16 Millionen. Das ist die Zahl des Tages. Noch vor einer Woche erstreckte sich die „rote Zone“ in Italien auf elf Gemeinden, zehn davon in der lombardischen Provinz Lodi südöstlich von Mailand. Mit der Auflage werden ganze Landstriche von der Außenwelt isoliert, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. In den letzten Tagen mehrten sich die Anzeichen, dass diese ausgeweitet werden könnte. Es sollten einige Kommunen in der besonders betroffenen Provinz Bergamo sein. Manche spekulierten, es könnten Gemeinden aus der Nachbarprovinz Brescia hinzukommen. Doch seit gestern Abend ist bekannt: die gesamte Lombardei wird abgeriegelt.
Premier Giuseppe Conte unterzeichnete gestern Abend ein Dekret, dass die Region mit 10 Millionen Einwohnern verstärkt abschotten soll. Dabei hatte Attilio Fontana, der Präsident der Lombardei, es bei der Einrichtung der ersten Zone noch für „unvorstellbar“ gehalten, die Millionenmetropole Mailand abzusperren. Heute ist klar: nicht nur Mailand, nicht nur die Lombardei, sondern dazu noch weitere Provinzen in ganz Norditalien. Die Italienische Republik sticht in das demographische und wirtschaftliche Herz des Landes. Mailand gilt mit seinen Unternehmen, der Börse und seiner globalen Vernetzung als eigentliche Hauptstadt Italiens.
Die Auflagen sind drakonisch. Laut Dekret darf niemand mehr diese Territorien betreten oder verlassen – mit Ausnahme von Notfällen oder durch den Provinzpräfekten autorisierte Transits. Wer sich in Quarantäne befindet, hat absolutes Mobilitätsverbot. Personen, die Grippesymptome zeigen und über 37,5 Grad Fieber haben, werden dazu angehalten, das Haus nicht zu verlassen und ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum zurückzufahren. Sämtliche Schulen jeder Art, Sporthallen, Schwimmbäder und andere Sporteinrichtungen werden geschlossen; dasselbe gilt für kulturelle Einrichtungen wie Theater, Kinos und Ähnliches. Jede Veranstaltung gleich welchen Typs werden abgesagt. Bar und Restaurants werden um 18 Uhr geschlossen, Gastronomen sollen darauf achten, dass ein Mindestabstand zwischen Gästen gewährleistet ist. Auch die religiösen Dienste werden zu einem Großteil eingestellt, Messen, Eheschließungen und Beerdigungen wurden bereits abgesagt. Das Dekret gilt vom 8. März bis zum 3. April.
Auch außerhalb der neuen Zone in Norditalien gelten nationalweit Einschränkungen. Landesweit werden die Schulen bis zum 15. März geschlossen. Auch hier steht die Schließung sämtlicher kultureller Einrichtung wie Museen, Kinos etc. zur Disposition. Pubs und Diskotheken werden dicht gemacht; Restaurants und Bars dürfen geöffnet bleiben bei entsprechender Sicherstellung von Abständen zwischen den Besuchern. Die Gerichte bleiben für zwei Wochen geschlossen.
Bereits am Samstagabend kam es am Mailänder Zentralbahnhof zum Sturm auf die Züge, um die Stadt im letzten Moment zu verlassen. Conte bezeichnete die Situation als „nationale Notlage“. Man habe das Coronavirus von Beginn an mit „maximalen Vorsichtsmaßnahmen“ bekämpft. Flüge und Züge würden – entgegen anderslautender Gerüchte – nicht gestoppt, die Reisen müssten aber wichtige Gründe haben. Deswegen wird die neue Zone auch nicht als „rote Zone“ bezeichnet, sondern als „orange Zone“.
Dass die italienische Regierung zu rigorosen Maßnahmen greift, ist auf die explosionsartige Vermehrung von Infektionsfällen zurückzuführen. Am 5. März lag die Zahl bei 590 Neuinfizierungen, am 6. März bei 620 und am 7. März sogar bei 1.145. Stand 7. März, 18 Uhr, hatte Italien 5.883 offiziell bestätigte Corona-Fälle. 589 Personen sind mittlerweile geheilt, 233 verstorben. Die größte Zahl der Corona-Fälle verzeichnet die Lombardei mit 3.420 Infizierten, danach folgt die Emilia-Romagna mit 1.010. Mittlerweile ist jede der 20 Regionen Italiens betroffen.
Die Sorge geht um, dass das Gesundheitssystem an die Grenze der Belastbarkeit kommen könnte. Patienten auf den lombardischen Intensivstationen, die nicht an COVID-19 erkrankt sind, sollen in die Nachbarregion umgebettet werden. „Wenn die Bevölkerung nicht versteht, dass sie zuhause bleiben soll, dann erleben wird eine katastrophale Situation“, sagt Antonio Pesenti, der Koordinator der Kriseneinheit in der Lombardei für Intensivtherapie. „Derzeit sind wir dazu gezwungen, Therapien im Korridor, in Operationssälen und Aufwachräumen durchzuführen. Eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, das lombardische, steht nur einen Schritt vor dem Kollaps.“ Würde sich die Situation nicht verbessern, so bräuchte es zehnmal mehr Posten für die Intensivtherapie als zur Verfügung stünden. Derzeit bräuchte der Rettungsdienst 8 Minuten, um sein Ziel zu erreichen, aber die Vorgänge der letzten Tage könnten dazu führen, dass es bald eine Stunde dauere. Das wäre für viele Menschen ein Todesurteil, wenn sie beispielsweise einen Herzinfarkt haben.
„Im Anfange also keine Pest, durchaus keine, um keinen Preis; nur das Wort auszusprechen ist verpönt; dann pestartiges Fieber; die Vorstellung schleicht sich heimlich durch ein Beiwort ein; dann nicht wirkliche Pest; das heißt freilich Pest, aber in einem gewissen Sinne; nicht eigentlich Pest, aber etwas, für das man keinen andern Namen zu finden weiß; endlich Pest ohne Zweifel und ohne Widerrede. (…) Man braucht, glaube ich, in der Geschichte der Vorstellungen und Worte nicht sehr bewandert zu sein, um einzusehen, daß viele einen ähnlichen Lauf genommen haben. (…) Man könnte jedoch, in großen wie in kleinen Dingen, den so langen krummen Weg meist vermeiden, wenn man die seit so langer Zeit bestehende Regel befolgte, erst zu beobachten, zu hören, zu vergleichen, zu denken und dann zu sprechen. Aber das Sprechen, diese so einzige Sache, ist viel leichter als alle die andern zusammen, daß auch wir, ich meine wir Menschen überhaupt, ein wenig zu bedauern sind.“