Der Druck auf Premierminister Justin Trudeau zum Rücktritt wächst. Auch parteiintern fordern immer mehr frühere Anhänger seine Ablöse; Trudeau versucht die Spannungen als Familienstreitigkeiten um die Feiertage abzutun. Doch es geht um das Ende des woken Politikmodells.
Der kanadische Premierminister Justin Trudeau steht seit dem plötzlichen Rücktritt seiner Vizeregierungschefin und Finanzministerin Chrystia Freeland am 16. Dezember 2024 unter enormem Druck. Laut Berichten mehrerer Medienquellen fordern nun zahlreiche Abgeordnete der eigenen Liberalen Partei seinen Rücktritt.
Die Rücktrittsforderungen gegen Trudeau intensivierten sich nach Freelands Rückzug, der von kanadischen Medien als „politischer Dolchstoß“ bezeichnet wird. Freeland hatte Differenzen mit Trudeau über den Umgang mit den von Donald Trump angekündigten Zöllen auf kanadische Importe, was sie in einem Brief auf dem Kurznachrichtendienst X bekannt gab. Sie verkündete ihren Rückzug nur wenige Stunden vor der geplanten Vorstellung der Wirtschaftsdaten für den Herbst.
Der Rücktritt Freelands wiegt schwer, da die Finanzministerin lange Zeit als eine der engsten Vertrauten Trudeaus galt. Nun aber kritisiert sie in ihrem Brief Trudeaus “kostspielige politische Spielereien”, die man sich angesichts der drohenden US-Zölle unter Donald Trump nicht erlauben könne. Zu diesen „Spielereien“ zählten unter anderem Trudeaus Pläne, mit milliardenschweren Rabatten auf Stimmenfang zu gehen und die niedrigen Umfragewerte aus dem Keller zu holen. Angesichts dieser Meinungsverschiedenheit hatte Trudeau Freeland auf einen anderen Ministerposten schieben wollen, diese zog es stattdessen vor zurückzutreten.
Die Umfragen zeigen eine zunehmende Unbeliebtheit Trudeaus, insbesondere aufgrund hoher Lebenshaltungskosten und steigender Preise, die durch mögliche weitere Preissteigerungen durch US-Zölle noch verschärft werden könnten. Kanadische Medien berichteten, dass Trudeau nach Freelands Rücktritt seine Optionen als Führer der Partei überdenkt, da er ein weiteres Misstrauensvotum im Parlament möglicherweise nicht überstehen würde.
Politischer Druck und interne Kritik
Auch innerhalb der Liberalen Partei sind die Kritiken laut geworden. Zahlreiche Abgeordnete haben einen Brief unterschrieben, in dem sie einen Wechsel an der Parteispitze und damit den Verzicht Trudeaus auf eine erneute Kandidatur forderten. Der Parteivorsitzende Jagmeet Singh der Neuen Demokratischen Partei (NDP) forderte ebenfalls Trudeaus Rücktritt, um die Chancen der Liberalen bei den bevorstehenden Wahlen im Oktober 2025 nicht zu gefährden.
Ein weiterer Abgeordneter, Yvan Baker, gab offen zu, dass sein Wahlkreis klar signalisiert, dass es Zeit für Trudeau sei zu gehen. Immer häufiger dringen interne Spannungen in die Öffentlichkeit und schwächen somit Trudeaus Position weiter.
Ein Misstrauensvotum könnte Trudeaus Regierung zu Fall bringen und zu Neuwahlen führen, von denen die oppositionellen Konservativen profitieren dürften. Als potenzielle Nachfolger für Trudeau gelten der ehemalige Zentralbankchef Mark Carney sowie der neue Finanzminister Dominic LeBlanc. Es wird spekuliert, dass Trudeau sich selbst zu einem Rücktritt entschließen könnte, um Platz für einen Nachfolger zu machen, der interimistisch bis zu den nächsten Wahlen regieren würde.
Götterdämmerung der internationalen Wokeness?
In weiten Teilen des Westens scheint ein Wandel stattzufinden, bei dem Träger progressiver Politik zunehmend auf Gegenwind stoßen. Nachdem bereits in Italien, den Niederlanden und zuletzt in den USA liberal-konservative bis rechte Regierungen das Ruder übernahmen, droht mit Kanada ein weiteres Bollwerk der Wokeness letzten Dekade zu fallen.
Denn lange Zeit galt Justin Trudeau als einer der hervorragendsten Vertreter des modernen Progressivismus. Während seine feministischen Anbiederungsversuche, als er z.B. eine Studentin, die von der Menschheit („mankind“) sprach, unterbrach, um sie darauf hinzuweisen, dass er es bevorzugt von „peoplekind“ zu sprechen, noch als offensichtliches Tugendheischen abgetan werden kann, zeigten sich im Umgang mit der Propagierung von Sterbehilfe und vor allem mit den Trucker-Protesten (an deren Niederschlagung die soeben zurückgetretene Freeland maßgeblich beteiligt war) die totalitären Tendenzen des Trudeau-Regimes. Die offen eingestandene Bewunderung Trudeaus für die „Möglichkeiten“ Chinas bei der Durchsetzung von Politik, überrascht da niemanden mehr.
Damit würde sich Kanada in eine Reihe mit Deutschland und Frankreich stellen, Länder in denen die bisherigen Regierungen an ein vorzeitiges Ende kamen. Während Deutschland händeringend nach einem Hoffnungsträger sucht, der für mehr als eine Fortsetzung des Status quo stehen würde, möchte Emmanuel Macron aus Furcht vor Marine le Pen Neuwahlen wohl um jeden Preis verhindern. In Kanada scheint die Tendenz noch deutlicher: Die konservative Partei liegt neuesten Umfragen zufolge mit 43 Prozent prognostizierter Stimmen weit vor Trudeaus Liberalen mit knapp 22 Prozent.
Weihnachtsmärchen statt Rücktritt
Nach den Rücktrittsforderungen hat sich Trudeau öffentlich zu Wort gemeldet. In einer Pressekonferenz am 17. Dezember erklärte Trudeau, dass er die Partei in die nächsten Wahlen führen möchte. In einer bemerkenswerten Metapher sprach sich Trudeau bei der jährlichen Weihnachtsfeier der Liberalen Partei über die aktuelle politische Situation aus, indem er sagte: „Wie die meisten Familien haben wir manchmal Streitigkeiten um die Feiertage herum. Aber natürlich, wie die meisten Familien, finden wir unseren Weg durch das.“
Er betonte die Notwendigkeit zusammenzuhalten, um den Herausforderungen gegenüberzutreten, die vor ihnen liegen. Trudeau wies darauf hin, dass interne Diskussionen Teil des gesunden demokratischen Prozesses innerhalb der Partei seien. Diese Aussage wurde als ein Versuch verstanden, die Rücktrittsforderungen als normale Parteidynamik darzustellen.
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