichten aus der Ukraine hat die US-Regierung drei verschiedene Vorschläge unterbreitet, von denen zwei von der Ukraine abgelehnt wurden, da sie keine Sicherheitsgarantien enthielten.

Ursprünglich war erwartet worden, dass Selenskyj das Abkommen während eines Besuchs in Washington unterzeichnen würde. Doch am 26. Februar erklärte US-Außenminister Marco Rubio, dass die Bedingungen des Abkommens noch nicht finalisiert seien und weitere Verhandlungen erforderlich wären. Am selben Tag bewilligte das ukrainische Kabinett den Vertrag.

Das Mineral-Abkommen zeigt sich dabei als ein geschicktes Instrument, um US-amerikanische Interessen abzusichern – und zwar auf Jahrzehnte. Immer wieder betont das Vertragswerk die Langfristigkeit der Investitionen. Das bedeutet: US-Personal, US-Kapital und US-Know-how werden in der Gegend gebunden. Washington entsendet keine Truppen, aber die Ukraine wird so fest an den amerikanischen Orbit aufgrund ökonomischer Interessen gebunden, dass Moskaus Interferenz die eigenen Interessen berühren würde. Auch ohne Nato-Beitritt wären amerikanische Interessen so bedroht, dass auch eine zukünftige US-Regierung einer Bedrohung nicht tatenlos zusehen würde.

Ein solches Vertragswerk würde demnach eine wie auch immer geartete Zukunft der Rest-Ukraine absichern. Es ist eine ökonomische Vorausverteidigung. Zwar gibt Washington in dem Vertrag keine Sicherheitsgarantien – stellt diese jedoch in Aussicht. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass dem Mineralabkommen eine Scharnierfunktion in noch zu schließenden weiteren Vertragswerken zukommen könnte.

Die Ukraine wird damit nicht zur Kolonie, erhält aber die Form eines weichen Protektorats. Welche Landgewinne auch immer Russland bei einem etwaigen Friedensschluss erhalten sollte: Das Land wird damit definitiv in zwei Zonen geteilt, die fest in der Hand des jeweiligen Hegemon verbleiben. Moskau dürfte bei einer erneuten Aggression mit größerem amerikanischem Widerstand, wenn nicht Eingreifen rechnen. Die tiefe Verquickung der USA mit der Ukraine bedeutet auch eine gezielte Abschreckung. Im Vertrag wird explizit darauf hingewiesen, Maßnahmen zu überprüfen, „um gegenseitige Investitionen vor geopolitischen Risiken zu schützen“.

Kern des bilateralen Abkommens ist die Schaffung eines gemeinsamen Wiederaufbau-Investitionsfonds. Der Fonds soll nicht nur Investitionen in die ukrainische Infrastruktur lenken, sondern auch langfristige wirtschaftliche Stabilität gewährleisten.

Der Fonds wird von beiden Regierungen gemeinsam finanziert und verwaltet. Entscheidungen der US-amerikanischen Vertreter unterliegen den geltenden US-Gesetzen, und ein Verkauf oder eine Übertragung von Anteilen am Fonds ist nur mit Zustimmung beider Parteien möglich; das dürfte insbesondere eine Rolle in Hinblick auf Russland spielen, das damit als Anteilseigner ausscheiden dürfte.

Die Ukraine verpflichtet sich, 50 Prozent der zukünftigen Einnahmen aus der Monetarisierung staatlicher Rohstoffvorkommen in den Fonds einzuzahlen. Dazu zählen unter anderem Einnahmen aus der Förderung von Mineralien, Kohlenwasserstoffen, Erdöl und Erdgas sowie aus relevanter Infrastruktur wie LNG-Terminals und Hafenanlagen.

Die Vereinigten Staaten sichern der Ukraine eine langfristige finanzielle Unterstützung zu, um eine stabile und wirtschaftlich prosperierende Zukunft zu ermöglichen. Dies kann neben Finanzmitteln auch Investitionen in Form von Finanzinstrumenten oder Sachleistungen umfassen, die für den Wiederaufbau essenziell sind.

Der Fonds soll gezielt in ukrainische Projekte investieren und Investitionen anziehen, um die Entwicklung, Verarbeitung und Monetarisierung öffentlicher und privater Vermögenswerte zu steigern. Dies umfasst nicht nur Rohstoffvorkommen, sondern auch Infrastruktur, Häfen und staatliche Unternehmen. Ein zentrales Ziel ist es, einen Kreislauf aus Investition, Rendite und Reinvestition zu etablieren, um langfristig Kapital für den Wiederaufbau zu sichern.

Ein besonderer Fokus des Fondsvertrags wird auf Kontrollmechanismen gelegt, die verhindern sollen, dass Sanktionen oder andere restriktive Maßnahmen umgangen werden können. Diese Maßnahmen dienen dazu, die Integrität der internationalen Sanktionsregime zu wahren und eine missbräuchliche Nutzung der Investitionen zu verhindern.

Tichys Einblick dokumentiert den Vertrag in deutscher Übersetzung in voller Länge.

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