Tichys Einblick
Wuhan unter Quarantäne

Coronavirus gefährdet auch Chinas Wirtschaft – und damit die Weltkonjunktur

Die Coronavirus-Epidemie könnte bald auch ökonomische Schäden verursachen. Das Beispiel der SARS-Pandemie von 2002/3 zeigt, was droht.

Chung Sung-Jun/Getty Images

In China kommt es derzeit erneut zu einer Epidemie durch Coronaviren. Wie schon während der SARS-Pandemie von 2002/2003 verbreitet sich die lebensgefährliche Krankheit sehr rasch, auch weltweit. Andere Teile Ostasiens, Saudi-Arabien und Nordamerika sind bereits betroffen. Inzwischen könnte das Virus Schottland erreicht haben. Das chinesische Wirtschaftswachstum könnte dadurch deutlich geschwächt werden, befürchten Analysten.

Ausgebrochen ist die Krankheit im zentralchinesischen Wuhan schon im Dezember letzten Jahres. Doch dauerte es, bis die Ärzte die Brisanz der beteiligten Coronaviren erkannten. Träger dieser Krankheitserreger sind normalerweise Tiere, doch können sie auch auf den Menschen überspringen. Das ist vermutlich in der Elf-Millionen-Metropole Wuhan geschehen, die derzeit von jedem Verkehr abgeriegelt wird, ebenso weitere Städte und Großstädte in der umgebenden Provinz Hubei. In den betroffenen Regionen wurde praktisch der komplette öffentliche Nah- und Fernverkehr eingestellt (Bilder hier). Züge passieren die Ortschaften, ohne anzuhalten, Flüge in alle Welt wurden gestrichen, an Ausfallstraßen stehen Kontrollposten. Insgesamt befinden sich 23 Millionen Chinesen in einer Art kollektiver Quarantäne.

Die Vielfalt der chinesischen Küche ist legendär. In Wuhan könnten Schlangen oder Meeresfrüchte am Ursprung der Epidemie gestanden haben. Stark ansteckend sei der Erreger dabei nicht. Der Hamburger Virologe Schmidt-Chanasit sagte der WELT: »Vielfach geht das Virus höchstens auf einen weiteren Menschen über, dann läuft sich die Infektion tot.« Die Ansteckung kann wie bei anderen Erkältungskrankheiten auch durch Tröpfchenübertragung geschehen. Das Berühren einer glatten Oberfläche wie bei Türklinken oder Haltegriffen in Bus und Bahn genügt. Die Symptome ähneln denen einer schweren Grippe, zeigen sich freilich erst fünf bis sieben, manchmal 14 Tage nach erfolgter Infektion. In ganz China sollen inzwischen 830 Menschen mit dem neuen Coronavirus infiziert sein. 26 Todesfälle werden berichtet.

Die Chinesen schließen Teile ihrer Mauer

Darüber hinaus steht auch noch das chinesische Neujahrsfest vor der Tür, zu dem viele Chinesen normalerweise ihre Familien in weit entfernten Landesteilen besuchen. Ob die Abriegelung Wuhans und anderer Städte da hält, ist fraglich. Das Virus hat sich aber ohnedies schon in den städtischen Zentren des riesigen Landes ausgebreitet. Unterdessen haben die chinesischen Behörden die Schließung mehrerer Sehenswürdigkeiten angekündigt, darunter neben den Ming-Gräbern und dem Pagodenwald der Hauptstadt Peking auch Teile der Chinesischen Mauer. Von heute an will McDonald’s seine Lokale in fünf Städten der Provinz Hubei schließen. Ab dem morgigen Sonnabend folgt Disney– trotz des umsatzträchtigen Neujahrsfestes – mit seinem Vergnügungspark in Shanghai. In Wuhan hat man angeblich eilends mit dem Bau eines neuen Krankenhauses mit 1.000 Betten begonnen, das die Verdachtsfälle aufnehmen und am 3. Februar eröffnet werden soll. Die Chinesen werfen anscheinend schon einmal die Propaganda-Maschine an, um auch den kleinsten Anflug von Panik zu vermeiden. Eine Herausforderung für das chinesische Gesundheitssystem dürfte die Krankheit in jedem Fall werden.

Einzelne Erkrankungsfälle werden aus mehreren asiatischen Ländern – darunter Thailand, Singapur, die Philippinen, Vietnam, Taiwan, Südkorea und Japan  – sowie den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien gemeldet. In Schottland stehen noch neun Menschen unter Beobachtung, bei denen nicht klar ist, ob sie das Virus tragen. Bei fünf anderen wurde Entwarnung gegeben: Sie leiden nur an einer gewöhnlichen Grippe. Sollte sich eine Infektion mit Coronaviren erhärten, müssten die Patienten dauerhaft auf eine isolierte Station, die es in vier Krankenhäusern des Vereinigten Königreichs gibt. Die WHO hofft derzeit, dass sich das Problem durch die chinesischen Maßnahmen in den Griff kriegen lässt, und empfiehlt keine Beschränkungen des internationalen Tourismus und Handels. Auch das Auswärtige Amt hält sich noch erstaunlich zurück: Das Risiko für Reisen nach Wuhan sei »moderat«.

Die SARS-Pandemie 2002/2003 hatte weitreichende ökonomische Folgen

In der Vergangenheit hatten Coronaviren als SARS (severe acute respiratory syndrome) und MERS (Middle East respiratory syndrome) für teils weltweite Epidemien gesorgt. Während die MERS-Variante bisher vor allem auf der Arabischen Halbinsel auftrat, breitete sich die in Südchina beginnende SARS-Pandemie von 2002 und 2003 rasch in andere Erdteile aus und hatte Todesfälle in Frankreich und Südafrika zur Folge. 45 Menschen starben damals außerhalb Asiens an der Atemwegserkrankung, allein 43 davon in Kanada. Insgesamt forderte die damalige Pandemie rund 800 Opfer bei einer Sterblichkeitsrate von 10%. (Höher lag die Rate im Fall von MERS: an der auf den Nahen Osten beschränkten Variante starb ein Drittel der Erkrankten.) Einen Impfstoff für den SARS-Erreger konnten Forscher angeblich 2005 aus Tomaten- und Tabakpflanzen entwickeln. Daneben können antivirale Medikamente eingesetzt werden.

In Asien hatte die Pandemie von 2002/2003 weitreichende Folgen: Nicht nur brach der Tourismus um zwei Drittel ein, auch der Einzelhandel hatte mit Verlusten zu kämpfen, da die Leute die Innenstädte aus Angst vor Ansteckung mieden. Sogar in den Chinatowns der Vereinigten Staaten blieben die nichtasiatischen Besucher aus. Eine Komikerin sprach damals vom »severe Asian racism syndrome«.

Die internationale Wirtschaftspresse warnt auch jetzt vor den ökonomischen Folgen der neuen Pandemie und befürchtet eine von China ausgehende Wachstumsdelle. Ein Anzeichen dafür könnte der bereits nachgebende Ölpreis sein, ebenso wie fallende Aktienmärkte an den asiatischen Börsen. Im Zuge der ersten SARS-Pandemie, die damals rasch die wirtschaftlichen Zentren im Süden Chinas und Peking ergriff, sank der Ölpreis um 20%. China ist der weltweit zweitgrößte Verbraucher des energiereichen Stoffs.

Gerät die Werkbank der Welt ins Schwanken?

Der Ausbruch der neuen Pandemie wirft einen grauen Schatten auf das beginnende chinesische Jahr der Ratte und die Chancen auf weltweites Wachstum in seinem Verlauf. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zum chinesischen Neujahrsfest könnte sich als psychologischer Dämpfer auf die gesamte touristische Saison und den Einzelhandel auswirken, mutmaßt die New York Times. Unter der Belastung der ersten SARS-Pandemie war das chinesische Wirtschaftswachstum zeitweise um zwei Prozentpunkte auf 9% gesunken. Derzeit liegt das jährliche Wachstum bei 6%. Daneben wird der wirtschaftliche Handlungsspielraum Chinas inzwischen auch durch einen gewachsenen Schuldenberg eingeschränkt, während der Anteil des Landes an der Weltwirtschaft sich seit der letzten Pandemie verdoppelt hat.

Auch viele produzierende Unternehmen in Europa und Nordamerika sind auf Zulieferungen aus China angewiesen. Der Chefökonom eines internationalen Frachtunternehmens sagte der Washington Post: »Jede Einschränkung der Transportwege hat das Potential, die Lieferketten zu unterbrechen. Entscheidend wird sein, wie lange die Gefahr durch den Virus anhält.« 

In jedem Fall kehrt ein Problem damit gleichsam zu seinen Ursprüngen zurück. Denn die Entstehung von Epidemien hat grundlegend mit der Verstädterung und dem Aufbau einer arbeitsteiligen Lebensweise zu tun, in der Vieh und andere Nahrungsmittel massenhaft bereitgestellt werden. Häufig stimmt dann die Hygiene nicht mehr. Das dürfte im Zuge der rasanten Urbanisierung in China heute nicht anders sein. Die Fisch- und Fleischmärkte des Landes, die sogenannten »wet markets«, stehen schon länger für ihre hygienischen Mängel in der Kritik.

Anzeige
Die mobile Version verlassen